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    Die Singende Stadt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Singende Stadt
    Von Michael Smosarski

    Zur Oper haben wohl nur wenige eine ernsthaft differenzierte Meinung: Entweder wird sie als Artefakt verurteilt oder als erhebendes Großereignis gefeiert. Der Widerstreit spiegelt dabei bis zu einem gewissen Grad auch eine soziale Spaltung zwischen der Bildungselite mit ihrem Distinktionsbedürfnis und dem Durchschnittsbürger und seiner Alltagswelt. Auf diese Problemstellung geht Vadim Jendreyko mit „Die singende Stadt" zwar nicht ein, mittelbar leistet er aber dennoch einen Beitrag zu dieser Diskussion, denn seine Dokumentation zeigt den Entstehungsprozess einer Oper abseits von elitärem Zauber als Kraftakt, der mehr mit schweißtreibendem Handwerk als mit künstlerischer Muse zu tun hat.

    „Parsifal", Wagners letzte Oper, verlangt dem Ensemble der Stuttgarter Staatsoper alles ab. Innerhalb von nur einem Jahr müssen Konzepte erstellt, Kostüme entworfen und das Zusammenspiel eingeprobt werden. Oft genug ist dabei auch das Improvisationstalent der Beteiligten gefragt, denn das Budget ist knapp bemessen, die inszenatorischen Vorstellungen von Theaterregisseur Calixto Bieito jedoch opulent. So werden auch die zwischenmenschlichen Spannungen immer offensichtlicher, je näher die Premiere heranrückt...

    Die Gigantomanie des Projekts verdeutlicht Vadim Jendreyko, indem er immer wieder zeigt, wie riesige Teile der Bühnenkulisse durch die engen Korridore des Kellergewölbes bugsiert werden. Dabei geraten die Bilder nie effektheischerisch, sondern wahren stets eine nüchterne Distanz, die prägend für die gesamte Dokumentation ist. Dieser unterkühlte Stil kontrastiert einerseits effektiv den turbulenten Entstehungsprozess der Oper, andererseits kann so von Entertainment aber natürlich kaum die Rede sein. Glücklicherweise ist Jendreyko eine gute Auswahl des Materials gelungen, denn davon hatte er eine ganze Menge zur Verfügung: zum beispielsweise den amerikanische Darsteller des Amfortas, der mit seiner lockeren Art einen kruden Hip-Hop-Flair ins Ensemble einbringt. Leitmotivisch zeigt ihn Jendreyko bei den Gesangsproben, in denen er unermüdlich versucht, der deutschen Aussprache Herr zu werden. Überhaupt bringt das babylonische Sprachchaos einige Missverständnisse hervor, die den Beteiligten ein starkes Nervenkostüm abverlangen, für den unbeteiligten Zuschauer aber umso amüsanter sind. Auch die Beklemmung der Beteiligten, die mit der ermüdenden Proberoutine einhergeht, fängt Jendreyko ein. So etabliert der wiederkehrende Blick zum Fenster hinaus die Welt außerhalb des Schauspielhauses als Sehnsuchtsort von Cast und Crew.

    Hinzu gesellen sich irreale und gänzlich unerwartete Momente, etwa wenn lange nach Feierabend plötzlich der Klang einer einsamen Trompete durch die dunklen, menschenleeren Räume geistert. Ähnlich wirkungsvoll ist eine Montage, welche die Generalprobe des Parsifal abwechselnd vom Zuschauerraum aus und dann wieder aus Sicht der technischen Leitung zeigt, die mit Hilfe antiquiert wirkender Schalttafeln den Ablauf begleitet: Die Szenerie wirkt wie eine Aufnahme aus dem Innern eines U-Boots. Die Magie einer Oper und deren mühevolle und nicht immer elegante technische Umsetzung gegeneinander auszuspielen, das ist Jendreykos zentraler Kniff. Dazu gehört bereits die zugrundeliegende Idee, die Oper als mystifizierten, fiktionalen Raum im Genre der per se fiktionsbrechenden Dokumentation darzustellen.

    Unmittelbar vor der ersten Szene der Premierenaufführung bricht der Film plötzlich ab. Das ist zum einen bedauerlich, weil der Zuschauer, nachdem er neunzig Minuten lang den Entstehungsprozess nachvollzogen hat, sicherlich gerne auch einen Blick auf das Endergebnis all der Mühen geworfen hätte. Allerdings ergibt sich diese Konsequenz zwingend aus der inszenatorischen Strenge des Regisseurs. Schließlich geht es ihm programmatisch um den Weg zur Aufführung, jedes Quäntchen mehr würde die konzeptionelle Ausrichtung der Dokumentation unterwandern. Das Ergebnis für den Zuschauer ist ebenso klar: Nach der 90-minütigen Tour de force fühlt man sich fast ebenso erschöpft wie die Darsteller – womit Vadim Jendreyko seiner Absicht wohl schon ziemlich nahe gekommen ist.

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