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    Shit Year
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Shit Year
    Von Robert Cherkowski

    Alt werden – für viele Schauspielerinnen im Hollywood-Kreis der Jungen und Schönen ist das eine Qual, die sich auch durch den Gebrauch von eimerweise Botox nur vorübergehend lindern lässt. Wer seine Jugend nach einem glamourösen Leben im Blitzlichtgewitter langsam aber sicher schwinden sieht, während die nächste Generation bereits ins Rampenlicht drängt, wird darüber nicht selten depressiv. In seinem späten Meisterwerk „Die Sehnsucht der Veronika Voss" ergründete der deutsche Autorenfilmer Rainer Werner Fassbinder das Schicksal einer welken Schauspieldiva, die an den Verschmähungen von Produzenten und Publikum zerbricht. Auch Jungregisseur Cam Archer widmet sich der verflixten Thematik mit seinem zweiten Spielfilm „Shit Year" und lässt Altstar Ellen Barkin als verblassende Schauspielerin Colleen West den Traum vom würdevollen Rückzug träumen.

    Nachdem sie den Herbst ihrer Karriere mit Off-Broadway-Theaterproduktionen bestritt, will sich Colleen (Ellen Barkin) nun gänzlich aus dem Geschäft zurückziehen. Der Glanz ist verflogen und sie will selbstständig entscheiden, wann sie sich aufs Altenteil zurückzieht, statt vom Diktat des Jugend- und Schönheitswahns entwürdigt und aussortiert zu werden. Zu einer stabilen Beziehung hat sie es nie gebracht, dementsprechend einsam wird ihr Lebensabend verlaufen. Das scheint sie jedoch nicht zu stören. In einem schicken kleinen Haus abseits der Metropole L.A. zieht sie sich zurück und genießt die Ruhe, während sie in Gedanken in einer letzten Liebschaft mit dem jungen Schauspieler Harvey (Luke Grimes) schwelgt. So dauert es nicht lange, bis sich dann doch der erste Einsamkeitskoller einstellt. Außerdem verzweifelt sie am Lärm einer nahen Baustelle und an ihrer nervtötend-freundlichen Nachbarin Shelly (Melora Walters)...

    Mit Ellen Barkin ist Cam Archer ein wahrer Glücksgriff für die Rolle der alternden Schauspielerin gelungen. Dies könnte ihre Geschichte sein – oder zumindest eine Geschichte, die sie viel angeht. In den Achtzigern („The Big Easy", „Sea Of Love") sah es so aus, als stünde ihr ein großer Durchbruch als Femme Fatale mit Herz bevor. Aufreizend und mit kühler Erotik zog sie die Blicke auf sich, doch immer war da ein kleines Augenzwinkern, das sie von den üblichen Sexbomben abhob. A Star was born? Leider nicht. Zu komplex schien ihre Leinwandpersona, so dass ihr der große Durchbruch doch verwehrt blieb. Stattdessen blieb sie eine verlässliche Frau für einprägsame Nebenrollen, etwa als Calamity Jane in Walter Hills „Wild Bill" oder als Robert De Niros leidgeprüfte Frau in „This Boy's Life". Ihr Alter stellte sie zunehmend furchtlos zur Schau - man erinnere sich nur an ihre Auftritte als stutenbissige Karrieristin in Antoine Fuquas „Gesetz der Straße - Brooklyn's Finest" oder als betörte Ganovin in „Ocean's Thirteen". Ja, das darf in Hollywood durchaus als mutig gelten, zumal sie dabei immer noch „sexy as hell" rüberkommt. Wenn ihr in „Shit Year" ein junger Schauspieler verfällt, wirkt das so auch nicht konstruiert.

    Die Beziehung selbst jedoch leidet an völliger Bezugslosigkeit. Viel zu sagen haben sich Colleen und Harvey nicht. Vielmehr bleibt er ein Schönling, der zur ödipal verklärten Grande Dame aufschaut, die sich wiederum an seiner Jugend labt. Die zum Scheitern verurteilte Liaison erstarrt schnell in Posen, die kalt lassen sollen –und dies auch tun. Bloß Melora Walters als leicht verblödete, aber herzensgute Nachbarin Shelly kann Barkin hier das Wasser reichen. In ihr personifiziert sich die Banalität eines bürgerlichen Glücks, das Alter und Langeweile kaum übertünchen kann. Das Lächeln wirkt wie festgetackert, der gebetsmühlenartige Small Talk wie eine verzweifelte Maßnahme gegen die Stille. Jede freie Minute wird mit allerhand dümmlich-zwecklosen Hobbies wie dem Basteln von Puppen aus alten Äpfeln totgeschlagen. Die Begegnungen zwischen ihr und Colleen, die ihr permanent leisen Spott entgegnet und doch nur gegen eine Wand tumber Freundlichkeit anrennt, sind die Highlights von „Shit Year". Für kurze Augenblicke werden die Figuren dabei zugänglich, bevor sie wenig später wieder in kühler Künstlichkeit untergehen.

    Abgesehen von Barkin und Walters bleibt lediglich ein ebenso anstrengender wie angestrengter Gestaltungswille hängen. Oft scheint es, als wolle sich Jungfilmer Archer mit seiner aufdringlich-prätentiösen Inszenierung selbst zum eigentlichen Hauptdarsteller aufschwingen. Seien es die minutenlangen Einstellungen, die Ultranahaufnahmen, die ach so geheimnisvollen Impressionen vom nächtlichen Wald und den Zeitlupenbildern vom Flug der Späne auf einer nahegelegenen Waldbaustelle: Hier soll eine träumerische Atmosphäre heraufbeschworen werden, die der vermeintlichen Schwere des Thema gegenübersteht. Warum? Gute Frage. Archer hat sich in seiner L'art pour l'art verlaufen. Schön anzuschauen sind seine visuellen Kabinettsstückchen beizeiten schon, bloß nicht schön genug, um zu übersehen, dass hier ein Studentenfilm mit Starbesetzung auf Spielfilmlänge gestreckt wird.

    Tatsächlich wirkt „Shit Year" phasenweise wie eine böswillige Parodie eines versponnenen Kunstfilms. Archers offen erkennbare Vorbilder reichen dabei von Andy Warhol über Kenneth Anger („Scorpio Rising") bis zu E. Elias Merhige („Begotten") und John Cassavetes („Gesichter"). Die meiste Zeit sieht „Shit Year" jedoch aus, als hätte Ingmar Bergman einen Calvin-Klein-Spot gedreht. Kann man Kunstkino in dieser Form heute noch ernst meinen und nehmen – oder sollten junge Filmschaffende lieber kategorisch von derartigen Kraftmeierein absehen? Regie, das bedeutet auch einschätzen können, welche Visualität, welches Tempo, welche Stimmung zu welcher Geschichte passen. Es bleibt die Einsicht, dass Kunst nach wie vor von Können kommt und nicht von Wollen – „Shit Year" aber ist trotz einer starken Hauptdarstellerin und hübschen Bildern durch und durch gewollt.

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