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    Parkour
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Parkour
    Von Nicole Kühn

    Mit seinem ersten Spielfilm die renommierten Hofer Filmtage zu eröffnen, ist für jeden Nachwuchsfilmer eine Ehre. Dem düsteren Psychodrama „Parkour“ von Marc Rensing gebührt sie durchaus, ebenso wie dem Koproduzenten SWR, der mit seinem „Debüt im Dritten“ solche Filme überhaupt erst ermöglicht. Nach den Kurzfilmen „Willkommen in Walhalla“ und „Alles in Ordnung“ wagt sich der 35-Jährige an eine Thematik, die zwar alltäglich ist, aber dennoch gerne verdrängt wird: (selbst-)zerstörerische Liebe, Verlust- und Versagensangst, gepaart mit Erfolgsdruck. Dramaturgisch ausgefeilt und sehr stilsicher erzählt wird diese Geschichte von nebenan zu einem packenden Abenteuer, das in Hof zu Recht den Eastman Förderpreis und beim Fernsehfilm-Festival Baden-Baden den Nachwuchs-Förderpreis „MFG-Star“ erhielt.

    Dem selbstständigen Gerüstbauer Richie (Christoph Letkowski) kommt das unbedingte Vertrauen, das er zu sich und seinen Freunden beim Parkouring hat, in seinen sozialen Beziehungen zunehmend abhanden. Als das Abitur seiner hübschen und selbstbewussten Freundin Hannah (Nora von Waldstätten) näher rückt, wird ihm klar, dass sie die Stadt und damit auch ihn verlassen wird. Dennoch ringt er sich durch, sie bei ihrem Vorhaben zu unterstützen. Ebenso ungewollt wie unbegründet entwickelt er einen immer stärkeren Kontrolldrang, überall wittert er Betrug und Missgunst. Es finden sich immer abstrusere Gründe für eine Eifersucht, die eine unberechenbare Eigendynamik entwickelt. Der sonst so optimistische und zupackende Draufgänger wird nicht nur seinen Freunden gegenüber ruppig, er vernachlässigt immer öfter auch seine Pflichten gegenüber seinen Angestellten. Bis er plötzlich seinen Kollegen Janko (Georg Friedrich) vom Gerüst fallen lässt. Die Schuld gesteht er sich ebenso wenig ein wie seine krankhafte Eifersucht. Richie nimmt einen Kampf gegen sich selbst auf, den er kaum gewinnen kann…

    Die titelgebende Trendsportart Parkour, bei der die Läufer ohne jede Sicherung in halsbrecherischem Tempo durch, unter und über die Bauten moderner Industrie- und Stadtarchitektur jagen, macht Rensing geschickt zur Projektionsfläche der Psyche seines Protagonisten. Hier misst er sich mit seinen Partnern Nonne (Marlon Kittel) und Paule (Constantin von Jascheroff), zunächst spielerisch wie kleine Jungs, später dann mit verbissenem Ernst, an dem die Freundschaft zu zerbrechen droht. Körperlich kann ihm kaum einer was vormachen, doch in anderen Bereichen setzt ihm die Realität Grenzen. Nicht nur, dass er seine beruflich doch sehr abhängige Position unangenehm zu spüren bekommt, auch seine Freundin droht ihn zu überflügeln. Sein Rollenverständnis als Mann bekommt einen tiefen Knacks, als selbst er Hannahs Mathe-Aufgaben nicht lösen kann und stattdessen Nonne um Hilfe bitten muss.

    Langsam und unerbittlich zieht Regisseur Marc Rensing die Schrauben dieser Klemme, in die Richie sich selbst manövriert hat, Drehung um Drehung an. Das wirkliche Ausmaß von Richies Wahn, der mit schlichter Eifersucht begann, offenbart sich erst recht spät. Das gibt dem dramaturgisch konsequent aufgebauten Geschehen nochmals eine tragische Wendung. Das Eifersuchtsdrama trägt nicht zuletzt deshalb über die gesamte Länge des Films, weil das Drehbuch allen Figuren einen eigenen Hintergrund zugesteht, der jeweils noch einmal neue Facetten in die Ereignisse einbringt. Christoph Letkowski (Chaostage]), der bereits unter Frank Castorf auf der Theaterbühne und häufig vor der TV-Kamera stand, meistert die schleichende Veränderung vom Macher zum Getriebenen mit Bravour. Mit ihm wandeln sich als seine Kumpels ebenso überzeugend Marlon Kittel (Sommersturm, Die Bluthochzeit)) und Georg Friedrich (Silentium, Contact High).

    Für das Gehetztsein Richies in einem Umfeld, das ihm vom Vertrauten nach und nach zu einer unausgesprochenen Bedrohung wird, bietet die Stadt Mannheim eine perfekte Kulisse. Zu Beginn des Films kann ihn kein Zaun, keine Mauer und kein Abgrund aufhalten, durchtrainiert und athletisch bezwingt er jedes Hindernis. Seine Beziehungsängste versucht er, mit immer waghalsigeren Herausforderungen zu kompensieren, doch die kargen Rohbauten und Industrieanlagen bringen ihn an seine Grenzen. Kameramann Ulle Hadding fängt die ambivalente Faszination dieser Architektur ein, die gleichzeitig erhaben schön und bedrohlich kalt erscheint.

    Fazit: Mit seinem ästhetisch und inhaltlich durchdachten Erstling „Parkour“ weckt Marc Rensing Lust auf mehr. Jenseits aller Effekthascherei berührt der Film tief und nachhaltig. Man darf also gespannt sein auf weitere Werke des gebürtigen Westfalen, der aus Alltäglichem großes Kino zu machen versteht.

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