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    Geliebtes Leben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Geliebtes Leben
    Von Daniela Leistikow

    In „Geliebtes Leben" des südafrikanischen Regisseurs Oliver Schmitz geht ein namenloses Gespenst um. Wie sehr einem die Adaption des Jugendbuchs „Worüber keiner spricht" von Allan Stratton gefällt, hängt vor allem davon ab, wie lange es dauert, bis man die wahre Natur des schaurigen Schattens erkennt. Wer wirklich tief in das Drama hineingezogen werden will, sollte den Gang ins Kino deshalb mit möglichst wenigen Vorkenntnissen antreten.

    Der zwölfjährigen Chanda (Khomotso Manyaka) wird in ihrer Heimat im südafrikanischen Township Elandsdoorn eine glänzende Zukunft vorausgesagt. In der Schule ist sie sehr erfolgreich, weshalb ihre Mutter Lilian (Lerato Mvelase) sowie ihre drei Geschwister zu Recht stolz auf sie sind. Als ihre einjährige Schwester plötzlich stirbt, verändert sich Chandas Leben jedoch schlagartig. Ihr Vater verschwindet, ihre Mutter erkrankt schwer und Chanda muss die Beerdigung des Babys alleine organisieren und sich zugleich auch noch um ihre beiden Geschwister kümmern. Die Dorfbewohner zerreißen sich unterdessen die Mäuler über Chandas Familie. Das junge Mädchen ahnt, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber das Grauen, das ihre Mutter und die anderen Erwachsenen vor ihr zu verbergen scheinen, bleibt auch für sie lange Zeit ein unaussprechliches Tabu...

    „Geliebtes Leben" geriet beim Filmfestival in Cannes zur überraschenden Sensation. Film-Guru Roger Ebert und andere US-Kritiker lobten das Drama über den grünen Klee. Sogar von einem möglichen Oscar war plötzlich die Rede. Doch dieser überragende Eindruck, den „Geliebtes Leben" beim unbedarften Zuschauer hinterlässt, droht aufgrund der wachsenden Bekanntheit des Films zu verpuffen: Je mehr er vor dem Ansehen über den Film weiß, desto weniger kann sich der Zuschauer in die Lage der jungen Protagonistin versetzen. Wer sich nicht zusammen mit Chanda fragt, worauf die spitzen Bemerkungen der resoluten Nachbarin Mrs. Tafa (Harriet Lenabe) anspielen, und wie sich das sie umgebende Tabu brechen ließe, für den verliert „Geliebtes Leben" sehr an Spannung.

    Mrs. Tafa ist dabei die ambivalenteste Figur: Einerseits hilft sie Chanda, indem sie auf ihre Geschwister aufpasst. Andererseits scheinen ihre Lügen, zumindest in den Augen von Chanda, die Lage der Familie noch zu verschlimmern. Lügen und Tratsch scheinen in „Geliebtes Leben" teils gefährlicher als das namenlose Schreckensgespenst, dessen Namen weder Chanda noch der lästernden Nachbarschaft über die Lippen kommt. Laut Mrs. Tafa ist es schließlich sehr viel wichtiger, was andere von einem halten, als was man selbst über sich denkt.

    Das aus dem gedankenlosen Gerede auch schnell mal bitterer Ernst werden kann, wird an Chandas bester Freundin Esther (Keaobaka Makanyane) deutlich: Das ganze Dorf ist der Meinung, Esthers Rock sei zu kurz, weshalb ihr nachgesagt wird, sie würde anschaffen gehen. Aber am Ende ist es erst dieses Gerücht, das die Zwölfjährige dazu bringt, ihren Körper zu verkaufen. Ganz nach dem Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert..." Chanda hingegen kämpft bis zum bitteren Ende um ihre Ehre und das Ansehen ihrer Mutter, die wegen des nachbarschaftlichen Getuschels schließlich sogar das Dorf verlässt. Weil die Auswirkungen der Gerüchte sehr detailliert und differenziert dargestellt werden, gleitet „Geliebtes Neben" niemals in die Sphären eines moralinsauren Tränendrüsendrückers ab.

    „Geliebtes Leben" war für die Mehrzahl der mitwirkenden Schauspieler die erste Filmerfahrung, weshalb es umso bemerkenswerter ist, wie überzeugend sie ihre emotional durchgeschüttelten Rollen verkörpern. Ihre mangelnde Erfahrung merkt man ihnen nur in ganz wenigen Momenten an, etwa wenn die Chanda-Darstellerin Khomotso Manyaka in einer gewalttätigen Szene gen Ende an die Grenzen ihrer physischen Darstellungsfähigkeit stößt. Abgesehen davon hat Regisseur Oliver Schmitz aber durchweg beeindruckende Leistungen aus seinen teils sehr jungen Schützlingen herausgekitzelt.

    In den letzten 30 Minuten von „Geliebtes Leben" vollführt der deutschstämmige Oliver Schmitz noch einmal eine dramaturgische Kehrtwende. Hier liegt es ganz am Zuschauer selbst, wie er diesen Kniff interpretiert. Die einen werden darin ein herbeigezaubertes Happy End erkennen, das allzu abrupt auf die ansonsten eigentlich sehr melancholische Grundstimmung folgt. Aber vielleicht ist das gefällige Ende aber ja auch nur eine Wunschvorstellung der Protagonisten, das einzig und allein in Chandas Kopf stattfindet.

    Aber egal wie das Ende auf einen wirkt: „Geliebtes Leben" lässt ein oftmals formelhaft abgearbeitetes Thema in einem neuen Licht erscheinen. Dieser frische Wind sowie die überzeugenden Laiendarsteller trösten locker über das etwas zu kryptische – und je nach Auslegung vielleicht auch zu märchenhafte – Finale hinweg.

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