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    Captive
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Captive
    Von Ulf Lepelmeier

    Isabelle Huppert goes Asia – die französische Ausnahmeschauspielerin verkündete bei den Internationalen Filmfestspielen in Busan, dass sie nunmehr verstärkt mit asiatischen Regisseuren zusammenarbeiten und so an dem lebendigen und innovativen Kino Asiens teilhaben wolle. Brillante Mendozas Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Captive" markiert Hupperts Einstieg in die Filmlandschaft des Kontinents; mit Hong Sang-soos „In Another Country" folgt auf den Filmfestspielen in Cannes im Mai 2012 bereits ihre nächste asiatische Produktion. Im auf wahren Begebenheiten basierenden Entführungsdrama „Captive" verkörpert Huppert die Missionarin Thérèse Bourgoine, die mit einigen Touristen und Einheimischen als Geisel im philippinischen Regenwald festgehalten wurde. Mendoza, dessen semidokumentarische Filme sich vor allem durch seine Gabe zur präzisen Beobachtung auszeichnen, tritt hier als stiller Begleiter einer Gemeinschaft aus Gefangenen und Entführern auf der Flucht vor dem Militär auf. Distanziert beleuchtet er, wie die in dieser Extremsituation aufeinander angewiesenen Menschen mit ihren gegensätzlichen Gefühlen und Moralvorstellungen aufeinanderprallen.

    Im Jahr 2001 entführen Mitglieder der islamischen Abu-Sayyaf-Separatistengruppe Touristen und Entwicklungshelfer aus einer Ferienanlage auf einer südphilippinischen Insel. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion laden sie die verängstigten Menschen, unter denen sich auch die Missionarin Thérèse Bourgoine (Isabelle Huppert) und ihre gebrechliche einheimische Kollegin Soledad (Rustica Carpio) befinden, auf ein Boot und lassen Lösegeldforderungen an deren jeweilige Botschaften durchgeben. Für einen Großteil der Entführten beginnt eine fast ein Jahr währende Hatz durch den philippinischen Dschungel. Dabei haben die Geiseln neben den natürlichen Urwaldgefahren und den unberechenbaren Geiselnehmern auch die Angriffe des philippinischen Militärs zu fürchten, dem das Schicksal der Unschuldigen vollkommen egal zu sein scheint...

    Die Themen Schuld und Vergebung sind eine Konstante in Brillante Mendozas Filmographie und rückten in seinen jüngsten Werken „Kinatay" und „Lola", in denen der Regisseur sich mit den Konsequenzen von Mord für Täter und Angehörige der Opfer auseinandersetzte, noch stärker in den Mittelpunkt. Auch in „Captive" begleitet der Filmemacher wieder Menschen in einer Ausnahmesituation, er legt seinen Fokus dabei auf die Beobachtung des sich ständig wandelnden, fragilen Beziehungsgefüges zwischen Geiseln und Entführern sowie der Versuche der Figuren sich mit der heiklen Lage zu arrangieren. Mit einer sehr agil eingesetzten Handkamera findet Mendoza die passenden unruhigen Bilder für die ständige Anspannung, die Angst und die Niedergeschlagenheit der Gefangenen. Dazu versieht der Regisseur seinen dokumentarisch anmutenden Film ähnlich wie den düsteren Vorgänger „Kinatay" mit einer bedrohlich im Hintergrund wabernden Elektrosoundkulisse auf, die maßgeblich zur Spannung der Dschungelhatz beiträgt.

    So sorgfältig er die intensive Atmosphäre aufbaut, so sparsam zeichnet Mendoza die geopolitischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge seines Entführungsdramas. Er geht nicht näher auf die Hintergründe des islamischen Terrors ein und lässt die Forderungen der Abu-Sayyaf-Gruppe nach einem unabhängigen islamischen Staat auf den Südinseln der Philippinen gar nur auf den finalen Texttafeln durchscheinen. Den Terroristen scheint es hier weniger um politisch-religiöse Ziele als vielmehr bloß um Geld zu gehen. Während die Entführer auf die Erfüllung ihrer Lösegeldforderungen drängen, wollen die Entführten nichts anderes als ihre Freiheit und verlieren im Laufe ihrer Gefangenschaft immer mehr die anfänglichen Hass- oder Rachegefühle gegenüber ihren Peinigern.

    Isabelle Huppert („Die Klavierspielerin", „8 Frauen") ist der große Star des Films, doch Mendoza inszeniert sie nicht als zentrale Figur oder Anführerin der Geiseln, vielmehr erscheint sie nur als eine Gefangene unter vielen. Huppert nimmt sich weitestgehend zurück, ihrer faszinierenden Leinwandpräsenz tut das jedoch keinen Abbruch. Wenn sie vor einer von den Entführern beauftragten Journalistin, die nach all den Monaten mit ihrem Bericht das öffentliche Interesse an den Geiseln neu entfachen soll, von ihren Ängsten spricht, von dem Gefühl der Verlassenheit und ihrer Sehnsucht nach Kindern und Ehemann, ist dies zutiefst ergreifend. Allerdings lässt Mendoza derartig gefühlvolle Momente viel zu schnell verklingen. Seinem Konzept einer neutralen und nüchternen Inszenierung entsprechend kostet er diese Szenen nie aus. So hält er auch sein Publikum auf Distanz, während seine Figuren zwischen alltäglichen Beiläufigkeiten und hochdramatischen Ereignissen mit ihren Gefühlen zu kämpfen haben.

    Fazit: Brillante Mendozas „Captive" ist die kühl inszenierte Beobachtung einer andauernden Krisensituation – und ein inhaltlich hochspannender Film über Zorn und Zuneigung zwischen Opfern und Tätern.

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