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    Neukölln Unlimited
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Neukölln Unlimited
    Von Christian Horn

    Das Neukölln der Boulevard-Medien ist ein finsterer Ort: Gewaltbereite Migranten, arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger und alle möglichen Randgestalten der Gesellschaft geben sich hier die Klinke in die Hand. Der Berliner Bezirk ist zu einer Chiffre für die Probleme unserer Gesellschaft geworden, wodurch etwa Detlev Buck seinem Drama Knallhart allein durch die Wahl des Schauplatzes Neukölln von vornherein mehr Bedeutung verleihen konnte. Der Dokumentarfilm „Neukölln Unlimited“ von Agostino Imondi und Dietmar Ratsch porträtiert nun eine libanesische Familie, die seit 16 Jahren um ihre Einbürgerung kämpft, und wirft dabei einen weitaus differenzierteren Blick auf den deutschen Problem-Kiez. Auf der Berlinale 2010 lief der Film in der Sektion „Generation 14plus“ und gewann dort den Gläsernen Bären. Den Preis hat der Film verdient, wenngleich er in seiner Darstellung bisweilen auf die Erzählstrategien eben jener Boulevard-Medien zurückgreift, deren Bild er eigentlich zu korrigieren versucht.

    Ein Jahr lang begleitete das Filmteam um Imondi und Ratsch die beiden Brüder Hassan und Maradona Akkouch sowie deren Schwester Lial. In Deutschland ist der Aufenthalt der libanesischen Familie nur geduldet – einmal wurde sie schon abgeschoben und eine erneute Ausweisung in den Libanon steht stets als existenzielle Drohung im Raum. Die beiden älteren Geschwister, Hassan (18) und Lial (19), kämpfen für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung und unternehmen den Versuch, den Lebensunterhalt ihrer Angehörigen auf eigene Faust zu sichern, um die Einbürgerung wahrscheinlicher zu machen. Geld verdienen beide mit ambitionierten Breakdance- und Hip-Hop-Auftritten, während der kleine Bruder Maradona (14) einen Schulverweis nach dem anderen kassiert.

    Die Dramaturgie des Films wird dabei neben der Melange aus Tanzaufnahmen und Sozialstudie vor allem von der Beziehung der Geschwister bestimmt. Hassan und Lial haben zwar ein gemeinsames Ziel, sind sich aber nicht immer einig und streiten zum Beispiel darüber, wer von beiden den größeren Beitrag für die Familie leistet. Maradona schließlich ist der Querulant: Durch seine wiederholten Schulverweise – einmal wurde er mit einem Totschläger im Schulranzen aufgegriffen – torpediert er den Wunsch der Familie nach einem dauerhaften Aufenthaltsrecht. Die Mutter steht dem Treiben des Kleinen hilflos gegenüber. Der Vater lebt nicht mehr bei der Familie und so liegt es am älteren Bruder, Maradona zur Räson zu rufen. Dass die Akkouchs also nicht nur mit dem deutschen Ausländerrecht kämpfen, sondern die Probleme schon innerhalb der eigenen Familie anfangen, stellt den dramaturgischen Antrieb von „Neukölln Unlimited“ dar. Der große Fokus auf Maradona und sein Fehlverhalten rückt den Film dabei mitunter allerdings ein wenig in die Nähe einer Doku-Soap.

    Auch die Aufnahmen von Co-Regisseur Dietmar Ratsch orientieren sich an denen einer Fernseh-Reportage. Immer wieder erinnern Stimmungsbilder an den Schauplatz und Aufnahmen vom kleinen Maradona beim Kartenspiel mit seinen Kumpels – stolz haben sie eine täuschend echt aussehende Pistole auf dem Tisch liegen – scheinen eher das landläufige Neukölln-Bild bestätigen zu wollen, als diesem Neue Zwischentöne hinzuzufügen. Zu der fernsehgerechten Aufbereitung passt auch die eindeutige Erzählweise, die zwar ohne Off-Kommentar auskommt, aber kaum eine Frage offen lässt.

    Immer wieder zurückgegriffen wird in der Erzählung auf Bilder von der Ausweisung der Familie, die der Film in animierten Szenen nachstellt. Als Urkatastrophe der Familie, die sich Deutschland zugehörig fühlt, wird diese Ausweisung verortet. Und Hassan sieht das resignierte Verhalten seines Bruders gerade darin begründet, dass dieser damals sein Vertrauen in Deutschland verloren habe – und nun eben rebelliert. Zahlreiche ähnlich einem Musikvideo geschnittene Aufnahmen von den Auftritten der beiden älteren Geschwister nebst der dazugehörigen Hip-Hop-Musik verleihen dem Film schließlich den nötigen Drive, lassen das eigentliche Thema jedoch oft in den Hintergrund treten.

    Obwohl „Neukölln Unlimited“ nicht immer die passende Form für seinen Gegenstand findet, leistet der Film einen großen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte um in Deutschland lebende Ausländer. Während die übliche Berichterstattung viel zu oft oberflächlich-reißerische Aussagen trifft und sich regelmäßig die finstersten Randgestalten aussucht, um sie von den asozialen Zuständen in der „deutschen Bronx“ berichten zu lassen, schaut „Neukölln Unlimited“ ein wenig genauer hin. Am Ende stehen die Akkouchs dann stellvertretend für die rund 100.000 in Deutschland lebenden Ausländer, denen das Aufenthaltsrecht verweigert wird – und die wohl wichtigste Aussage des Films trägt der kleine Maradona als T-Shirt-Aufdruck vor sich her: „I'm a muslim – don't panic!“

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