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    Spieglein Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Spieglein Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen
    Von Jan Hamm

    Tarsem Singh ist ein echtes Regie-Chamäleon. Vor wenigen Monaten noch schwelgte der indische Bildermagier mit seinem experimentellen Sandalenfilm „Krieg der Götter 3D" in grimmigem Pathos. Mit „Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" vollführt er nun eine abrupte Kehrtwende und bringt einen skurril-launigen Märchenspaß auf die Leinwand. Allerdings verlangt er seinem Publikum nach „Krieg der Götter 3D", der irgendwo im Niemandsland zwischen Mainstream-Spektakel und Kunstkino angesiedelt war, auch diesmal wieder ein gehöriges Maß an Offenheit ab. Sein vierter Spielfilm ist eine zuckersüß-subversive Märchenromanze, ein alberner Slapstick-Schabernack mit satirischer Schlagseite. Dabei tippt Singh Probleme an, die in der Traumfabrik ungerne thematisiert werden: Jugend- und Schönheitswahn, die dümmlichen Klischees romantischer Komödien, den Umgang mit Minderheiten. Die opulente Ausstattung trägt wiederum unverkennbar Handschrift des „The Fall"-Regisseurs, aber der neue Singh ist entspannter, zwangloser als seine Vorgänger, aber er ist dennoch unverkennbar ein Singh – und so werden Kritik und Publikum sich wohl auch diesmal nicht einhellig für den Film begeistern. Dabei steht allen, die sich drauf einlassen, ein ebenso originelles wie anspielungsreiches Kino-Vergnügen in Aussicht.

    Brav erträgt das Waisenkind Schneewittchen (Lily Collins) den tristen Alltag im Palast der fiesen Königin (Julia Roberts). Als es erfährt, dass seine hochwohlgeborenen Eltern einem Putsch eben dieser Königin zum Opfer gefallen sein sollen, reift es jedoch zur kleinen Rebellin heran. Derartige Anschuldigungen lässt die Despotin freilich nicht auf sich sitzen. Und so findet sich Schneewittchen bald verstoßen und einsam in einem dunklen Wald wieder. Die vermeintlich so gefährlichen Wald- und Wiesen-Unholde entpuppen sich allerdings schnell als quietschfidele Zwerge (u.a. Jordan Prentice, Martin Klebba, Ronald Lee Clark), die auf gefederten Stelzen durchs Unterholz sausen. Gemeinsam mit den kleingewachsenen Räubern fasst Schneewittchen den Plan, die böse Königin zu stürzen. Die hat währenddessen einen gewissen Prinz Alcott (Armie Hammer) zur Jagd auf ihre Rivalin abkommandiert. Dumm nur, dass sich der Adelsmann dabei Hals über Kopf in Schneewittchen verliebt...

    Und damit beginnt ein herrlich absurdes Liebeschaos, in dessen Verlauf reihenweise Hollywood-Klischees zerlegt werden. So ist die böse Königin hier nur deshalb so böse, weil sie genau durchschaut hat, wie schnell Frauen mittleren Alters von der neuen Riege junger hübscher Dinger überschattet werden. Mit sichtbarem Vergnügen spielt Julia Roberts ihre Königin als zynische Antwort ihrer Generation auf derartige Hollywood-Mechanismen – und was die alternde Despotin da nicht alles erdulden muss! Wenn sie im Zuge einer Schönheits-OP via Bienenstich die Lippen aufgespritzt bekommt, einmal tief ins Schlammbad getunkt wird und ihre Hände schließlich von kleinen Fischen sauber geschleckt werden, verulkt Singh nicht nur voyeuristische TV-Formate wie das RTL-Dschungelcamp.

    Indem Singh diese Szene wie einen Drogenrausch à la Darren Aronofsky („Requiem for a Dream") inszeniert – als einen schnellen Kick, der nur als hastig geschnittene Bildercollage erlebt wird –, verweist er ebenso auf den Suchtcharakter ständiger Verjüngungskuren. Nicht minder bissige Untertöne lässt er seine Zwerge anstimmen, wenn sich die kleinwüchsigen Männer in ihrer Waldbehausung weit jenseits des königlichen Beauty-Tempels darüber beklagen, dass man in der Zivilisation keinen Platz und keine Verwendung für sie habe. Es ist Singh hoch anzurechnen, dass er nie mit dem erhobenen Zeigefinger fuchtelt, sondern den kritischen Subtext verspielt in hemmungslosem Klamauk unterbringt.

    Besonders Armie Hammer („J. Edgar") demonstriert dabei wunderbares komödiantisches Timing. Sein Prinz Ascott, der zwischenzeitlich dank eines Serums zum treudoof hechelnden Männerhündchen der Königin mutiert, ist so irre dämlich, dass Hammer das einzig Richtige tut, sich auf die Seite des Publikums schlägt und seine Figur einfach nicht ernst nimmt. Ähnlich schamlos spielt Lily Collins („Atemlos - Gefährliche Wahrheit") ihr Schneewittchen als himmelschreiend naives Mädchen, das erst langsam den Mut findet, die rosarote Brille zumindest zeitweise abzulegen. Ihre kleinwüchsigen Co-Darsteller stauben derweil die wenigen emotionalen Augenblicke des Films ab – alleine schon deshalb, weil die Beziehungen und Konflikte im Zwergenheim im Gegensatz zur Ménage à trois zwischen Schneewittchen, Ascott und der Königin keine bloße Farce sind.

    Wie die größten Pfauen stolzieren die Drei hier im prunkvollen Kostümplunder durch eine hochgradig künstliche Märchenlandschaft – gelegentlich wirkt „Spieglein Spieglein" wie die erste inoffizielle Realverfilmung Disney'scher Märchenphantasien. Damit stellt Singh seine überbordende Optik erstmals ganz in den Dienst eines Films, statt seine Erzählungen um kunstvolle Leinwand-Gemälde herum aufzubauen. Dass der Regisseur diesmal pragmatischer inszeniert, bedeutet wiederum auch, dass Fans seiner perfektionistischen Ästhetik hier nur bedingt auf ihre Kosten kommen. Denn mit den erhabenen Plateaus eines „The Fall" können sich der königliche Thronraum oder die geradezu bescheidene Zwergenbehausung schlichtweg nicht messen.

    Fazit: In „Spieglein Spieglein" spielt Regisseur Tarsem Singh wieder einmal vergnügt und wunderbar eigenwillig mit Erzähl- und Darstellungskonventionen. Dabei fehlt seiner verschnörkelten Märchenvariation ein wenig die Geradlinigkeit – was er durch seinen Einfallsreichtum jedoch locker ausgleicht.

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