Mein Konto
    Genius - Die tausend Seiten einer Freundschaft
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Genius - Die tausend Seiten einer Freundschaft
    Von Carsten Baumgardt

    Er gilt als einer der sprachmächtigsten Autoren der amerikanischen Literatur: Thomas Wolfe, Verfasser des monumentalen Romans „Schau heimwärts, Engel“ (nicht zu verwechseln mit Tom Wolfe, der „Fegefeuer der Eitelkeiten“ geschrieben hat). Im Zentrum des bei der Berlinale 2016 uraufgeführten Literatur-Dramas „Genius“ steht allerdings nicht der schillernde Schriftsteller, sondern der Mann dahinter: Star-Lektor Max Perkins. Und nach dem Abspann darf jeder für sich selbst bewerten, wem Regisseur Michael Grandage nun seinen Titel gewidmet hat: Wolfe oder Perkins? Genial waren sie beide auf ihre je eigene Weise. Theaterspezialist Grandage fabriziert bei seinem Kinodebüt gediegenes, hübsch anzuschauendes Arthouse-Kino, dem trotz der nebenbei durchaus überzeugend eingefangenen Vitalität der Roaring Twenties noch ein paar Ecken und Kanten mehr gut getan hätten.

     

    New York, 1929: Der extrem extrovertierte Schriftsteller Thomas Wolfe (Jude Law) ist von jedem Verlag in der Stadt abgewiesen worden, doch Max Perkins, Lektor beim renommierten Verlagshaus Charles Scribner’s Son, glaubt an sein Talent. Er hält den Autor für einen ungeschliffenen Diamanten und will das vielversprechende Mammut-Manuskript von Wolfes Debütroman „O Lost“ um 300 Seiten erleichtern, wovon der Künstler allerdings wenig begeistert ist. Die gemeinsame Arbeit an dem Buch verläuft entsprechend konfliktreich, doch der schließlich unter dem Titel „Schau heimwärts, Engel“ veröffentlichte Roman wird zu einem gefeierten Erfolg. Als Wolfe dann allerdings eine 5000 (!) Seiten lange Rohfassung seines zweiten Romans „Von Zeit und Strom“ vorlegt, eskalieren die Probleme zwischen Lektor und Autor. Unterdessen droht Wolfes Beziehung mit der verheirateten Kostümdesignerin Aline Bernstein (Nicole Kidman) zu zerbrechen und auch Perkins vernachlässigt seine Frau Louise (Laura Linney) und die fünf Töchter.

    „Genius“ basiert auf A. Scott Bergs preisgekrönter Biografie „Max Perkins: Editor Of Genius“. Der Lektor bleibt auch in Michael Grandages Film die Hauptperson, doch der zentrale Konflikt, das dramatische Herzstück, ist auf der Leinwand ganz klar Perkins‘ schwierige Beziehung zu seinem Protegé Thomas Wolfe. Die beiden Protagonisten könnten dabei kaum gegensätzlicher sein, nur die Liebe zur Literatur eint sie. Der introvertierte, in sich ruhende, aber dennoch äußerst ehrgeizige Perkins ist ein akribischer und präziser Arbeiter, der die Dinge gekonnt auf den Punkt bringt, während der leidenschaftliche Wolfe in mehrfacher Hinsicht kaum zu bändigen ist: Er befindet sich ständig in Bewegung, die Worte sprudeln förmlich aus ihm heraus – sei es im Gespräch oder auf dem Papier. Eine einfache Szene, in der jemand an einem Bahnsteig auf einen Zug wartet, breitet er in einem wahren Schaffensrausch auf 80 Seiten aus. Diesem genialischen Sprachjongleur sind überschwängliche Gesten ebenso wenig fremd wie ein unübersehbarer Hang zum Größenwahn: Jude Law („Sherlock Holmes“) steht entsprechend unter Volldampf, sein Wolfe ist ein wahrhaft Besessener, was auch schauspielerisch einen reizvollen Kontrast zum souverän-kontrolliert agierenden Colin Firth („The King’s Speech“) ergibt – auch wenn dieser Gegensatz der Temperamente ganz gewiss nichts Neues in der Literatur- und Filmgeschichte ist.

    Bei der Arbeit an Wolfes Manuskripten sprühen zwischen den beiden so unterschiedlichen Männern die kreativen Funken, wobei die von der Leidenschaft für die Kunst durchdrungenen Szenen aus der literarischen Werkstatt naturgemäß stärker von ihrer Atmosphäre leben als von ihrer Dramaturgie. So wirkt „Genius“ erzählerisch zuweilen etwas statisch, aber dafür wird umso deutlicher, welch gewichtigen Anteil der Lektor am Erfolg des Autors hat. Perkins hat im Übrigen auch F. Scott Fitzgerald (Guy Pearce) entdeckt und dessen berühmten „Der große Gatsby“ lektoriert, während ein junger Mann namens Ernest Hemingway („The Wire“-Star Dominic West) unter den Fittichen der genialen Literatur-Hebamme erst richtig aufblühte. Die Einblicke in Perkins‘ beruflichen Alltag sind ungewöhnlicher Stoff für ein Biopic, die zwischenzeitlichen Ausflüge in das Privatleben der Protagonisten wirken dagegen pflichtschuldig und nicht immer schlüssig. Besonders die markigen Auftritte von Nicole Kidman („Königin der Wüste“) als Wolfes Geliebte Aline Bernstein irritieren in ihrer Sprunghaftigkeit: Wenn sich in dieser unglückseligen Liebschaft langsam der Wahnsinn Bahn bricht, bleibt das Publikum außen vor.

    Fazit: „Genius“ ist das etwas andere Biopic: In Michael Grandages gefälligem Drama steht weniger der heutzutage als großer Poet verehrte Thomas Wolfe im Fokus als dessen Lektor Max Perkins.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top