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    Arbitrage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Arbitrage
    Von Jan Hamm

    Auf sein Spielfilmdebüt „Arbitrage" hat sich Jungregisseur Nicholas Jarecki bestens vorbereitet. Nachdem er bereits mit 19 Jahren die Filmschule der New York University abgeschlossen hatte, bekam er schnell zu spüren, wie schwer es Nachwuchsfilmern im starren Studiosystem der Traumfabrik tatsächlich gemacht wird, einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Also setzte er sich in seinem Buch „Breaking In: How 20 Film Directors Got Their Start" erst einmal damit auseinander, wie es anderen vor ihm mit diesem Problem ergangen war. In den Folgejahren sammelte er dann im TV-Sektor, etwa beim Pay-TV-Sender HBO, Praxiserfahrung als Clip-Regisseur, Autor und Produzent, ehe er mit der Dokumentation „The Outsider" seine erste Langfilmarbeit vorlegte. All das muss noch keinen erfolgreichen Spielfilm-Karrierestart bedeuten, im Fall Jarecki hat sich die geduldige Einarbeitung allerdings voll ausgezahlt. Nicht nur hat er das Glück gehabt, mit Richard Gere und Susan Sarandon zwei echte Hollywood-Granden vor die Kamera bitten zu dürfen – vielmehr muss nun „Pretty Woman"-Star Gere seinem jungen Regisseur dankbar dafür sein, ihn aus der künstlerischen Flaute gehievt und zu einer Nominierung als Bester Hauptdarsteller bei den Golden Globes 2013 dirigiert zu haben. Aber auch abgesehen von Geres pulsierender Performance überzeugt das dynamisch und spannend erzählte Charakterdrama mit Thriller-Elementen auf ganzer Linie.

    Als der Hedgefonds-Manager Robert Miller (Richard Gere) im trauten Familienkreis seinen 60. Geburtstag feiert, scheint er sein Privat- und Berufsimperium noch fest im Griff zu haben. Sicher, stressig ist es schon, ständig zwischen Ehefrau Ellen (Susan Sarandon) und Affäre Julie (Laetitia Casta) zu pendeln, die erwachsenen Kinder unternehmerisch unterzubringen und trotz Schulden einen Kupferminen-Deal zwischen Wall Street und russischer Bürokratie ins Trockene zu bringen. Bisher ist der rücksichtslose Finanzhai aber noch mit jedem Betrug durchgekommen. Als er jedoch bei einer nächtlichen Lustfahrt hinterm Steuer wegnickt und ein Menschenleben auslöscht, ist es damit vorbei. Panisch versucht Robert, seine Tat zu vertuschen. Jimmy (Nate Parker), Sohn eines verstorbenen Weggefährten und Roberts einziger Kontakt außerhalb seiner Geschäftswelt, soll ihm dabei helfen. Damit jedoch setzt der Betrügerkönig jedoch eine Ereignisspirale in Gang, in deren Verlauf ihm nicht nur der gehässige Detective Bryer (Tim Roth) auf die Schliche zu kommen droht – auch Familie und Businesspartner werden zunehmend misstrauisch...

    Der Kollaps der Lehman-Brothers-Großbank im September 2008 hat die USA so nachhaltig traumatisiert wie kein anderes Ereignis seit 9/11. Das zeigt sich auch in der Suche nach Sündenböcken, die nun vor allem an der Wall Street und seit der Occupy-Bewegung in den sogenannten oberen 1% ausgemacht werden. Ausgerechnet in Hollywood wird jedoch genauer hingeschaut – Filme wie etwa „Der große Crash - Margin Call" und „Cosmopolis" verweisen eher auf strukturelle Probleme als auf individuelles Banker-Schurkentum. Und auch von Martin Scorses kommendem DiCaprio-Vehikel „The Wolf of Wall Street" darf man sich mehr als voreilige Gut- und Böse-Zuweisungen erhoffen. In diesem brenzligen Themenfeld hat Nicholas Jarecki sein ähnlich differenziertes Regiedebüt „Arbitrage" angesiedelt – samt Gordon-Gecko-Widergänger. Eigentlich sollte Al Pacino („Heat") in die Haut des schmierigen Finanzhais Miller schlüpfen. Dass dort nun stattdessen Richard Gere zu sehen ist, kommt dem Film jedoch sehr zugute. Denn auch Jarecki geht es nicht in erster Linie um die schlichte Verurteilung eines narzisstischen Spekulanten.

    Während Pacinos diabolische Aura ohne Frage einen viel fieseren Miller geschaffen hätte, ist es grade der zauberhafte Charme des Romantikers Gere, der Jareckis Anliegen so großartig unterstreicht: „Arbitrage" soll greifbar machen, dass Miller seine moralische Verkommenheit zu keinem Zeitpunkt selbst als solche wahrnimmt. Miller mag nüchtern betrachtet noch so abgrundtief selbstsüchtig sein – er selbst nimmt sich bloß als jemandenen wahr, der in einer kalten Welt das Beste für sich, sich, seine Mitmenschen und sich herausschlagen will. Ein Kind der 50er sei er, so sein Bekenntnis, ein Patriarch, der seine Rolle spielen müsse wie jeder andere auch. Wenn er Frauen oder Geschäftspartner becirct, ist das keine Fassade einer verborgenen Fratze. Viel unangenehmer ist die Einsicht, dass es dieser Kerl tatsächlich irgendwie gut meint. Und genau aufgrund dieser felsenfesten Überzeugung ist er nicht in der Lage, seinen fatalen Irrtum einzusehen: Dass ihm als großem Lover, Beschützer und Förderer jede Methode und jedes Begehren zusteht und es doch bitteschön niemand besser zu wissen habe.

    Miller dabei zu begleiten, wie er seine Sünden nach freiem Ermessen vor sich rechtfertigt und vor der Welt zu verbergen versucht, ist ausgesprochen spannend. Das liegt zum einen daran, dass Jarecki nicht nur Gere, sondern seine gesamte Besetzung bestens motiviert. Susan Sarandon („Thelma & Louise") genießt es sichtbar, ihre trotz geringer Leinwandzeit keineswegs randständige Ehefrau Ellen voll auszuspielen. Auch Ex-Supermodel Laetita Casta als mehr Aufmerksamkeit einfordernde Affäre, Tim Roth („Reservoir Dogs") als schräg auf allen möglichen Sitzflächen herumlümmelnder Detective und Brit Marling („Another Earth") als misstrauische Miller-Tochter sind ganz in ihrem Element. Und Nate Parker („Red Tails") durfte für seine gefühlvolle Darstellung von Jimmys unmöglichem Loyalitätskonflikt sogar den Preis als Bester Nachwuchsdarsteller beim Filmfestival in Hampton mit nach Hause nehmen. Zum anderen ist es eine große Freude, Jarecki beim inszenatorischen und erzählerischen Schachspiel zuzuschauen: Hier leistet jede Szene gleichermaßen in puncto Handlungsfortschritt und Figurenzeichnung einen glasklaren Beitrag. Nicht minder klar ist damit auch, dass man dem Zweitling des fähigen Jungregisseurs gespannt entgegenblicken darf.

    Fazit: Nicholas Jareckis Spielfilmdebüt „Arbitrage" bietet großes Schauspielkino, vorsichtige Milieustudie und packende Unterhaltung. Kurz – ein rundum gelungenes Filmvergnügen.

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