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    W.E.
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    W.E.
    Von Björn Becher

    Bei der Oscarverleihung 2011 stach das britische Drama „The King's Speech" die finanzstarke Hollywood-Konkurrenz aus und sahnte vier der begehrten Goldjungen ab, darunter auch der Hauptpreis für den besten Film. Neben Colin Firth brillierte vor allem Guy Pearce als Edward VIII., der seinen stotternden Bruder George mit seiner skandalösen Abdankung überhaupt erst auf den Thron katapultierte. Der Grund für den Führungswechsel: Der rechtmäßige Thronerbe unterhielt eine Affäre zur verheirateten Amerikanerin Wallis Simpson und war nicht dazu bereit, die Liaison für sein Amt zu opfern. In ihrer zweiten Regie-Arbeit „W.E." erzählt Pop-Superstar Madonna („Filth and Wisdom") nun die Geschichte rund um Edward VIII. und dessen große Liebe. Anders als Tom Hooper mit „The King's Speech" vertraut die Pop-Ikone dabei aber nicht auf die Überzeugungskraft des historischen Stoffes und installiert kurzerhand eine parallele Erzählebene im New York des neuen Jahrtausends. Die großen Opfer des Liebespaares werden dadurch aber keineswegs greifbarer, zumal sich Madonna vor allem auf die den Style ihrer Bilder verlässt und sich keine Zeit nimmt, die Tiefe ihrer Figuren auszuloten.

    In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ist der britische Thronfolger Edward VIII. (James d'Arcy) dank seines Charismas und seinen klaren Aussagen zu gesellschaftspolitischen Themen bei seinem Volk populär. Eines Tages lernt der Lebemann jedoch die verheiratete Amerikanerin Wallis Simpson (Andrea Riseborough) kennen und lieben – die Liaison zwischen dem Adligen und der Bürgerlichen wird jedoch zum Skandal. Nach nur zehn Monaten auf dem Thron beschließt Edward deshalb abzudanken und mit seiner Geliebten ins Exil zu gehen. Fast 80 Jahre später leidet die Endzwanzigerin Wally Winthrop (Abbie Cornish) an ihrer Ehe zum erfolgreichen Psychotherapeuten William (Richard Coyle). Ihr sehnlicher Kinderwunsch bleibt unerfüllt und ihr Gatte ist immer häufiger auf Reisen. Schließlich wird sie auf eine Auktion bei Sotheby‘s aufmerksam, im Rahmen derer auch der Nachlass von Edward und Wallis versteigert werden soll. Immer häufiger besucht sie die begleitende Ausstellung und beginnt sich mit der Frau zu identifizieren, nach der sie ihre Eltern benannt haben. Bald fällt sie dem russischen Einwanderer und Sicherheitsmann Evgeni (Oscar Isaac) auf, der ihr kurzerhand den Hof macht...

    „W.E." - der kryptische Titel von Madonnas zweiter Regiearbeit steht für die Initialen des berühmten Liebespaares. Weniger schnörkellos ist hingegen die Ausstattung des Filmes. Madonna weiß, wie sie ihr historisches Setting zu bebildern hat. Aufwändig gekleidet und mit prunkvollem Klunker behangen, präsentiert sie Wallis als Stilikone ihrer Zeit. Ebenso stilbewusst inszeniert die Sängerin den zweiten Handlungsstrang, wenn etwa die Kamera schwungvoll über die Dächer von Manhattan gleitet oder durch die Räume des Auktionshauses Sotheby‘s streift. Leider geht dieser unbedingte Stilwillen vor allem auf Kosten der emotionalen Zugänglichkeit der Geschichte. Die Verabreichung eines Fertilitätsmedikaments erinnert eher an hippe Drogenexzesse aus „Trainspotting", in den historischen Szenen lenken nur wenige Sekunden lange Schwarz-Weiß-Sequenzen vom Inhalt ab – authentischer werden die Bilder dadurch jedenfalls nicht. Eine penetrante Musikuntermalung und Zeitlupeneinsatz lassen dann sogar Schlüsselszenen völlig überdramatisiert wirken. Anstatt beispielsweise die Beziehung zwischen Wally und Evgeni in den Fokus zu rücken, erkundet die Kamera lieber das New Yorker Loft des Sicherheitsmannes, inklusive edlem Flügel und Rilke-Gedichtbänden in den überdimensionierten Bücherregalen. Genauso scheint sich Madonna mehr für Wallis‘ Mode zu interessieren und weniger für die Frage, was die Liebe zu Edward für die Amerikanerin an Entbehrung bedeutet haben mag – immerhin litt nicht nur ihr Gatte unter der Verächtlichkeit der öffentlichen Meinung.

    Immerhin lassen dann einige Momente Madonnas Vision zumindest erahnen. Wenn Wallis bei einer Party in den 30er Jahren zum Punk-Klassiker „Pretty Vacant" der Sex Pistols aus den Siebzigern abtanzt, dann unterstreicht das die Zeitlosigkeit der Geschichte und macht obendrein noch richtig Spaß. Solche Szenen sind jedoch rar gesät und oft wirken auch die guten Einfälle noch erstaunlich deplatziert. Beispielsweise organisiert Evgeni für Wally einen romantischen Abend inmitten der Sotheby's-Ausstellung oder ermuntert sie an anderer Stelle für 10.000 Dollar Handschuhe ihres Idols zu ersteigern. In einer romantischen Komödie à la „Pretty Woman" wären solche Momente erinnerungswürdig, in „W.E." wollen sie einfach nicht ins Bild passen – und das obwohl „Sucker Punch"-Bösewicht Oscar Isaac als charmanter Verehrer durchaus überzeugen kann. Die Beziehung zwischen Wallis und Edward bleibt hingegen trotz der hervorragenden Andrea Riseborough („Brighton Rock") völlig blutleer – viel zu oft kappt Madonna die Szenen zwischen ihr und James D‘Arcy, um wieder in die Gegenwartshandlung zu springen. Fehlt es dem Liebesdrama also vor allem an glaubhafter Liebe und Dramatik, leistet sich Madonna gegen Ende weitere Schnitzer: Nicht nur lässt sie Protagonisten über die Zeitebenen hinweg miteinander interagieren, was in unfreiwilliger Komik gipfelt - auch die persönliche Abrechnung mit der Boulevard-Presse hätte sie sich sparen können.

    Fazit: Selbst emotional kraftvolle Momente, wie die bewegende Abdankungsrede von Edward VIII., begräbt die Filmemacherin Madonna unter schwülstiger Musik und hippen Bildern. Wird die Musikerin Madonna oft zu Recht für ihren provokanten „Style over Substance" gefeiert, beweist sie mit ihrem Liebesdrama „W.E." vor allem, dass MTV und Kino zwei völlig unterschiedliche Welten sind.

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