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    Im Bazar der Geschlechter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Im Bazar der Geschlechter
    Von Christian Horn

    Für Ehebruch sieht das schiitische Rechtssystem des Irans die Steinigung vor, unehelicher Geschlechtsverkehr wird mit 100 Peitschenhieben geahndet. Doch es gibt ein Schlupfloch, das vermehrt junge, unverheiratete Paare nutzen und an dem die Mullahs ordentlich mitverdienen: Je nach Höhe des Brautgeldes können für die Dauer von einer Stunde bis zu 99 Jahren Ehen auf Zeit geschlossen werden, die den Sex legitimieren und daher bezeichnenderweise auch Lustehen genannt werden. Für die einen gilt diese Praxis als Legalisierung der Prostitution, für andere stellt sie einen Schritt der iranischen Frauen in ein selbstbestimmteres Leben dar. Die iranisch-stämmige Regisseurin Sudabeh Mortezai, die seit einigen Jahren in Wien lebt, zeichnet in ihrem Dokumentarfilm „Im Bazar der Geschlechter" ein Bild dieser Tradition. Während die Filmemacherin sensibel mit ihrem schweren Stoff umgeht und einen insbesondere für Außenstehende informativen Einblick liefert, hapert es doch bisweilen an der technischen und ästhetischen Umsetzung.

    Sudabeh Mortezai begleitet drei Protagonisten, um die gesellschaftliche Institution der Zeitehe aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Eine alleinerziehende Mutter, ein Junggeselle und ein junger Mullah geben bereitwillig Auskunft über ihre Erfahrungen, wobei sich schnell Widersprüche ergeben: So feiern die iranischen Mullahs die Zeitehe als Institution, die die verhasste Prostitution unterbindet. Dabei handelt es sich letztlich um eine Legalisierung derselben, wenngleich das Wort „Ehe" etwas anderes, nämlich etwas Heiliges suggeriert. Mortezai berichtet sogar davon, dass alleinstehenden Männern bei einer Hotelübernachtung Werbezettel mit Zeitehe-Angeboten unter der Zimmertür durchgeschoben werden. Für junge Frauen und Männer ist die Zeitehe eine legale Möglichkeit zum Ausprobieren ihrer Sexualität, wie der von Mortezai begleitete Junggeselle berichtet. Außerdem sei es für ein Ehepaar leichter, eine Mietwohnung zu bekommen. Materielle Vorteile sind es schließlich auch, die alleinerziehende Mütter von der Zeitehe überzeugen.

    Wie der Vorspann verrät, gab es so etwas wie Zeitehen schon bei Mohammed. Auf einer Pilgerreise sollten sich die Männer zur sexuellen Befriedigung Frauen auf Zeit nehmen und diese für ihre Dienste bezahlen, empfahl der Prophet. Heute sind es die Mullahs, die diese Praxis befürworten und als Sieg über die Unzucht begrüßen. Dass sie die Schieflage zwischen einer Befürwortung der Zeitehe und einer strikten Ablehnung von Prostitution und außerehelichem oder vorehelichem Sex nicht wahrnehmen, mag auch an den finanziellen Vorzügen liegen, welche die Organisation der zeitlich begrenzten Ehe bringt: In eigens eingerichteten Heiratsbüros verdienen die Mullahs an der Verheiratung auf Zeit mit. Bereitwillig und durchaus munter gestatten die Geistlichen der Regisseurin Einblick in die Geldzählabteilung, in der sich die Heiratsgebühren bündelweise stapeln.

    Sudabeh Mortezai verweist zwar auf offenkundige Widersprüche in der iranischen Gesellschaft, bleibt in ihrer Schilderung jedoch wertfrei und erweist sich als neutrale und aufmerksame Beobachterin, die letztlich vor allem Denkanreize und keine vorgefertigte Stellungnahme liefert. Einen emotionalen Zugang zum Thema erreicht sie durch die Einbindung der drei unterschiedlichen Protagonisten, die ihre jeweils eigene Sichtweise kundtun. Da sie diese reflektierte Schilderung überraschend humorvoll und unterhaltsam aufbereitet, sind die formalen Schwächen der Umsetzung, aufgrund derer „Im Bazar der Geschlechter" eher fürs Fernsehen als für eine Kinoleinwand taugt, aber leicht verschmerzbar – immerhin sind derartige Einblicke in den alltäglichen Pragmatismus eines ansonsten medial so einseitig beleuchteten Landes sowieso viel zu rar gesät.

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