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    Ehrenmedaille
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ehrenmedaille
    Von Daniel Gores

    In den Medien kursiert seit einiger Zeit das Wort von der „rumänischen Neuen Welle". Gemeint ist damit eine Reihe von Filmen aus dem südosteuropäischen Land, die in den vergangenen Jahren auf diversen Festivals starke Beachtung fanden – allen voran Cristian Mungius „Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage", der in Cannes 2007 die Goldene Palme gewann. Die auffälligste Gemeinsamkeit dieser Werke ist ihre minimalistische Inszenierung, dazu werden in ihnen oft gesellschaftliche Themen wie die Aufarbeitung von kollektiver und individueller Vergangenheit in den Fokus gerückt. Auch Calin Peter Netzer bettet in seinem Familiendrama „Ehrenmedaille" ein Einzelschicksal in den Kontext der unruhigen Geschichte Rumäniens ein. Dabei gelingt ihm mit ungekünstelten Darstellern und einer ebenso humorvollen wie melancholischen Grundstimmung ein kleines Arthouse-Juwel.

    1995. Ion (Victor Rebengiuc) lebt mit seiner Frau Nina (Camelia Zorlescu) in einer kleinen Mietwohnung in Bukarest. Die Ehe der beiden ist jedoch seit sieben Jahren nur noch ein emotionaler Trümmerhaufen. Damals hat Ion seinen Sohn Corneliu (Mimi Branescu), der das Land verlassen wollte, bei der Regierung angeschwärzt. Jener Verrat wiegt für sie so schwer, dass Nina kein Wort mehr mit ihrem Mann wechselt, während er verzweifelt versucht, eine halbwegs normale Alltagssituation aufrechtzuerhalten. Als Ion eines Tages die Ehrenmedaille für besondere Verdienste im Zweiten Weltkrieg überreicht bekommt, bietet sich für ihn die Gelegenheit, aus der verfahrenen Situation auszubrechen. Tatsächlich erntet er überall Anerkennung und auch Nina nähert sich ihrem Mann wieder vorsichtig. Dann wird allerdings festgestellt, dass bei der Vergabe der Auszeichnung ein Fehler gemacht wurde, woraufhin Ion seine Medaille wieder aberkannt wird. Das kurze Glück gerät bedrohlich ins Wanken.

    Bereits die ersten Momente dieser grandiosen Tragikomödie sind überaus überzeugend geraten und ziehen direkt in den Bann. Die Vorspanntitel werden zum Staccato einer alten Schreibmaschine auf den schwarzen Bildschirm gehämmert und dabei wird gleich ein zentrales Motiv des Films eingeführt: Die geradezu maschinelle Unbarmherzigkeit der Bürokratie, gegen die Ion ein aussichtsloses Gefecht führt, das in teils herrlich absurden Szenen an Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen erinnert. Auch bei der Einführung der beiden Protagonisten kommt Regisseur Netzer sofort auf den Punkt. Ihre auf der einen Seite sturen und auf der anderen Seite verzweifelten Äußerungen werden nie zu einem Gespräch und schrumpfen ohne Antworten auf reine Monologe zusammen. Die emotionale Kälte der Situation wird regelrecht spürbar. Mit der defekten Heizung, die so etwas wie ein Leitmotiv des Films ist, wird die frostige Gefühllosigkeit der Ehe auch optisch erkennbar. Als Ion im späteren Verlauf aufblüht, funktioniert auch die Wärmequelle wieder. Zwar ist dies ein etwas plakativer Spiegel des Seelenlebens, aber die Gefühlswelt der Personen wird durch diese bildliche Unterstützung umso greifbarer.

    Victor Rebengiuc ist eine die superbe Besetzung für den ambivalenten Ion, der nach außen hin Unbekümmertheit ausstrahlt und innerlich ein zutiefst trauriger Mann ist. In Gesprächen schleudert er seinem Gegenüber ein Dauerfeuer an Sätzen entgegen, wohingegen er in Szenen der einsamen Resignation sichtbar in sich zusammenfällt und wie paralysiert wirkt. Jene Bilder werden von einer perfekt passenden elegischen Musik untermalt, in diesen Momenten kann man nur noch Mitleid für Ion empfinden. Umso komischer in ihrer entlarvenden Absurdität sind dann die Situationen, in denen er versucht seine Unbeschwertheit aufrechtzuerhalten und den Schein zu wahren. Durch diese opportunistischen Szenen bekommt „Ehrenmedaille" eine zusätzliche Dimension, das Charakter- wie das Gesellschaftsporträt wird schlüssig abgerundet.

    Fazit: „Ehrenmedaille" ist ein pointiertes und perfekt besetztes tragikomisches Drama. Regisseur Netzer entlarvt mit leisem Humor die Tücken des Alltags und zeigt, dass das neue rumänische Kino nicht umsonst einen exzellenten Ruf genießt.

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