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    Ballada
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ballada
    Von Jan Görner

    Vom Prestigeobjekt zum Problemfall: in den 70er Jahren brachte die Automarke Lada erstmals Farbe auf die Straßen der Sowjetunion. Ausgerechnet während der Mehltau-Jahre der Breschnew-Ära in italienischer Lizenz gebaut, sollte so etwas wie ein echter russischer Volkswagen entstehen. Von reichlich schlichter Schönheit, aber belastbar wie ein Maultier eroberten die Modelle aus der Industriestadt Togliatti die endlosen Weiten des (ehemaligen) roten Riesenreiches. Und bis heute auch die Herzen seiner Einwohner. „Lada", das heißt nicht umsonst „Geliebte". Der Dokumentarfilmer Andreas Maus hat sich auf die Spur des Phänomens Lada begeben und dabei eine interessante Innenansicht des heutigen Russlands ausgefertigt.

    „Ballada" erzählt die Geschichte einfacher Leute und welche Rolle Lada-Automobile in ihrem Leben spielten und bis heute spielen. Da ist zum Beispiel Murad, der auf der Suche nach Wohlstand aus dem Kaukasus nach Moskau kam und nun seinen gebrauchten Lada als Schwarztaxe benutzt. Der über seine Jahre gealterte Tschetschenien-Kämpfer Vladimir hat genug vom Krieg, er widmet sein Leben dem Andenken an seine toten Kameraden. Kolja, Edek und Sascha haben ihren Job im alten Lada-Werk verloren. Die Produktion soll ausgelagert werden - ausgerechnet nach Tschetschenien! Für Maxim und Tatjana, die vor Jahrzehnten einen Lada als Hochzeitsgeschenk erhalten haben, war der Wagen immer dabei, wenn sie ab und zu ihr Dorf verließen um ihre „Weltreise" ein Städtchen weiter zu machen. Julia ist im neuen Russland aufgewachsen, mit ihren Freunden veranstaltet sie motorisierte Schnitzeljagden durch Moskau. Für viele ihrer Altersgenossen ist der Lada schlicht das erste erschwingliche Auto, doch für Julia geht mit ihm ein Lebensgefühl einher. Der Eremit Michail hat seine Frau bei einem Autounfall verloren und hält sich mit dem Verkauf von Ziegenmilch über Wasser. Und für die Polizei-Beamten Oleg und Vladimir gibt es nur einen Traum: Sie wollen berühmt werden, indem sie einen Terroristen fangen. Am besten einen schwarzhaarigen Kaukasier...

    Die Menschen, auf die in „Ballada" ein Streiflicht geworfen wird, haben alle eines gemein: Sie sind alles andere Gewinner des Zusammenbruchs der UdSSR. Sie sind Strandgut der Wende, am Rande der Gesellschaft. Die Geliebte aus Togliatti ist ihre stete Begleiterin. Dabei geht es Andreas Maus augenscheinlich um mehr als die bloße Phänomenologie der Verhältnisse, in ruhigen Bildern lässt er den Zuschauer einen Blick in seine Protagonisten werfen. „Ballada" verbindet gekonnt die Geschichte des Autos mit der der Menschen, eine liebevolle Hommage und auch eine klassische Underdog-Geschichte.

    Die kastenförmige Erscheinung der Lada-Modelle, die seit Jahrzehnten keine Neuerungen erfahren haben, ist ihr charakteristischstes Merkmal. Ein bisschen unbequem, aber ehrlich und zuverlässig. So viel Beständigkeit trotzt dem neutralen Beobachter beinah Respekt ab. Dieses Design, das schon beim Stapellauf der Fahrzeugreihe nicht mehr ganz taufrisch war, zeitlos zu nennen, wäre aber wohl zu viel des Euphemismus. Der Lada, so der einhellige Tenor, ist nicht weniger als eine Laune der Geschichte, die regelmäßig die Frage aufwirft, ob sich die nächste Tankfüllung wohl noch lohnen wird. Doch in Russland ist nicht nur der Dichter mehr als ein Dichter, wie Jewgeni Jewtuschenko einmal sagte, in Russland ist auch ein Auto mehr als ein Auto. Es ist ein beseeltes Wesen.

    Sehnsucht, Einsamkeit, Weltschmerz - es scheint so, als würde sich Regisseur Maus in „Ballada" eigentlich auf der Suche nach der vielbesungenen russischen Seele befinden. Und es ist irgendwie bezeichnend, dass der Armenier Murad, als Kaukasier oft wie ein Bürger zweiter Klasse behandelt, der urrussische Fatalismus packt, wenn er den Verlust seines Schwarzhändler-Wohlstands mit einem Achselzucken abtut. Ein Zeichen des feinen Gespürs für Ironie, welches die Ko-Autoren Andreas Maus und Viktor Jerofejew bei der Auswahl ihrer Protagonisten da unter Beweis stellen. Dass die Provinz-Polizisten ihr wachsames Auge vor allem auf Kaukasier haben, während sich Murad fleißig um Völkerverständigung bemüht, spricht eine deutliche Sprache. Währenddessen hocken die Russen Kolja, Edek und Sascha tagein, tagaus in einer unterirdischen Garage unter der Lada-Fabrik in Togliatti und verhandeln bei reichlich Wodka die Ungerechtigkeit der Welt „da oben". Das Aufzeigen dieser Verwerfungen ist eine große Stärke der Dokumentation.

    Bei allem Lob, frei von Fehl ist auch „Ballada" nicht. Der mit salbungsvoller Larmoyanz vorgetragene Kommentar von Nessi Tausendschön gehört dazu. Sicher, der Einfall die „Geliebte" selbst zu Wort kommen zu lassen, ist keine schlechte, allerdings nutzt sich die Idee schnell ab und konterkariert in ihrer Rührseligkeit entscheidend die ansonsten lakonische Stimmung.

    Fazit: Andreas Maus geht es nicht darum, ein auf absehbare Zeit belastbares Referenzwerk zum Thema Autobau zu liefern. Der Regisseur zeichnet das Portrait einer Gesellschaft anhand ihrer Außenseiter, eine liebevolle Hommage, aber auch eine ruhige Bestandsaufnahme. Sehenswert.

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