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    Red Corner - Labyrinth ohne Ausweg
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Red Corner - Labyrinth ohne Ausweg
    Von Andreas Staben

    Richard Gere gehört zu jenen Hollywood-Stars, die sich offen politisch engagieren und ihre Bekanntheit in den Dienst ihrer Überzeugungen stellen. Zu seinen wichtigsten Anliegen zählt der gläubige Buddhist die Unabhängigkeit Tibets von China. Seit er bei der Oscar-Verleihung 1993 offen die Regierung in Peking kritisierte, ist Gere in der Volksrepublik ganz offiziell eine unerwünschte Person. So war es nur naheliegend, dass er 1997 die Hauptrolle in Jon Avnets china-kritischem Justiz-Thriller „Red Corner" übernahm. Die aufklärerische Absicht ist dann auch unübersehbar, aber der geopolitische Aspekt des Films bleibt bei genauerer Betrachtung irgendwo zwischen Propaganda und Folklore stecken. Wer das Werk hingegen nicht an Geres Festreden oder an dem Freedom of Expression Award misst, mit dem Avnet und sein Protagonist von einer Kritikervereinigung ausgezeichnet wurden, der kann sich an einem spannenden und schnörkellosen Thriller mit klar verteilten Rollen erfreuen.

    Jack Moore (Richard Gere) ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der der chinesischen Regierung ein Paket amerikanischer Fernsehunterhaltung von zweifelhaftem Niveau verkaufen will. Nach erfolgreich angebahntem Deal genießt Jack die Freuden des chinesischen Nachtlebens und die frische Bekanntschaft des Models Hong Ling (Jessey Meng). Doch er wird von der Polizei jäh aus dem Schlaf und aus der Champagnerlaune gerissen: Hong Ling, die sich als die Tochter eines wichtigen Generals herausstellt, wurde in Jacks Hotelzimmer ermordet und die Spuren weisen auf ihn als Täter. Der Amerikaner beteuert seine Unschuld, aber das lässt das Gericht unter Vorsitz der strengen Richterin Xu (Tsai Chin) unbeeindruckt. Ein willkürlicher Prozess nimmt seinen Lauf und auch im Gefängnis wird der Verdächtige mehr als schlecht behandelt. Die amerikanische Botschaft kann kaum helfen, aber die Pflichtverteidigerin Shen Yuelin (Bai Ling) glaubt Jack und riskiert für den Fremden ihre Existenz...

    Der Justizthriller ist seit Jahrzehnten ein unverwüstliches Genre. Vielen Abläufen und Regeln gerade des amerikanischen Rechtssystem wohnt eine Dramatik inne, die wie für das Kino gemacht scheint. Rhetorische Finessen, protokollarische Tricks und Kniffe, Duelle um die Gunst von Richtern oder Geschworenen – all das hat von Klassikern wie „Anatomie eines Mordes" und „Die 12 Geschworenen" bis hin zur Welle von John-Grisham-Verfilmungen ab den Neunzigern unzählige Male für Spannung gesorgt. Oft geht es dabei um die ganz großen Fragen von Recht und Gerechtigkeit, nicht selten gerät ein Unschuldiger in die Mühlen des Systems. Das ist auch in Robert Kings Drehbuch, das ursprünglich auf die Sowjetunion gemünzt war, die Ausgangssituation, allerdings unter verschärften Bedingungen, die eine interessante Variation im so stark kodierten Genre darstellen. Denn im Rechtssystem, das in „Red Corner" porträtiert wird, spielt die Schuldfrage kaum eine Rolle: Die Partei hat bekanntlich immer recht und ihre oft wiederholte Maxime lautet schlicht „Milde für die, die gestehen; Strenge für die, die sich widersetzen". Dieser Satz steht stellvertretend für die Willkür, die hier an den Tag gelegt wird und die Filmemacher lassen keinen Zweifel daran, was davon zu halten ist und schüren gezielt die Empörung des (westlichen) Laien.

    Für den juristisch Interessierten sind die minutiös recherchierten Details chinesischer Rechtsprechungspraxis durchaus aufschlussreich, aber was im Einzelnen so stimmig und rein faktisch zu sein scheint, ist im Ganzen einer klaren Linie unterworfen: Unter Anklage steht hier letztlich der chinesische Staat. Die arroganten Parteibonzen, die strenge Richterin, mitleidlose Soldaten und brutale Handlanger sorgen für ständige Schikanen und mentale Folter. Wenn der Gefängniswärter mit sadistischem Grinsen Jacks Essensschale in der Toilette auswäscht und dann etwas Pampe nachfüllt – oder wenn sich der Gefangene im Verhörraum (übrigens echte) Exekutionsvideos ansehen muss, dann zieht Avnet alle Register und bläut uns die Botschaft vom Pekinger Unrechtsstaat förmlich ein. Die fehlende erzählerische Subtilität verhindert tiefere Einsichten in dessen Funktionsweise, aber immerhin entgeht Avnet der propagandistischen Selbstgerechtigkeit weitgehend, indem er auch die US-Diplomaten nicht allzu gut wegkommen lässt.

    Auch wenn „Red Corner" wenig aufklärerischer Wert zuzuschreiben ist, wirkt das Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Offenheit doch ehrlich und ernst gemeint. Dafür sorgt in erster Linie Bai Ling („Crank 2: High Voltage", „Dumplings"). Die chinesische Darstellerin, die mit der Annahme der Rolle durchaus auch ein persönliches Risiko eingegangen ist, lässt in ihrem engagierten Spiel eine komplexe Wirklichkeit ahnen, die ansonsten meist außen vor bleibt, trotz aufwändigster Rekonstruktionen mit CGI-Hilfe, die – wüsste man es nicht besser - glauben machen könnten, der Film sei tatsächlich in Peking gedreht worden. Die Anwältin Shen Yuelin, für die die Pflichtverteidigung zur Herzensangelegenheit wird, ist im übrigen auch die vielschichtigste Figur, obwohl sie wesentlich weniger zu sehen ist als Jack. Es zeigt sich einmal mehr auch Jon Avnets besonderes Gespür für starke Frauenrollen, das er schon in Filmen wie „Grüne Tomaten" und „Aus nächster Nähe" unter Beweis gestellt hatte.

    Richard Gere wiederum zeigt Starqualitäten und verleiht einer nicht unbedingt sympathischen Figur Charme. Wieder einmal ist er für die Frauen unzweifelhaft „Ein Mann für gewisse Stunden" und nebenbei steckt er mindestens ebensoviel ein wie beim Drill in „Ein Offizier und Gentleman". Geres Bereitschaft, Stunts selber auszuführen trägt außerdem zur Oberflächengenauigkeit des Films bei. Genau solche handwerklichen Qualitäten, zu denen neben Richard Sylberts („Chinatown") Szenenbild unbedingt auch Thomas Newmans („American Beauty") Musik und Karl Walter Lindenlaubs („Independence Day") Kameraarbeit zu zählen sind, machen „Red Corner" sehenswert. Das China-Bild hingegen ist wenig differenziert und daher nicht unproblematisch. Aber der Finger liegt unverkennbar in der Wunde: Wie kaum anders zu erwarten haben die Zensoren in Peking die Vorführung von „Red Corner" in der Volksrepublik China verboten.

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