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    Tyrannosaur - Eine Liebesgeschichte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tyrannosaur - Eine Liebesgeschichte
    Von Florian Koch

    Verniedlichende Tiernamen wie Rehlein, Mausi oder Hase sind nicht nur in Seifenopern an der Tagesordnung. Auch im wirklichen Leben finden besonders originelle Zeitgenossen es romantisch, ihren zweibeinigen Liebling als niedliches Tierchen zu verklären. Originell sind sie dabei eher selten. Da fährt Joseph, die Hauptfigur des knallharten britischen Dramas „Tyrannosaur" schon ganz andere Kaliber auf. Der Brutalo gibt seiner verstorbenen Frau – der Filmtitel deutet es an – einen prähistorischen Kosenamen und wer Steven Spielbergs Blockbuster „Jurassic Park" kennt, kann bereits erahnen, wie Joseph darauf kommt. In einer Filmgeschichte-schreibenden Schlüsselszene stampfte T-Rex einst derart heftig auf dem Boden, dass ein Wasserglas zu vibrieren begann. Da Josephs korpulente Frau stets polternd die Treppen hoch und runter trampelte, so dass das Wasser im Glas am Nachttisch ähnliche Wellen wie in „Jurassic Park" schlug, gab er ihr kurzerhand den Dino-Spitznamen. So niederträchtig diese Assoziation auch ist, sie passt bestens zu diesem Berserker von Mensch, den Regisseur Paddy Considine in „Tyrannosaur" packend, ungeschönt und bewegend porträtiert.

    Ginge es nur nach seinem ungepflegten Äußeren, würde Joseph (Peter Mullan) als stinknormaler Trinker aus der nordenglischen Arbeiterklasse von Leeds durchgehen. Sein Hang zum Suff ist jedoch keineswegs sein einziges Laster. Ihn zeichnet obendrein eine enorme Aggressivität aus, die seine Umgebung nicht nur verbal zu spüren bekommt. Als er nach einem Wutausbruch eine Scheibe einschmeißt, sucht er aus Furcht vor der Polizei das Weite. Ein kurzfristiges Versteck findet er im Geschäft von Hannah (Olivia Colman). Die freundliche Frau versucht Joseph in eine Diskussion zu verwickeln, doch er verhöhnt sie nur, und verschwindet so schnell wie er gekommen ist. Am nächsten Tag taucht er reuig erneut bei ihr auf und die beiden scheinbar grundverschiedenen Charaktere beginnen sich vorsichtig anzunähern. Das geht so lange gut, bis Joseph herausfindet, dass Hannah von ihrem Mann James (Eddie Marsan) erniedrigt und geschlagen wird.

    Allein die erste Szene von „Tyrannosaur" macht deutlich, dass hier ein anderer, härterer Ton als in gängigen Sozialstudien angeschlagen wird. Schauspieler Paddy Considine („Yorkshire Killer 1980", „Das Bourne Ultimatum") macht in seinem Spielfilmdebüt keine Gefangenen und zeigt als Einstieg, wie der völlig betrunkene Joseph seine Frustration am eigenen Hund auslässt. Im Wahn tritt er wie besinnungslos auf das unschuldige Tier ein, bis es verendet. Erst am nächsten Tag bemerkt Joseph seine Wahnsinnstat, und seine Wut verwandelt sich in erbitterten Selbsthass. Peter Mullan spielt diesen Schmerzensmann, der keine Steine, sondern Felsbrocken auf seiner Seele mit sich herumzuschleppen hat, mit Oscar-reifer Intensität. Auf dem „Sundance"-Filmfestival bekam der britische Charakterdarsteller dafür nicht von ungefähr den Preis für eine „Breakout Performance" zugesprochen. Viel hat Mullan dabei seinem Regisseur zu verdanken, dem es nicht genügt, Joseph für seine Taten schlicht zu verdammen, sondern dem Scheusal auf den Grund zu gehen. Considines Skizzierung des derben britischen Proletariermilieus ähnelt dabei den Arbeiten der Spezialisten auf diesem Gebiet. Ken Loach und Mike Leigh könnten es nicht besser inszenieren. Am ehesten ist Considines hartgesottenes Drama allerdings mit Gary Oldmans erschütterndem „Nil by Mouth" zu vergleichen – vor allem was die Kompromisslosigkeit angeht. Considine bewahrt trotzdem konsequent eine eigene Linie und distanziert sich stilistisch deutlich vom Handkamera-Wackelstil, der immer wieder gerne für die fromme Behauptung von Authentizität eingesetzt wird. Hier muss nichts wackeln, um authentisch zu wirken. Auch plumpes Draufhalten ist seine Sache nicht. Considine bleibt stilistisch unaufdringlich und deutet die Schandtaten häufig nur an.

    Selbst diese vorsichtigen Andeutungen sind manchmal kaum zu ertragen. Das betrifft vor allem die Lebenswelt des gläubigen „Gutmenschen" Hannah. Die Einblicke in ihre Ehehölle sind von einer Schonungslosigkeit, wie man sie selten gesehen hat. Schrecklicher Höhepunkt ist sicher die Szene, als ihr Gatte James – brillant sadistisch verkörpert vom Nebenrollen-König Eddie Marsan („The New World") – auf seine schlafende Ehefrau uriniert. Diese Momente der Demütigung haben die emotionale Wucht eines Faustschlags - auch weil Hannah die Misshandlungen mit stoischer Demut hinzunehmen scheint, und James immer wieder gewähren lässt. Olivia Colman, bisher vor allem bekannt aus Komödien wie „Hot Fuzz", zeigt dabei eine Verletzlichkeit und Hilflosigkeit, die anrührt.

    Stilsicher umschifft Considine die üblichen Klischees, die sich sonst allzu oft in vergleichbare Sozialdramen einschleichen. Eine Annäherung der gesellschaftlich Ausgestoßenen hätte leicht im Kitsch enden können. Der schwarze Humor und raue Charme jedoch, den Joseph hinter seiner Gewaltmaske im Gespräch mit Hannah aufblitzen lässt, verhindert jede Glättung der Geschichte. Auch streut Considine immer wieder Wendungen ein und enthüllt dabei zahlreiche Geheimnisse seiner komplexen, vielschichtigen und am Ende sogar liebenswerten Figuren. Nur manchmal wirkt sich bei „Tyrannosaur" die kurze Lauflänge negativ auf die Charakterentwicklung aus – hier ist weniger einmal nicht mehr. Es geht fast zu schnell, wie diese schwierigen, seelisch verkrüppelten Individuen eine halbwegs funktionierende, brüchige Paarbeziehung aufbauen. Wenn Considine im Schlussakt wieder die hässlichen Seiten des Lebens in den Mittelpunkt rückt, mag er damit den Wünschen mancher Zuschauer nach einem aufmunternden Happy End nicht entsprechen, doch bleibt er sich und seinen Figuren treu.

    Fazit: „Tyrannosaur" ist von schonungsloser Brutalität und sowohl Menschen-, als auch Tierfreunde müssen einige Härten in Kauf nehmen. Nichts desto trotz ist Paddy Considines Charakterstudie in seiner unbarmherzig-realistischen Machart auch ein berührendes Kleinod und beweist eindrucksvoll, dass engagiertes Schauspiel und eine atmosphärisch dichte Inszenierung das A und O im Independent-Bereich sind.

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