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    The Strange Saga Of Hiroshi The Freeloading Sex Machine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Strange Saga Of Hiroshi The Freeloading Sex Machine
    Von Andreas R. Becker

    „The Strange Saga Of Hiroshi The Freeloading Sex Machine“ – schräger Titel, schräger Film. Aber Yuji Tajiris Einstünder ist nicht einfach eine x-beliebige, kurzweilige und vergnügliche Sexkomödie. Vielmehr steht er in der inzwischen 40-jährigen Tradition eines weltweit einzigartigen Filmgenres aus Japan, dem so genannten „Pink Movie“ (jap.: pinku eiga). Aufgrund seiner spezifischen Produktionsbedingungen hat dieser Branchenzweig mit inzwischen 5.000 Filmen einen Ausstoß hervorgebracht, der wohl so vielgestaltig wie seine Filmemacher und am ehesten noch mit der hiesigen Softcore-Pornographie [1] vergleichbar ist.

    Letztere und „weiche“ Erotika sind innerhalb Deutschlands inzwischen gesellschaftlich scheinbar weitgehend akzeptiert: Der Playboy steht längst nicht mehr als alleiniger Vertreter seiner Art im Zeitschriftenregal und Erotikfilme gibt es regelmäßig und unverschlüsselt ab 23 Uhr im Fernsehen zu sehen. Diesen Tatsachen zum Trotz sind Filme, in denen der Liebesvollzug selbst die erste Geige spielt, völlig aus dem Kino und damit aus einer öffentlichen Rezeptionsweise durch die breite Masse verschwunden und zur Privatsache geworden: Nicht nur den Porno holt man doch eher unauffällig aus der Videothek, auch der Playboy und Vox werden vorzugsweise im stillen Kämmerchen konsumiert. Das war – auch in Deutschland – nicht immer so. Man erinnere sich zum Beispiel an den aufklärenden Sexfilm der 70er Jahre: Nicht wenige eindeutig schlüpfrige Filmtitel bringen einen beim Durchblättern von Verleihkatalogen zum Schmunzeln und wohl jeder erinnert sich an die unzähligen „Schulmädchenreport“-Teile, die seinerzeit noch die Gemüter erregten. Ganz zu schweigen vom berüchtigten „Deep Throat“, der sogar weltweit in den Kinos Karriere, und erst jüngst mit der Dokumentation Inside Deep Throat wieder von sich reden machte.

    Was aber hierzulande, von einigen schmuddeligen Pornokinos abgesehen, aus dem öffentlichen Leben völlig verschwunden ist, bildet in Japan seit mehr als vier Jahrzehnten und bis heute einen festen Bestandteil der Kinolandschaft und ein wichtiges Sprungbrett ins Filmgeschäft: Der Journalist Minoru Murai taufte 1963 eine besondere Sorte Filme auf den Namen „Pink Movies“, schlicht aufgrund der darin gezeigten Menge an nackter Haut.

    Mit einem Taschengeld von nach wie vor etwa 25.000 umgerechneten Euro [2] muss ein solcher Pink Film dann in weniger als einer Woche abgedreht sein und der Regisseur nach Drehende eine gewisse Anzahl an Sexszenen vorweisen können. Damit ist der Katalog an Vorgaben seitens der Produzenten aber auch schon erledigt, entsprechend ist die Bandbreite an ästhetischen und inhaltlichen Ergebnissen nicht weiter verwunderlich: Als politisch linksgerichtetes Sprachrohr diente der Pink Film (vor allem in seiner ersten Dekade) ebenso wie für extrem brutale und sadomasochistische Bilder und war dabei trotz allem oft wunderschön anzuschauen (z.B. „Wife To Be Sacrificed“). Nach einem Abstecher in den harmloseren Roman Porno (Abk.: Romantic Pornographic) in den 70er und frühen 80er Jahren widmen sich zeitgenössische Vertreter insbesondere „reflexivere[n] Darstellungen von Beziehungen junger Paare im modernen Japan“ [3].

