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    Geständnisse
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Geständnisse
    Von Ulf Lepelmeier

    Tokios Gouverneur Shintaro Ishihara bezeichnete die unermessliche Natur- und Atom-Katastrophe, die Japan im März 2011 heimsuchte, als eine Strafe für den Konsumrausch und den Werteverfall in der japanischen Gesellschaft. Er sprach gar von einer „Himmelsstrafe", die eine reinigende Wirkung haben könnte. Und Tetsuya Nakashimas bitterem Psycho-Drama „Confessions" folgend ist diese Reinigung längst überfällig. Mit seinem neuen Werk zeichnet der für seine extrem farbenfrohen und visuell-verspielten Filme bekannte Regisseur ein desillusionierendes Bild einer unmoralischen und ziellosen japanischen Jugend. In bedrückenden Zeitlupenaufnahmen stellt Nakashima die Jugendlichen einer Mittelschule als nach Aufmerksamkeit heischende Meute dar, die ohne Gnade agiert und von Mobiltelefonen und sozialen Netzwerken besessen ist. Mit audiovisueller Brillanz präsentiert, zeichnen schmerzliche Geständnisse von Schülern und Lehrern ein abgründiges Bild einer Generation, welcher der Glaube an die Zukunft abhanden gekommen zu sein scheint.

    Die 7. Klasse einer Tokyoter Mittelschule ist nervtötend laut und tanzt ihrer bemühten Klassenlehrerin Yuko Moriguchi (Takako Matsu) auf der Nase herum. Diese sieht mit Engelsgeduld und distanzierter Höflichkeit über all die Ausschweifungen hinweg. Niemand hört auf ihre Worte, Schüler verlassen den Raum nach Belieben – der Chaoszustand ist hier Alltag. Und dann das: Yuko berichtet mit ruhiger Stimme, dass zwei Schüler dieser Klasse ihre kleine Tochter Manami ermordet haben. Vor allen Mitschülern breitet sie die Gräueltat von Klassenprimus Shuya Watanabe (Yukito Nishii) und Naoki Shimomura (Kaoru Fujiwara) aus, die sie in ihren Ausführungen nur als Schüler A und B bezeichnet. Und Yuko hat Rache geschworen - die HIV-Verseuchung zweier Milchpäckchen ist da erst der Anfang...

    Regisseur Tetsuya Nakashima („Memories of Matsuko") bleibt seinem markanten Stil treu, größte Dramatik in hochästhetischen Bildern zu inszenieren. „Confessions" spielt zwar wieder mit verschiedenen visuellen Formen samt einer Musicalszene, ist aber in seiner Stimmung stringenter und vor allem düsterer geraten als die vorherigen Werke des Regisseurs. Ausgehend von dem knapp halbstündigen Eröffnungsmonolog der Lehrerin folgen weitere Geständnisse und Betrachtungen, welche die Hintergründe der Gewalt skizzieren und so ein komplexes, sich aus unterschiedlichen Perspektiven zusammensetzendes Storygeflecht ergeben. Die bunte Farbpalette, waghalsige Genresprünge und ausgelassen-spaßige Schlenker gehören für Nakashima der Vergangenheit an - in „Confessions" herrschen schwarz-weiße Töne vor und der Zeitlupeneffekt entwickelt sich zum zentralen Ästhetisierungsinstrument.

    Visuell wie auch inhaltlich sind die zermürbenden Geständnisse hochgradig stilisiert. Mit größter Akribie visualisiert Nakashima beispielsweise wie Milch, Wasser und im Laufe der Zeit immer öfter Blutstropfen auf Flächen aufschlagen und schafft damit einen Unheil verkündenden, rauschartigen Rhythmus. Dabei werden die minutiösen Zeitlupensequenzen immer wieder grob durch schnell geschnittene Szenen oder Handydisplayanzeigen unterbrochen. Trotz der Drosselung rasanter Stil- und Stimmungswechsel bietet „Confessions" auch im Vergleich zum Oeuvre des Regisseurs immer noch ein Füllhorn an visueller Extravaganz und wartet mit einigen Reminiszenzen zum japanischen Horrorgenre sowie einem starken Soundtrack auf, der sich zwischen The XX und Radiohead bewegt.

    Die Schauspieler hauchen dem überdreht inszenierten Film Leben ein - allen voran Takako Matsu als Yuko Moriguchi, die hinter ihrer höflichen Fassade düstere Rachephantasien ersinnt. Dabei erinnert die Lehrerin in ihrem unbändigen Vergeltungswillen an die Protagonistin in Chan-Wook Parks „Lady Vengeance". Die talentierten Jungdarsteller Yukito Nishii und Kaoru Fujiwara verleihen ihren Schülern A und B eine bemerkenswerte Mehrdimensionalität. Stark ist auch Yoshino Kimura, die als Mutter von Schüler B eine Tour de Force durchleidet, gleichzeitig in ihrem Perfektionsstreben aber ebenso eine beängstigende Seite offenbart.

    Die Kontrastierung von Unschuld und Durchtriebenheit, blühender Schönheit und abgründiger Zerstörung sowie hektisch geschnittenen Szenen und videoclipartigen Zeitlupeneinstellungen dominieren den Film. Die Bildkompositionen offenbaren dabei eine Welt voller Widersprüche und eine Jugend, die an diesen Widersprüchen scheitert. Nakashima hütet sich davor, vorschnelle Antworten auf die Problematik einer gewaltbereiten Jugend zu formulieren. Kühl und durchgestylt, fast wie ein zweistündiges Musikvideo, mutet seine ungemütliche, berührende und aufwühlende Spurensuche an. Vor allem die Geständnis-Sequenzen - die „Confessions" - hallen lange nach und schreien eine Forderung nach mehr Aufmerksamkeit und Menschlichkeit in die Welt hinaus.

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