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    Das rote Zimmer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Das rote Zimmer
    Von Sascha Westphal

    „Das Leben ist teuer heute, auch die Liebe..." Mit diesen Worten, die aus ihrem Mund ein wenig unsicher klingen, so als könnte sie selbst nicht an sie glauben, entschuldigt sich das Callgirl Manuela bei ihrem Kunden, dem Kussforscher Fred Hintermeier, für die hundert Euro Aufschlag, die sie gerade verlangt hat. Dabei wäre eine solche Ausflucht gar nicht nötig gewesen. Der gerade 39 Jahre alt gewordene Philematologe kann einer Frau sowieso keine Bitte abschlagen. Aber letztlich ist es gerade diese nicht widerlegbare und doch recht fadenscheinige Erklärung, die unausgesprochen über nahezu allem schweben wird. Rudolf Thomes „Das rote Zimmer" ist eben auch – und das nicht zuletzt – eine in ihrer märchenhaften Selbstverständlichkeit ungeheuer mutige und beglückende Komödie über den Preis des Lebens wie der Liebe.

    Als Philematologe erforscht Fred Hintermeier (Peter Knaack, „Yella") die chemischen und physiologischen Prozesse, die im menschlichen Körper während des Küssens ablaufen. Ein Kuss ist eben doch nicht nur ein Kuss, zumindest für diesen etwas weltfremden Wissenschaftler, dem selbst sein Scheidungsrichter mehr Glück für die nächste Partnerwahl wünscht. Auch die 29-jährige Romanautorin Luzie (Katharina Lorenz, „Keine Lieder über Liebe") versteht sich als Forscherin. Gemeinsam mit ihrer 21-jährigen Freundin und Geliebten Sibil (Seyneb Saleh) will sie die Seelen der Männer entdecken und erkunden. Dafür machen sich die Zwei in Bibliotheken und Buchhandlungen auf die Suche nach entsprechenden Kandidaten. So lernt Luzie auch Fred kennen, der sie nur Tage später in ihrem blauen Haus in der vorpommerschen Provinz besucht. Anders als der zweite Kandidat, den Sibil in der Berliner Stabi gefunden hat, fällt er bei dem Test der Beiden nicht sofort durch und darf erst einmal bleiben.

    Seit mehr als vier Jahrzehnten erkundet Rudolf Thome, der selbst mit 71 Jahren wohl noch jüngste und freiste deutsche Autorenfilmer, nun schon die unendlich vielfältigen Variationen und Konstellationen der Liebe. Immer wieder hat er sich dabei auf den Spuren Goethes bewegt. So finden sich alleine zwei, teils sehr freie Verfilmungen von dessen „Wahlverwandtschaften" in Thomes Oeuvre. Aber auch in nahezu all seinen anderen Arbeiten hat zumindest die Konzeption dieses monolithischen Romans ihre Spuren hinterlassen. Wie einstmals Goethe vertraut auch er auf die Methoden der Wissenschaft. Sie sind ein reizvoller Umweg, auf dem Kunst schließlich ganz zu sich selbst finden kann.

    Insofern hat „Das rote Zimmer" natürlich auch etwas von Freds Laborversuchen, bei denen sich mehrere Pärchen unter wissenschaftlicher Beobachtung fünfzehn Minuten lang küssen. Das Dreieck, das sich in Gestalt von Luzie, Sibil und Fred schließlich in dem malerischen Dörfchen Kleinblittersdorf bildet, gleicht dabei zweifellos einer klassischen Versuchsanordnung. Nur blickt der Altmeister des Neuen Deutschen Films der 60er Jahre anders als Tom Tykwer, dessen filmische Petrischale „Drei" durchaus einige Berührungspunkte zu Thomes utopischer menage à trois hat, nicht durch ein Mikroskop auf seine Figuren. Er bewegt sich vielmehr zwischen ihnen, darin gleicht er Fred und seiner Assistentin in den Uni-Laboren.

    So kann Thome ihnen ganz auf Augenhöhe begegnen, mit einer eben an Goethe und an Thomas Mann geschulten Ironie, die zwar die Schwächen der Menschen schonungslos offenlegt, aber trotz allem voller Verständnis für sie ist. Natürlich gibt Peter Knaacks Fred eine etwas lächerliche Figur ab. Nicht ohne Grund vergleicht er sich einmal selbst mit einer Fliege, die im Netz einer Spinne gelandet ist. Er hat sich letztlich sogar in den eng verwobenen Netzen zweier Spinnen verfangen. Aber deren sehnsuchtsvolle Motive sind so rein, dass sich diese Fliege einfach wie im Paradies fühlen muss. Das ganz nah an einem See gelegene blaue Haus der beiden Frauen und das rote Zimmer, in dem Luzie und Sibil Abend für Abend auf zahllosen Kissen liegend die Tagesschau gucken, um danach über alles Mögliche zu sprechen, sind sowieso nicht ganz von dieser Welt. Wenn es irgendwo noch einen Garten Eden geben sollte, könnte er auf jeden Fall so aussehen. Freds Weg ins Netz ist in Thomes poetischer, allerdings auch durch einen recht schnöden Vertrag besiegelter Vision von der Liebe zu Dritt auch einer raus aus der Stadt hinein in ein Märchenreich. Das deutet sich schon in Freds Fund an. Kurz nach seiner Scheidung entdeckt er in einem kleinen Antiquitätengeschäft ein hölzernes Tablett, das eine naiv-bunte Südsee-Szenerie ziert. Dieses verwunschene Motiv ist letztlich so etwas wie sein ganz eigenes Kaninchenloch, durch das er schließlich ins Wunderland gelangt.

    „Design for Living", so heißt „Serenade zu dritt", Ernst Lubitschs klassische Komödie über eine menage à trois, im Original. Einen Entwurf zum Leben suchen auch Thomes Figuren und sie finden ihn in einem perfekten gleichseitigen Dreieck. Die Geometrie der Liebe, die Thome in „Das rote Zimmer" entwirft, hat dabei trotz ihrer mathematischen Exaktheit – der ganze Film ist eine grandiose geometrische Konstruktion von Blicken, die mal Nähe schaffen und mal von Distanz zeugen – etwas wundersam Alltägliches. Nichts muss gewaltsam erklärt oder gar begründet werden. Sibils Sinneswandel, in dessen Verlauf sich ihre anfängliche Eifersucht und ihre vehementen Besitzansprüche in eine absolut offene, sich in einem perfekten Gleichgewicht befindende Liebe zu Luzie und Fred verwandeln, ist genauso selbstverständlich wie Freds Begegnung mit der Göttin Venus, die seegeboren auf ihn zu tritt und sich ihm ohne Umstände anbietet.

    Thome hinterfragt all dies nicht einen Moment lang. Er lässt es einfach geschehen, und das mit einer sublimen, wissenden Unschuld, die von wahrer künstlerischer Größe zeugt. Am Ende steht dann ein Vertrag, der noch einmal bestätigt, wie teuer das Leben und die Liebe sind. Aber selbst das Preisschild, das Luzie so an diese unbezahlbare Dreierbeziehung heftet, steht keinesfalls im Widerspruch zum märchenhaften Grundton. In dieser Wendung offenbart sich noch einmal die liebevolle Ironie des Films. Der Vertrag ist nichts als die moderne Variante von „...und lebten glücklich bis ans Ende aller Tage". Also geht es nach der Unterschrift mit Blut, das aber eher wie Rotwein aussieht und damit noch ein ganz anderes Wunder ins elysische Spiel bringt, gleich weiter ans Meer, dem himmlischen Fluchtpunkt so vieler Filme Rudolf Thomes.

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