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    Der Adel vom Görli
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Adel vom Görli
    Von Michael Smosarski

    „Penner", „Schmarotzer", „Loser" - das alles sind schwarz-weiße Abfertigungen, welche die politische Mitte für die Randfiguren der Gesellschaft bereithält. Eine alternative Sichtweise präsentiert Regisseur Volker Meyer-Dabisch mit „Der Adel vom Görli". Der titelgebende Adel, das sind die Trinker im Görlitzer Park in Berlin, denn die - so ein Protagonist der Dokumentation - seien schließlich „immer blau". Dabei geht es in dem filmischen Portrait nicht darum, alkoholbetäubte Hoffnungslosigkeit vorzuführen. Im Gegenteil: „Der Adel vom Görli" stellt Menschen vor, die in ihrer selbstgeschaffenen Anderswelt größtenteils sehr zufrieden sind. Die vordergründige Fremdartigkeit ihres Lebenswandels natürlich und konsequent erscheinen zu lassen, ist als Überzeugungsleistung zugleich die größte Stärke des Films.

    Bernie und sein Caddy Steve golfen auf dem zerpflückten Grün des Görlitzer Parks, Lupo singt den Blues, Alberto spielt tagein tagaus Frisbee. Sie alle sind Teil eines Mikrokosmos, der entspannt neben dem Gros der Spaziergänger und Touristen existiert, Außenseiter aus freiem Willen, die dennoch ihre höchst eigene Nische gefunden haben. Ihre Erinnerungen und Anekdoten gewähren Einblick in die Vergangenheit eines Ortes, den die meisten nur im Vorübergehen zur Kenntnis nehmen und der eng mit der bewegten jüngeren Vergangenheit Berlins verbunden ist...

    Die ästhetischen Vorgaben müssen schon bei der Wahl des Sujets klar gewesen sein: Jeder Versuch, dem Gezeigten mittels Bildkomposition oder Musik eine intendiert künstlerische Note zu geben, ist von vornherein unangebracht. Schließlich geht es darum, einer Subkultur, die sich als authentisch begreift, filmisch möglichst nahe zu kommen. Jede cineastische Hinzufügung würde jene Echtheit unterminieren, die Meyer-Dabischs Dokumentation wiedergeben möchte. Dementsprechend wurde der „Adel vom Görli" eingefangen in unscheinbaren Bildern, die sich ohne spezielle leitmotivische Überlegungen aneinanderreihen – ein gewisses Wagnis, das natürlich auch in gähnende Langeweile hätte münden können. Im Großen und Ganzen geht das Konzept jedoch auf, denn die Protagonisten stemmen den Film mit Witz und Charisma. Selbst die Filmmusik wird als Onscreen-Soundtrack von Lupo geliefert, dessen immer etwas windschiefen Bluesballaden übers Saufen und Slackern zudem als Bindeglieder zwischen den Interviewsequenzen fungieren. Meyer-Dabisch steigt tief ein in die nerdigen Sonderinteressen der Charakterköpfe und lässt beispielsweise Bernie ausführlich über alle Aspekte des Park-Golfens referieren.

    Die anderen Stimmen, die Meyer-Dabisch etwa bei Spaziergängern einfängt, bleiben im Vergleich dazu naturgemäß unspektakulär. Dennoch sind sie notwendig, um einem zweiten inhaltlichen Aspekt des Films Fundament zu geben, nämlich der stadt- und sozialgeschichtlichen Dimension des Görlitzer Parks. Immer wieder wird auf die Vergangenheit des Orts als Zentrum des alten, linksradikalen Kreuzbergs eingegangen und auf die Bedeutung der Parkfläche in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Zwar bleibt all dies aufgrund der sujetbedingt fehlenden inhaltlichen Lenkung vielfach Stückwerk, dennoch schaffen die Erinnerungsmomente der Beteiligten Atmosphäre und Tiefenwirkung.

    Insgesamt stehen sich in „Der Adel vom Görli" karge Filmästhetik und Authentizität ebenso fruchtbar wie problematisch gegenüber. Zwar werden dem Zuschauer Bernie und Co. unverfälscht nahegebracht, allerdings entsteht auf diese Weise natürlich kein raumgreifendes Kinoerlebnis. Der Individualität der Protagonisten ist auch geschuldet, dass der Film Erinnerungsmomente partikularistisch wie an einer Perlenkette aufreiht, ohne sie wirklich miteinander zu verflechten. Dennoch: Meyer-Dabisch ist seinem offensichtlichen Anspruch gerecht geworden und hat ein kurzweiliges Portrait einer Subszene geschaffen, die nur scheinbar eine gesellschaftlich marginale Stellung innehat, in Wirklichkeit jedoch gelebte Berliner Vergangenheit ist.

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