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    Cindy liebt mich nicht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Cindy liebt mich nicht
    Von Sascha Westphal

    Kein anderes Genre hat im Lauf der vergangenen zehn Jahre einen derartigen künstlerischen Niedergang erlebt wie die romantische Komödie. Den Produzenten, Regisseuren und Drehbuchautoren Hollywoods scheint schon seit geraumer Zeit nicht mehr sonderlich viel einzufallen, darauf verweisen zumindest die vielen Sequels und Prequels wie auch die unzähligen Adaptionen von Superhelden-Comics und bizarren Fernsehserien aus den 70er und 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts. Aber bei den meisten neueren RomComs kommt zu der allgemeinen Einfallslosigkeit noch eine besonders perfide Lieblosigkeit dazu, die den Verdacht nahelegt, dass die Verantwortlichen der Traumfabrik glauben, in dem Genre könnten sie ihrem Publikum wahrhaft alles vorsetzen. Filme wie „Der Kautions-Cop" oder „Die nackte Wahrheit" sind derart holzschnittartig und spießig, dass sie selbst im Vergleich zu den biederen deutschen Beziehungskomödien der 1990er Jahre alt aussehen. Es ist also höchste Zeit, dass Filmemacher dieses sträflich vernachlässigte Genre wieder ernst nehmen und seine unendlichen Möglichkeiten auch nutzen. Einen ersten, wirklich bemerkenswerten Schritt in diese Richtung hat nun ausgerechnet eine junge deutsche Filmemacherin gemacht. „Cindy liebt mich nicht", Hannah Schweiers Spielfilmdebüt, beginnt wie eine typische romantische Komödie, entwickelt sich dann aber zu einem faszinierenden romantischen Drama mit komödiantischen Ober- und Untertönen, die diesem Verwirrspiel um die Liebe und die Angst vor ihr eine erstaunliche Komplexität verleihen.

    Maria (Anna Schäfer) ist spurlos verschwunden. Weder Franz (Clemens Schick), der als Barkeeper im „Cindy liebt mich nicht" arbeitet, noch der aufstrebende Jurist David (Peter Weiss) wissen, was aus ihr geworden ist. Dabei hatte die Krankenschwester jedem der beiden noch vor ein paar Wochen gesagt, dass sie ihn liebt. Bei Franz wollte sie sogar einziehen – zumindest dachte er das. Doch nun herrscht seit Tagen absolute Funkstille, und das bringt die beiden Männer, die nichts voneinander wissen, völlig aus dem Gleichgewicht. Als Franz durch einen Stammgast im „Cindy liebt mich nicht" von David erfährt, sucht er ihn sofort im Gericht auf. Eigentlich will keiner von ihnen etwas mit dem anderen, dem Konkurrenten, zu tun haben. Doch letztlich brauchen sie einander. Franz hat ein Auto und David ein paar Informationen. Also brechen sie gleich am nächsten Tag zu Marias Elternhaus auf – vielleicht ist sie ja dort. Aber so einfach ist es dann doch nicht.

    Wie die meisten romantischen Komödien beginnt auch „Cindy liebt mich nicht" als Spiel mit den Erwartungen des Publikums. Schon wenn sie zum ersten Mal auftreten, scheint alles über Franz und David gesagt zu sein. Die Lederjacke und die Tattoos des Barkeepers weisen ihn als coolen Einzelgänger, als eine Art Steppenwolf des beginnenden 21. Jahrhunderts, aus. Dazu passt auch Clemens Schicks („James Bond 007 - Casino Royale") distanziertes Spiel, seine leicht überhebliche Art zu sprechen – Franz, das ist einer, der niemanden an sich heran lässt, der seinen eigenen Weg geht und dabei wenig von sich investieren will. David ist – wenigstens auf den ersten Blick – das komplette Gegenteil von Franz. Mit seinen glatt gekämmten, sorgfältig gescheitelten Haaren und seinen meist grauen Anzügen wirkt er ungeheuer bieder. Bei der Staatsanwaltschaft, für die er im Moment noch in untergeordneter Funktion tätig ist, scheint er perfekt aufgehoben zu sein. Zu der großen internationalen Kanzlei, bei der er zu Beginn des Films ein Vorstellungsgespräch hat, passt er irgendwie aber nicht. Dafür macht er einfach einen zu schüchternen, zu introvertierten Eindruck. Zusammen ergeben Franz und David also fast so etwas wie den idealen Mann – insofern ist es nur konsequent, dass sich Maria beinahe gleichzeitig in beide verliebt hat.