    In gewissem Sinne tut dies auch Yuji Tajiris „The Strange Saga Of Hiroshi The Freeloading Sex Machine“, der alles hält, was sein skuriller Titel verspricht: Hiroshi (Mutsuo Yoshioka) sieht die attraktive Haruka (Rinako Hirasawa, die auch bereits Erfahrung aus härteren Produktionen mitbrachte) und nach kürzerem Vorgeplänkel und einem unvermittelten Schnitt sind die beiden auch schon heftig im Schlafzimmer zu Gange. Das bleibt dann genregerecht auch für den Rest des Films so: Zwischen der banalen Handlung wird gerammelt, was das Zeug hält, weniger vulgäre Bezeichnungen würden der Sache kaum gerecht. Langweilig wird es dabei allerdings nie, denn Tajiris selbsterklärte Absicht, einen Film zu machen, der Sex nicht ernst, sondern als Triebfeder für einen besonderen Humor nimmt, ist voll aufgegangen. Irgendwo gegen Ende der Härteskala, die bei Blümchensex beginnt und Dampfhammerkopulation endet, wird man Hiroshi und Haruka begegnen. Und zwar so wunderbar übertrieben in Szene gesetzt, dass kein Auge trocken bleibt. Blickwinkel, Mimik und lauthalse Stöhnkulisse der Darsteller wechseln sich ab mit zwischengeschnittenen Szenen tänzelnder Möbel, umstürzenden Hausrats und welchen in der darunter liegenden Wohnung. Dort lenkt ein Freund der beschäftigten Mutter ihren Sohn aus erster Beziehung mit Reis und Nudeln vom herunterschallenden rhythmischen Lärm ab. Mehr als einmal wird während des Treibens gewandt mit offensichtlich transnationalen sexuellen Klischees gespielt und der auflachende Zuschauer beim Schlafittchen gepackt. Am Ende sind dann selbstredend alle Stellungen bedient, einschließlich der obligatorischen Lesbenszene. Trotz allen Humors ist die Inszenierung der beiden Liebhaber nicht nur komisch, sondern auch ästhetisch wertvoll und damit ein exzellentes Beispiel für einen interessanten Nebeneffekt der Pink Filme: Die rigide japanische Zensurpolitik, die bis in die 90er Jahre jegliches Zeigen von Schamhaar, Genitalien oder vollkommen nackter Körper strengstens untersagte und auch heute noch zum Beispiel Aufnahmen von Penetration verbietet, machte die Autoren erfinderisch. In der Konsequenz waren nicht nur die Filme an sich grundverschieden, sondern es konnten sich auch phantasievolle und mannigfaltige Formen von Erotika entwickeln, die sich von der genitalzentrierten westlichen Pornographie grundlegend unterscheiden.

    Aber eine kurzweilige Inszenierung von Sex macht noch lange keinen ganzen Film, selbst keinen Pink-Film. Umso erfreulicher, dass bei der seltsamen Saga auch das Drumherum äußerst gelungen ist. Denn trotz ihrer physisch erfüllten Beziehung bleiben auch Hiroshi und Haruka nicht verschont von dem einen oder anderen klassischen Dilemma. Denn „Sexmachine“ versteigert sich unversehen in das obskure Hobby der Heuschreckenkämpfe, die er mit den arbeitslosen Männern des Dorfes ausficht. Da fühlt sich seine Angetraute, die nicht das erste Mal die Aufmerksamkeit ihres Kerls an zirpende Insekten verloren hat und ihre Felle davon schwimmen sieht, doch stark vernachlässigt und ergreift drastische Maßnahmen. Zwischendurch wird auch noch beidseitig fremdgegangen und inmitten all dieses Chaos steckt Harukas aufgeweckter Junge, der einem mit seiner kindlichen Schläue schnell ans Herz wächst. Einen schmierig-ominösen Eindruck hinterlässt Harukas gealterter Ex-Freund, der gleichzeitig noch die Rolle ihres Vermieters und Seitensprungs einnimmt und Hiroshis Heuschrecken-Endgegner werden soll.

