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    The Ledge - Am Abgrund
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    The Ledge - Am Abgrund
    Von Constantin von Harsdorf

    Das heute so verbreitete Bild des Menschen als selbstbestimmtes Individuum ist ein Ergebnis der Aufklärung – und damit historisch betrachtet noch verhältnismäßig jung. An den Platz christlicher Weltdeutung waren damals die modernen Wissenschaften getreten, das Ideal des Glaubens wich dem der Vernunft. Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche ging später gar so weit, Gott für im Bewusstsein vieler Menschen gänzlich tot zu erklären. Die seitdem gefühlt unzählige Male geführte Auseinandersetzung zwischen Glaube und Vernunft thematisiert Matthew Chapman nun mit „The Ledge – Am Abgrund", und zwar anhand einer verhängnisvollen Dreiecksbeziehung. Auf dem Sundance-Festival 2011 gab es dafür eine Nominierung für das beste Drama. Dabei legt Chapman seine Figuren jedoch allzu stereotyp an und erschwert den emotionalen Zugang zu seiner ohnehin streckenweise arg konstruierten Geschichte so erheblich.

    Das Leben des Polizisten Hollis Lucetti (Terrence Howard) wird von einer Sekunde auf die nächste komplett auf den Kopf gestellt. Bei einem Arztbesuch erfährt er, nicht der Vater seiner beiden Kinder sein zu können. Viel Zeit zum Grübeln bleibt ihm allerdings nicht, als er gleich darauf zum Einsatz gerufen wird. Auf dem Dach eines Hochhauses steht der junge Hotelmanager Gavin Nichols (Charlie Hunnam), fest dazu entschlossen, um 12 Uhr mittags sein Leben zu beenden. Im Dialog gewinnt Hollis nach und nach mehr Verständnis für den jungen Mann und dessen Beweggründe. Eine wichtige Rolle spielen dabei Gavins neu eingezogene Nachbarn, das Ehepaar Shana (Liv Tyler) und Joe Harris (Patrick Wilson). Der junge Hotelmanager hatte sich auf eine Affäre mit Shana eingelassen und damit eine folgenschwere Kettenreaktion in Gang gesetzt...

    Mit „The Ledge – Am Abgrund" zeichnet Matthew Chapman erstmals seit 1988 wieder für Regie und Drehbuch zugleich verantwortlich. In der Zwischenzeit war der gebürtige Brite vor allem als Drehbuchautor („Gewagtes Spiel"), Journalist und Schriftsteller tätig. Mitte der 90er entging Chapman dabei nur haarscharf einer eher unschmeichelhaften Auszeichnung, nachdem sein „Color of night"-Drehbuch für die Goldene Himbeere nominiert worden war. Bereits in seinen Büchern beschäftigte er sich mit dem andauernden Streit zwischen Glaubens- und Wissenschaftsvertretern. Nun rückt er diesen Diskurs auch in den Mittelpunkt seines filmischen Schaffens, indem er den überzeugten Atheisten Gavin und den christlich-fundamentalistischen Joe aufeinanderprallen lässt. Zwischen den beiden extremen Standpunkten positioniert Chapman mit Liv Tylers biederer Shana eine Art Vermittlerin, die zwischen den Welten steht. Wo sich Charles Darwins Ur-Ur-Enkel Chapman dabei positioniert, wird hier schnell offensichtlich.

    Viel zu schnell und eindeutig schlägt sich Chapman auf die Seite des coolen Lebemanns Gavin. Immer wieder verstrickt sich der junge Hotelmanager in einseitige Glaubensdiskussionen mit dem religiös verbrämten Joe, der dabei hauptsächlich als Stichwortgeber für die Ausführungen des eloquenten Gavin fungiert, ohne seinen eigenen Standpunkt nachvollziehbar untermauern zu können. Wenn Patrick Wilson inmitten einer dieser verbalen Auseinandersetzungen plötzlich hilflos aufsteht und mit zum Himmel erhobenen Händen weiterspricht, droht seine Figur endgültig zur bloßen Karikatur zu verkommen. Das wäre alles halb so wild, würde „The Ledge" sich gleichzeitig nicht so furchtbar ernst nehmen, wodurch die oftmals bemüht clever wirkenden Dialoge ab und an fast unfreiwillig komisch wirken.

    So liegt es an den Schauspielern, gegen die Schwächen des Drehbuchs anzuspielen. Terrence Howard als vom Schicksal gebeutelter Polizist und Charlie Hunnam als schlagfertiger Lebemann gelingt es, ihren Figuren Profil zu verleihen, ohne sich dabei nennenswert zu verausgaben. Liv Tyler hat dagegen alle Mühe, ihrer unterentwickelten Rolle interessante Aspekte abzugewinnen. Den undankbarsten Part hat Patrick Wilson als wandelndes Hardliner-Klischee, erst im letzten Filmdrittel wird Joes Standpunkt etwas zugänglicher. Gen Finale treten Chapman und seine Darsteller dann endlich aufs Gaspedal. Wenn sich die Auseinandersetzung zwischen Howard und Hunnam auf dem Hausdach zuspitzt, wird man zumindest ein wenig für die Längen des Films entschädigt.

    Fazit: Mit schablonenhaften Figuren und phrasenlastigen Dialogen lässt Matthew Chapman das Potential seines vielversprechenden Dramas „The Ledge – Am Abgrund" weitestgehend ungenutzt. Schade um die interessante und immernoch brandaktuelle Thematik!

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