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    Cold Fish
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Cold Fish
    Von Ulf Lepelmeier

    Das Filmfestival Nippon Connection widmete seine Retrospektive im Jahr 2011 dem japanischen Enfant Terrible Sion Sono („Suicide Club", „Strange Circus"), der mit seinem monumentalen Werk „Love Exposure" einen unvergleichlichen Genretrip schuf. Mit seinem morbid-schwarzhumorigen Horrorthriller „Cold Fish" fügt der Exzentriker seinem Oeuvre eine weitere Kinogrenzerfahrung hinzu. Zunächst dreht sich die grausige Massenmördergeschichte noch vergleichsweise gemächlich um die dysfunktionale Familie des angepassten Zierfischhändlers Shamoto. Doch als sich Murata in dessen Leben drängt, nimmt die Story Fahrt auf und schaukelt sich beständig zur bitterbösen Horrorsatire hoch, um schließlich in einem ungeheuer destruktiven Finale zu münden. Blutig und von tiefschwarzem Humor durchsetzt – „Cold Fish" ist harte Filmkost, bei welcher der Protagonist während des niederschmetternden Finales nicht umsonst ausruft: „Life is pain".

    Der beständige Konflikt zwischen Shamotos (Mitsuru Fukikoshi) junger, zweiter Frau Taeko (Megumi Kagurazaka) und dessen rebellierender Tochter Mitsuko (Hikari Kajiwara) aus erster Ehe belastet die dreiköpfige Familie und insbesondere den sich nach Harmonie sehnenden Familienvater, der sein Geld als Betreiber eines kleinen Fachgeschäftes für Tropenfische verdient. Als die Tochter zum wiederholten Male beim Stehlen erwischt wird, hilft ihr der wohlhabende und äußerst freundlich wirkende Murata (Denden) aus der prekären Situation. Es stellt sich heraus, dass der hilfsbereite Fremde mit seiner Frau (Asuka Kurosawa) ebenfalls im Zierfischgeschäft tätig ist. Er lockt Shamoto mit einer geschäftlichen Partnerschaft und bietet der durchtriebenen Mitsuko eine Stelle als Verkäuferin in seinem Fischparadies an. Doch der schöne Schein trügt: Murata ist ein Massenmörder, der Shamoto genüsslich in seinem Netz aus Abhängigkeit und Angst zappeln lässt und ihn in einen Abgrund sexueller Perversion und Gewalt hinabzieht...

    Immer haarscharf an den Grenzen des guten Geschmacks und gänzlich gegen die gängigen Sehkonventionen arrangiert Regisseur Sion Sono seinen zynisch-satirischen Film über einen Massenmörder, der seine Opfer auf akribische Weise zerstückelt und nach getaner Arbeit die Fleisch- und Knochenreste in die Natur zurückführt. Inspiriert von einem wahren Fall, in welchem ein japanischer Hundezüchter 58 Menschen ermordete und deren Körper gänzlich entmaterialisierte, kreiert Sono einen Film über Abhängigkeit, Perversion und den Ausbruch aus moralischen Konventionen und Zwängen. Die Brutalität wird dabei mit einer durch schräge Figuren und hanebüchene Situationen etablierten grotesken Komik garniert.

    Zentraler Schauplatz für die Gräueltaten ist eine abgelegene Holzhütte im Wald, in welcher die Opfer Muratas einen von ihm zelebrierten Verarbeitungsprozess durchlaufen. Für Murata ist dieser mit all seinen christlichen Zeichen wie eine Art Kapelle anmutende Ort ein Refugium, ein blutiger Spielplatz - und zugleich Bezugspunkt zu einem Kindheitstrauma. Sono, der seinen Film wieder einmal mit reichlich religiöser Symbolik versieht, interessiert der perverse Genuss, welchen Murata mit seiner ihm hörigen Frau verspürt, wenn sie gemeinsam die Leichen in minutiöser Arbeit vollends zerstückeln, die Knochen verbrennen und die nun zur Unkenntlichkeit zerkleinerten Fleischstücke den Fischen im nahe gelegenen Bach verfüttern.

    Das Publikum folgt dem Geschehen dabei aus der Perspektive des armen Shamoto, der unfreiwillig immer tiefer in den Gewaltstrudel gezogen wird. Der auf ihm lastende Druck als Mitwisser und Helfer bei den Gräueltaten, sowie als ständig von Murata schikaniertes und herausgefordertes Erpressungsopfer, wächst dabei beständig an. Und so scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis der ruhige Shamoto entweder zusammenbricht oder dazu gezwungen sein wird, selbst aus dem Korsett gesellschaftlicher Moralvorstellungen auszubrechen. Insofern geht Sono in „Cold Fish" auch der Frage nach, was geschehen muss, bis die zivilisatorische Membran durchstoßen ist und Bedürfnisse ohne jegliche Bedenken und Hemmschwellen ausgelebt werden.

    Der japanische Komiker Denden („Uzumaki") verkörpert Massenmörder Murata auf einnehmende Weise als raffinierten, geisteskranken Mann und verstörendem Dauergrinsen, der keinerlei Barrieren in seinem Leben kennt. Hervorragend spielt insbesondere auch Mitsuru Fukikoshi („Samurai der Dämmerung") als zurückhaltender Protagonist Shamoto auf. Fukikishi lässt das Entsetzen und die Abscheu vor Muratas Taten im Antlitz des unterwürfig, beinahe passiv agierenden Shamoto erfahrbar werden und stellt auf herausragende Weise den späteren Wandel seiner Figur dar. Pervers und schwarzhumorig ist Sion Sonos auf einem wahren Massenmörderfall basierendes Werk über Abhängigkeit und Abgründigkeit, das sich wie ein Karussell des Grauens beständig schneller dreht.

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