    Bei allen inhaltlichen Wirren ist Tajiris Werk eine Freude für das Auge. Denn so sind die Sexszenen nicht nur tadellos fotografiert, sondern ergänzen durch ihren eigenen Bildwitz den Humor des Films. Zum Beispiel indem auch gleich der Ort des Beischlafs selbst ein riesiges Phallussymbol aus Stahlbeton ist. Auch alle übrigen Szenen leuchten in kräftigen Farben in der Sonne, ob am gelben Strand oder einer saftigen, grünen Wiese. Untermalt werden sie zumeist von hypnotischen Rhythmen, deren Ursprung manchmal auch direkt im Bild zu finden ist, wenn Haruka die Hände über ihre Trommel fliegen lässt. Neben der treibenden Musik dringen einem aber in erster Linie Dialoge ins Ohr, die so überraschend unverblümt und treffend sind, dass man aus dem Lachen kaum herauskommt. Da kann es auch durchaus vorkommen, dass die Bettgenossin während des Aktes im Freien kurzerhand links liegen gelassen wird, wenn der messerscharfe Blick ein vielversprechendes Kampfgetier am Boden entdeckt: „Eine Kakerlake!“ Dennoch: In ihren wenigen ernsteren Momenten vermag die Saga sogar eine gewisse Form meditativer Nachdenklichkeit zu entfalten und eine dünne Schicht Besinnung unter aller Oberflächlichkeit erahnen zu lassen, vor allem während des äußerst unverhofften Endes.

    Keine Frage, „The Strange Saga Of Hiroshi The Freeloading Sex Machine“ ist ein Angriff auf einen Großteil der Sehgewohnheiten eines westeuropäischen Kinogängers. Aber nur auf einen Großteil. Denn trotz aller Fremdheit bietet das bunte Kuddelmuddel genug kulturübergreifende Anschlusspunkte, die ganz ohne Worte funktionieren. Und wer den Sprung ins kalte Wasser drumherum nicht scheut, erlebt eine skurille, wilde und leichtfüßig erzählte Geschichte, die meist gar nicht erst versucht, sich selbst ernstzunehmen und für eine gute Stunde absolut unorthodoxe Unterhaltung bietet. Die ließ sich zumindest das kleine Weltpremierenpublikum bei der Nippon Connection 2006 in Frankfurt hörbar gefallen. Zur Freude von Regisseur Yuji Tajiri, der noch zu Protokoll gab, dass von den 600 eingesetzten Statistenkakerlaken leider keine den Dreh lebend überstanden hat.

    [1] Im Gegensatz zur (Hardcore)-Pornographie, die auf offene Weise tatsächliche sexuelle Handlungen vorführt, zeichnet sich der Softporno (oder der Sex- oder Erotikfilm) durch eine weniger explizite Darstellung aus. In der Regel ist nicht nur eine vergleichsweise anspruchsvollere Handlung im Film vorhanden, sondern wird der Geschlechtsakt hier nur simuliert. Ebenfalls werden die Geschlechtsorgane nie im erregten bzw. geöffneten Zustand gezeigt, sodass entsprechende Softcorefilme im Deutschen in der Regel eine FSK-16-Freigabe erhalten und zu von der Landesrundfunkanstalt festgelegten Zeiten auch im Spätabend- bzw. Nachtprogramm des Fernsehens gezeigt werden dürfen.

    [2] Bevor Murai 1963 den Begriff vom „Pink Movie“ prägte, wurden die Filme deshalb auch als „Drei-Millionen-Yen-Filme“ (sanbyakuman eiga) tituliert

    [3] Sharp, Jasper: „Pink Films“. In: Pressetext zu „The Glamorous Life Of Sachiko Hanai” von Rapid Eye Movies, S. 4

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