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    Familientreffen mit Hindernissen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Familientreffen mit Hindernissen
    Von Matthias Kaumanns

    „Familientreffen mit Hindernissen" ist kein besonders eleganter deutscher Verleihtitel für Julie Delpys neuesten Film – der einen abstürzenden Satelliten bezeichnende Originaltitel „Le Skylab" ist allerdings kaum weniger irritierend. Während also der deutsche Titel zumindest absichert, dass die Programmheft-schmökernde Kinogängerschaft nicht auf die Idee kommt, es könnte sich hier um eine Raumfahrt-Doku handeln, werden wiederum andere Assoziationen geweckt. Mit so verkrampft betitelten romantischen Komödien wie „Wie werde ich ihn los - in 10 Tagen", „Die Ex-Freundinnen meines Freundes" oder „Zum Ausziehen verführt" hat „Familientreffen mit Hindernissen" wohlbemerkt nichts gemein. Die neue Regiearbeit des französischen Multitalents Delpy („2 Tage Paris") ist eine liebevolle Komödie über ein Familientreffen und über die so unterschiedlichen Charaktere, Meinungen und Empfindlichkeiten, die dort aufeinanderprallen – und dabei, wie von Delpy zu erwarten, meilenweit vom typischen Hollywood-Einerlei entfernt.

    Auf einer stressigen Zugfahrt mit Ehemann und Kindern erinnert sich Albertine (Karin Viard) zurück an den Sommer 1979 – insbesondere an den 67. Geburtstag ihrer Großmutter (Bernadette Lafont), zu dem sie ihre Eltern Anna (Julie Delpy) und Jean (Eric Elmosnino) begleitete. Damals kamen alle Familienmitglieder samt Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen aus ganz Frankreich angereist, um an der malerischen Atlantikküste ein fröhliches Miteinander zu feiern. Es war das Wochenende, an dem der US-amerikanische Satellit „Skylab" irgendwo in der Bretagne abstürzen sollte. Niemand schien an diesem Tag sonderlich besorgt darüber zu sein – niemand außer der elfjährigen Albertine (Lou Alvarez)...

    Auf eine stringente Handlung hat Julie Delpy verzichtet – doch was ihrer Spät-70er-Rückschau in puncto Dramaturgie abgeht, macht ihre detailverliebte Schilderung der Verrücktheiten ihrer sehr lebendigen Figuren wieder wett. Die Familienmitglieder wirken allesamt wie echte Originale. Und auch wenn der ein oder andere Auftritt eines besonders schrägen Verwandten mal nah an der Karikatur entlangschrammt, behält Delpy die Integrität ihrer Figuren immer genau im Auge – die des senilen Großvaters, des eigenwilligen Onkels, der seine unspektakulären Geschäftsideen preist oder des pubertären Enkels, den die alten Leute bloß langweilen und der am Strand Mädchen beeindrucken will. Das ist nur ein Bruchteil der Konstellationen, die von Delpy über fast zwei Stunden mit sicherem Gespür für Situationskomik ausgelotet werden. Das pointiert gestaltete 70er-Jahre-Setting macht den Film dann gleich noch einen Tick charmanter.

    Wenn sich die Erwachsenen am Esstisch über ihre politischen und ethischen Gesinnungen streiten, stimmt Delpy aber auch ernste Untertöne in ihrer weitestgehend leichtfüßigen Komödie an. Mit klarem Blick beschreibt sie, wie die teils scharf gegensätzlichen Überzeugungen der verschiedenen Familienmitglieder zu den großen Themen der späten 70er aufeinanderprallen - Albertines Eltern etwa sind strikt links und antiautoritär, der abgehalfterte Onkel dagegen ist ein Kriegsveteran. Seinen Höhepunkt findet der abendliche Schlagabtausch schließlich in der Nacht. Und plötzlich erinnert „Familientreffen mit Hindernissen" dann an Augenblicke aus Thomas Vinterbergs Dogma-Film „Das Fest". Besonders eine irritierende Schlafzimmer-Szene gen Ende bietet einen starken Kontrast zum beschwingten Auftakt.

    Trotz dieser Zuspitzungen entgleitet Delpy der Film jedoch nie in Richtung überstilisierte Familiengroteske. Hier steht letztendlich weniger ein etwaiges Familien-Inferno, als vielmehr eine leise melancholische Coming-of-Age-Geschichte im Vordergrund. Und damit rückt auch der ominöse Satellit „Skylab" wieder in den Fokus. Der ist freilich nicht mehr und nicht weniger als eine auf dem Silbertablett angereichte Metapher: Die Angst der 11-jährigen Albertine vor einer drohenden Katastrophe dient hier als Ausdruck der diffusen Furcht vor dem Ende der Kindheit. Dieses Ende vollzieht sich in kleinen Schritten, etwa bei ihrer ersten Regelblutung oder wenn sie sich das erste Mal verliebt. Dass die Satelliten-Metaphorik nicht besonders elegant ist, lässt sich jedoch leicht verschmerzen, da Delpy das mit diesen Episoden einhergehende komödiantische Potential ausgiebig nutzt.

    Fazit: Julie Delpys beschwingte Komödie „Familientreffen mit Hindernissen" ist mit einem gelungenen Balanceakt zwischen warmem Humor und ernsten Zwischentönen ein wunderbares Gegenmittel zum lautstark polternden Hollywood-Sommerkino.

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