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    Henri IV
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Henri IV
    Von Carsten Baumgardt

    Ist der sogenannte Amphibienfilm nun Fluch oder Segen? Schlich sich bei Der Baader Meinhof Komplex nicht das Gefühl ein, dass der RAF-Reißer mit mehr Spielzeit noch komplexer hätte werden können? Oder sind wir nicht dankbar für jede weitere Minute von Wolfgang Petersens Klassiker Das Boot? Aber wer will andererseits eine noch längere TV-Version von Die Päpstin sehen? Mit Jo Baiers Historien-Drama „Henri 4" steht der nächste Vertreter dieser Sorte von Kino- und TV-Film in der Tür. Doch das ambitionierte Epos ist ein Ausfall auf nahezu allen Ebenen. Alles, was Heinrich Mann bei seinen Romanen „Die Jugend die Königs Henri Quatre" (1935) und „Die Vollendung des Henri Quatre" (1938) wichtig war, findet in Baiers Adaption kaum Platz - stattdessen artet der Film in eine höfische Freakshow-Groteske aus.

    Frankreich hat sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum mächtigsten europäischen Staat entwickelt, droht aber an einem internen Glaubenskrieg zu zerbrechen. Die katholische Mehrheit unterdrückt die zahlenmäßig stark unterlegenen Hugenotten. Doch im Süden Frankreichs, im kleinen Königreich Navarra, regt sich erbitterter Widerstand und die Hugenotten, die sich in der Position von Rebellen sehen, bekommen ständigen Zulauf, was Herrscherin Katharina de Medici (Hannelore Hoger) überhaupt nicht passt. Sie versucht, ihren Söhnen den Thron zu sichern. Doch Karl IX. (Ulrich Noethen) ist zu schwach und D'Anjou (Devid Striesow) zu weich. Währenddessen wächst Henri (Julien Boisselier), der Prinz von Navarra, zu einem statthaften Mann heran, der sich auf den Schlachtfeldern bewährt und sein kleines Volk hinter sich bringt. Er ist des Krieges leid. So nimmt er das Friedensangebot Katharina de Medicis an und heiratet deren Tochter Margot (Armelle Deutsch). Doch der brüchige Burgfrieden ist nicht von langer Dauer. Die Hochzeitsfeier endet in einem Blutbad – der Bartholomäusnacht, in der 3.000 Hugenotten niedergemetzelt werden.

    Patrice Chéreau hat das Thema schon 1994 in seinem Historienepos „Die Bartholomäusnacht" opulent und kraftvoll auf die Leinwand gebracht. Wie heute „Henri 4" war auch sein Film damals ein heikles Prestigeobjekt, die Budgets beider Werke bewegen sich im Bereich von 20 Millionen Euro, was bereits vorab enormen kommerziellen Druck aufbaut. Produzentin Regina Ziegler und Regisseur Jo Baier („Stauffenberg", „Wambo"), die „Henri 4" als deutsch-französisch-österreichisch-spanische Co-Produktion stemmen, gehen angesichts dieser Summen, die schließlich an der Kinokasse refinanziert werden müssen, ein enormes Wagnis ein. Für das ehrgeizige Projekt wurde ein internationaler Cast rekrutiert, der sich aber vor allem aus deutschen und französischen Schauspielern zusammensetzt und auch bei der Bearbeitung des historischen Stoffes verlassen sich die Filmemacher auf deutsche Vorlagen. Während sich „Die Bartholomäusnacht" auf einen Roman von Alexandre Dumas („La Reine Margot", 1845) bezieht, basiert das Drehbuch von „Henri 4" auf den beiden Büchern von Heinrich Mann.

    Interview

    Filmstarts trifft...

    ... „Henri 4"-Darstellerin Hannlore Hoger.

    Der Ansatz, keinen elegant aufpolierten Hochglanz-Historienschinken zu drehen und aus „Henri 4" einen gelegentlich auch in Schweiß und Blut getränkten Kostümfilm zu machen, ist vielversprechend. Auf dieser Ebene erreicht der Film durchaus den optischen Standard einer internationalen Großproduktion und seine in unregelmäßigen Abständen hervorbrechenden martialischen Momente sind klare Höhepunkte. In „Der Herr der Ringe"-Optik lässt Baier seine Horden teils in Zeitlupe sich gegenseitig die Köpfe einhauen. Diese Szenen haben tatsächlich so etwas wie Atmosphäre, allerdings sind die Dimensionen dieser Massaker nicht immer deutlich sichtbar, es werden nur Einblicke gewährt und kein Überblick ermöglicht. Das ungeheure Ausmaß dieser Bluttat vermittelt „Henri 4" nur unzureichend.

    Wie so oft bei misslungenen Filmen, sind auch diesmal die meisten Probleme bereits im Drehbuch versteckt, von der Komplexität der phantastischen Vorlage bleibt nicht viel übrig. Die Dialoge sind auch keine große Hilfe, zuweilen schleicht sich gar unfreiwillige Komik ein und der Film kippt in groteske Situationen. Karl IX. - ein weinerlicher Waschlappen, der von seinen Brüdern verhöhnt wird – wird von Ulrich Noethen (Schattenwelt, Ein fliehendes Pferd) derart extrovertiert und theaterhaft überzogen gespielt, dass die Figur zur Karikatur verkommt, Prinzessin Margot wird von der Frau Mutter bei Bedarf auch mal in den Hintern gebissen oder der Bruder verteilt ein paar Klapse dazu. Devid Striesow (Lichter, Yella) wandert als homosexueller Selbstgeißler D'Anjou auf ebenso schmalem Grat, kriegt aber noch die Kurve. Joachim Krol (Der bewegte Mann, Lautlos) ist lange Zeit zur Untätigkeit verdammt und rückt erst spät in den Blickpunkt, während Hannelore Hoger (Die Ehre der Katharina Blum, Rossini) nur die böse Seite der Katharina de Medici (D'Anjou: „Eure Klugheit, liebe Mutter, ist lebensgefährlich") ausspielen darf. Die Vielschichtigkeit dieser Figur, die eigentlich einen eigenen Film verdient hätte, bleibt auf der Strecke. Es ist bezeichnend, dass sie irgendwann einfach spurlos von der Leinwand verschwindet. Dagegen schlägt sich Julien Boisselier (Keine Sorge, mir geht's gut) in der Titelrolle des Henri IV. passabel, aber auch er hat keine Gelegenheit zu glänzen.

    Zu den grundsätzlichen Problemen in Dramaturgie, Dialog und Figurenzeichnung kommen noch Kleinigkeiten, die das Debakel besiegeln - wie etwa die deutsche Synchronisation der französischen Schauspieler, die mit ungewohnter Asynchronität für einen unrunden Spracheindruck sorgt. Dazu ist die Offstimme des jungen Henri zu flapsig, und Gabriela Maria Schmeide (Die Friseuse) als Maria De Medici (Henris zweite Frau) sorgt mit einem schlecht imitierten italienischen Akzent für unfreiwillige Erheiterung.

    Fazit: Viele Köche verderben bei der multi-europäischen Großproduktion „Henri 4" den Brei. Bei Jo Baiers Kinoversion des französischen Historienmythos stimmt nicht allzu viel. Die Möglichkeiten dieses faszinierenden Stoffes bleiben angesichts von schwachen Dialogen, blanken Brüsten und massenhaft fließendem Kunstblut ungenutzt, ein einleuchtender Bezug auf die Gegenwart fehlt ebenso. „Henri 4" wäre als RTL-Event-Movie der Woche besser aufgehoben gewesen. Da weiß der Zuschauer wenigstens, was ihn erwartet.

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