    Soweit bewegt sich also alles noch in den gewohnten Bahnen. Aber Franz und David sind eben nicht nur Genre-Abziehbilder, sie sind auch Vertreter einer sehr realen großstädtischen Wirklichkeit. Die gleichnamige Romanvorlage von Jochen-Martin Gutsch und Juan Moreno spielt – wie sollte es auch anders sein – in Berlin und unterstreicht damit noch einmal diesen Aspekt der beinahe klassischen Dreieckskonstellation. Hannah Schweiers Adaption ist in Mannheim entstanden, so funktioniert nun einmal das deutsche Filmförderungswesen. Aber diese Verschiebung aus dem Zentrum des deutschen Zeitgeistes an dessen äußerste Peripherie ergibt durchaus Sinn.

    Berlin ist überall, zumindest in den Köpfen von Männern wie Franz und David. Die Angst vor Gefühlen, vor einer Liebe, die alles andere überschattet, die aber auch Wunden reißen kann, wird entweder durch demonstratives Desinteresse an anderen oder durch beruflichen Ehrgeiz kompensiert. Beide Lebensmodelle funktionieren in einer neoliberalen, alles auf die Idee des Marktes reduzierenden Welt erschreckend gut. Erst als Franz und David auf die Suche nach Maria gehen, ihrer Spur folgen und sich dabei nicht nur räumlich immer weiter von ihrem großstädtischen Leben entfernen, können sie sich selbst etwas befreien. Maria ist verschwunden, aber letztlich war sie eigentlich nie da. Schließlich haben beide eher eine Projektion als einen Menschen geliebt.

    Anna Schäfers Maria ist die große Leerstelle in Hannah Schweiers Erstlingswerk. Damit ist die junge Filmemacherin ein enormes Risiko eingegangen. Schließlich tritt ihre abwesende Heldin nur in Rückblenden auf, und die offenbaren nichts als den Blick der beiden Männer auf diese enigmatische Frau, die – so will es das Drehbuch – offensichtlich mit Depressionen zu ringen hat. Einmal ist sie eine unabhängige, spontane Femme fatale, die sich ohne Zögern in eine leidenschaftliche Affäre stürzt und für die Liebe sich ganz über Sex definiert. Genau so wollte Franz sie auf jeden Fall haben. In Davids Augen ist sie dagegen eher die verlässliche Freundin und kumpelhafte Begleiterin, die ihm auf seinem Weg beisteht, die ihn unterstützt und ihm ein Heim schaffen könnte.

    Dass sich diese beiden in die Vergangenheit gehenden Stränge nicht zu einen geschlossenen Bild zusammenfügen, ist die große Stärke dieser romantischen Komödie, die in ihrer unterschwelligen Tragik fast an die Shakespeareschen Komödien heranreicht. Die Rückblenden sind folgerichtig nicht mehr als wahllos verstreute Teilchen, die nicht einmal zum Puzzle gehören. Doch je näher Franz und David der Verschwundenen kommen, desto deutlicher offenbart sich eine dritte Projektion – die der Filmemacherin. Als weißer Fleck ist Maria tatsächlich das Zentrum des Films, um das alles andere kreist. Sie steht für ein Leben jenseits all der Deformationen, Lügen und Selbsttäuschungen, die nicht nur Franz und David als Selbstverständlichkeit anerkannt haben. Wie eine solche Existenz, die zwangsläufig in einen Konflikt mit dem herrschenden gesellschaftlichen Status quo geraten muss, konkret aussehen könnte, darauf gibt Hannah Schweier bewusst keine Antwort. Diesen weißen Fleck muss jeder für sich selbst mit Farbe füllen.

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