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    Train Man
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Train Man
    Von Andreas R. Becker

    Filme über Helden gibt es eine ganze Menge und durchaus nicht alle dieser Akteure haben sich bewusst zu diesem Lebenswandel entschieden. So auch ein schüchterner Computernerd, der in einer U-Bahn nur halbfreiwillig eine attraktive junge Frau vor einem besoffenen Pöbler bewahrt und sich anschließend auch ein bisschen in sie verguckt. Aus Dankbarkeit schickt die Errettete dem Retter wenig später ein Paket mit feinem Porzellan. Überfordert mit der neuen Situation des Heldenda- und Verliebtseins schüttet der verklemmte Nickelbrillenträger sein Herz in einem Chatroom aus: „Train Man“ ist geboren und erhält fortan von seinen Netzfreunden nicht nur seelischen Beistand, sondern auch einen Crashkurs in Liebessemiotik („Meint sie damit, dass...?“) und handfeste strategische Ratschläge für den Eroberungsfeldzug.

    Regisseur Masanori Murakami, der bislang TV-Episodendramen über eine Riege junger Synchronschwimmer („Waterboys“) und die Problematik der Korea-Japaner („Tôkyô-wankei - Destiny of Love“) drehte, liefert mit der Liebeskomödie „Train Man“ ein gelungenes Kinodebüt ab. Wie so oft, schrieb die Geschichte des Films auch hier das so genannte wahre Leben. 2channel (sprich: „ni channeru“) ist ein japanisches Internetforum, und mit mehr als zehn Millionen Besuchern das größte weltweit. In den Monaten März bis Mai des Jahres 2004 berichtete dort ein sozial etwas unbeholfener Otaku1 von seinem Erlebnis in einer U-Bahn, bei dem er eine junge Frau vor einem Übergriff bewahrt und dann versuchte hatte, mit den Ratschlägen Dritter ihr Herz zu gewinnen – erfolgreich2. Aufgrund der hohen Popularität von 2channel verbreitete sich die märchenhafte Geschichte schnell im Lande: Eine gedruckte Fassung der Posts aus dem Forum erschien, vier Mangacomics, eine Fernsehserie und Murakamis Spielfilm folgten. Letzterer machte den Train Man (Densha Otoko) und seine Freundin Hermes, die ihren Namen dem Hersteller des verschenkten Porzellans verdankt, endgültig zu Berühmtheiten. Ein Nebeneffekt war, das auch die Subkultur der Otaku durch den Train Man an Aufmerksamkeit gewann: So soll es ein kleines Kino in Tokio gegeben haben, das jedem Zuschauer, der sich als Otaku ausgab, einen Rabatt auf die Eintrittskarte gewährte.

    Eine solche ist aber auch ohne Rabatt zweifelsohne ihren Preis wert. „Train Man“ ist ein frischer und erheiternder Film, dessen Charaktere im Wesentlichen auf Klischees aufbauen. Mit diesen wird aber so liebevoll umgegangen, dass man allesamt irgendwie sympathisch finden muss. Auch das Gros der Schauspieler überzieht seine Rollen so, dass man selten ohne zumindest zu schmunzeln zur Leinwand aufschaut. Dabei wird aber zum Glück nie die prekäre Grenze von Penetranz und Karikierung überschritten, die ins Nervtötende führen würde. Eine Ausnahme zum Overacting bildet dabei die mysteriöse Erscheinung Hermes’. Irgendwo zwischen geheimnisvoll-sachlicher Kühle und einem warmen Lächeln weiß nicht nur Train Man bis zum Ende des Films nicht so recht, woran er bei ihr eigentlich ist.

    Originell sind vor allem Murakamis Methoden, die räumlich getrennten User für den Zuschauer zusammenzuführen. Während es inhaltlich immer wieder reale (so wird eine bestimmte Teemarke zum witzigen Knotenpunkt) wie fiktive (Train Man trifft seine Freunde in einer U-Bahn-Station im Traum) Ereignisse gibt, die sich ständig kreuzen, werden auch formal einige Register gezogen. So hat man zum einen die zunächst klassische Splitscreen-Technik bemüht, die aber durch das dynamische Verschieben der einzelnen Fenster aufgelockert wird (vgl. „Nicht auflegen“), was dem Zuschauer auch die Entscheidung offen lässt, welchem der Chatter er gerade seine Aufmerksamkeit schenken will. Zu Beginn des Films fliegen ein paar Buchstaben durchs Bild, oder Teile des Chattextes sind auf Wänden oder Möbeln, mit dem Vorder- oder Hintergrund der Einstellung verwoben und geben dem Film einen innovativen Anstrich, der sich auch am Schnitt erkennen lässt. Apropos Schnitt. Frei nach dem Motto „Im Krieg und in der Liebe“ werden zwischendurch immer mal wieder düstere Szenen mit einigen Soldaten auf dem Schlachtfeld gezeigt, die von der Internetgemeinde mit heroischen Kommentaren versehen werden und den Stand der „Schlacht“ ironisieren. Überhaupt macht „Train Man“ (fast) nie den Fehler, sich selbst zu ernst zu nehmen und gerät scheinbar nur ganz kurz gegen Ende doch in die Gefahr, im Kitsch zu ersaufen. Spätestens ganz am Schluss jedoch wird die Liebesspirale so hoch gedreht, dass man auch beim zu erwartenden Happy End herzhaft lachen kann. Trotz dieser Tatsache fehlt dem Handlungsstrang nie das entscheidende Quäntchen an Spannung und Ernsthaftigkeit.

    Alles in allem fesselt einen das visuell ansprechend inszenierte Schicksal unseres U-Bahn-Helden ebenso wie die instruierenden Mitstreiter. Bleibt also nur zu hoffen, dass nicht nur das zu erwartende US-Remake, sondern auch das geistreiche Original auf den deutschen Markt drängen kann. Neben den vielen herzhaften Lachern wird dem Zuschauer auch wohl eine der unorthodoxesten Liebeserklärungen der Filmgeschichte geboten. Übrigens: Gerüchten zufolge ist der echte Train Man immer noch glücklich mit seiner Porzellanfrau liiert...

    1) Ein dem Japanischen entliehener Begriff, der eine besondere Form übertriebener Anhängerschaft bezüglich Animes und Mangas bezeichnet. Die englische Ausgabe von Wikipedia bietet eine umfangreiche Begriffshistorie an: http://en.wikipedia.org/wiki/Otaku. Interessant ist dabei auch, dass der Originaltitel des Films eigentlich Densha Otoko lautet, wobei Densha zwar Zug, Otoko aber eben nicht im einfachen Sinne „Mann“ bedeutet.

    2) Die project.DENSHA Seiten haben sich übrigens eine kompletten Übersetzung der Originalposts in Englische verschrieben. Wer also die Drehbuchgrundlage und das Schicksal des echten Train Man lesen will, sollte http://www.rinji.tv/densha/ besuchen.

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