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    Hitchcock
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Hitchcock
    Von Björn Becher

    Der 1980 verstorbene Alfred Hitchcock ist der wahrscheinlich berühmteste Filmemacher der Geschichte. Kaum ein Regisseur hatte mehr Hits, kaum einer drehte mehr Klassiker und kaum einer verstand sich so gut auf die Vermarktung seiner Filme und seiner Person wie der korpulente Brite. Der Name Hitchcock wurde zur eigenen Marke und das ließ der Filmemacher sich vor allem im TV versilbern. Dazu füllten die persönlichen Marotten und Obsessionen des „Master Of Suspense" die Klatschspalten und bereits zu seinen Lebzeiten zahlreiche Biografien. Angesichts der vielen saftigen Gerüchte und unerhörten Geschichten verwundert es, dass es bis 2012 dauerte bis Hitchcock selbst zur Filmfigur wurde. Aber nun gibt es gleich zwei Projekte über ihn: In der HBO-TV-Produktion „The Girl " verkörpert Toby Jones einen liebestollen Hitchcock bei den Dreharbeiten zu „Die Vögel", während sich Sacha Gervasi in „Hitchcock" dem Film widmet, der direkt vor dem Möwen-und-Krähen-Horror entstand: „Psycho". Sein auf dem Buch „Alfred Hitchcock and the Making of Psycho" von Stephen Rebello basierende Film ist dabei nicht nur ein Biopic über den großen Alfred, sondern auch über dessen Frau Alma Reville. Mit zwei herausragenden Schauspielern in den Hauptrollen wird die filmische Nacherzählung der Entstehung des Horror-Klassikers zu einem amüsant-kurzweiligen Vergnügen, auch wenn Gervasi bei der Darstellung der Beziehung des Ehepaars den einen oder anderen Irrweg einschlägt.

    Nach dem Kassenerfolg mit „Der unsichtbare Dritte" ist der legendäre Regisseur Alfred Hitchcock (Anthony Hopkins) im Jahre 1959 eigentlich obenauf, doch er ist unzufrieden. Die Kritiker preisen aus Frankreich kommende „New Masters Of Suspense" wie Jules Dassin („Rififi") und Henri-Georges Clouzot („Die Teuflischen"), dabei haben sie doch ihn! Zudem will Hitchcock mal etwas komplett anderes machen. Da fällt ihm der Roman „Psycho" über einen schizophrenen Mörder in die Hände. Obwohl sowohl die Presse, als auch das Studios Paramount, an das er vertraglich gebunden ist, mit Ablehnung auf sein Interesse reagieren, beschließt er, „Psycho" zu adaptieren. Mit Unterstützung seiner treuen Sekretärin Peggy Robertson (Toni Collette), seines loyalen Agenten Lew Wasserman (Michael Stuhlbarg) und seiner anfänglich zögerlichen Ehefrau Alma (Helen Mirren) stellt er die Finanzierung für das Projekt selbst auf die Beine und verschuldet sich sogar. Doch während die Dreharbeiten schon im Gange sind, gerät Hitchcock immer mehr in eine Sinnkrise. In Träumen konferiert er mit dem Massenmörder Ed Gein (Michael Wincott), auf dessen Fall „Psycho" basiert, und steigert sich in die Wahnvorstellung, seine treue Alma könnte eine Affäre mit dem schmierigen Drehbuchautoren Whitfield Cook (Danny Huston) haben.

    „Hitchcock" beginnt 1944 mit dem mutmaßlich ersten Mord von Ed Gein, der seinen Bruder Henry (Frank Collison) umbringt. Das Geschehen wird von Anthony Hopkins in bester Hitchcock-Manier mit festem Blick in die Kamera kommentiert. Auch in der finalen Szene wendet sich der Schauspieler noch einmal direkt an das Kinopublikum, so wie es die Regie-Legende in diversen Kinotrailern und bei ihrer Fernsehserie „Alfred Hitchcock zeigt" so markant vorgemacht hat. Bereits beim erwähnten ersten Auftritt wird deutlich, dass Oscarpreisträger Hopkins (für „Das Schweigen der Lämmer") komplett hinter seiner Rolle verschwindet. Verwandelt durch die eindrucksvolle Maske sieht er nicht nur aus wie der berühmte Regisseur, sondern er trifft auch den Tonfall, die Gestik und die Mimik des Originals punktgenau: Hopkins IST Hitchcock. Das ist Schauspielkunst in Perfektion und Helen Mirren („Die Queen", „Gosford Park") ist als loyale Ehefrau Alma Reville nicht minder eindrucksvoll. Über weite Strecken steht sie sogar im Mittelpunkt des Geschehens: Sie ist für ihren Mann da, hält ihm den Rücken frei, überarbeitet das Drehbuch von „Psycho" und vertritt ihren unpässlichen Gatten sogar einmal am Set. Regisseur Gervasi und sein Drehbuchautor John J. McLaughlin („Black Swan", „Parker") machen sehr deutlich, dass sie Alma Reville und ihrem (übrigens deutlich umstrittenen) Anteil am Schaffen ihres Mannes endlich zu einer verdienten Würdigung verhelfen wollen.

    Sasha Gervasis Biopic ist über weite Strecken eine amüsante Angelegenheit, da es dem Regisseur der preisgekrönten Dokumentation „Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft" bei seinem Spielfilmdebüt bestens gelingt, den makabren Humor Hitchcocks einzufangen und die irrwitzigen Tücken rund um den Dreh von „Psycho" amüsant aufzubereiten. Ein vielsagendes Vergnügen ist es, wenn Hitchcock seine Party-Gäste bei der Vorstellung seines neuen Filmprojektes mit blutigen Details schockiert. Und der stetige Kampf des Regisseurs mit dem obersten staatlichen Zensor Geoffrey Shurlock (Kurtwood Smith), der schon bei der ersten Drehbuchfassung beginnt und im Streit um Umfang und Blickwinkel der legendären Duschszene gipfelt, ist an Absurdität nicht mehr zu überbieten. Gervasi lässt keinen Zweifel daran, wem bei dieser bizarren Auseinandersetzung seine Sympathie gehört. So ist es ein besonderes Vergnügen, wenn Hitchcock seinen engstirnigen Widersacher mit mal bissigen, mal lakonischen Kommentaren zur Weißglut treibt und ihn zum guten Schluss mustergültig austrickst.

    „Hitchcock" ist aber ganz sicher kein reines Denkmal für seinen Titelhelden. Gervasi spart die Schattenseiten nicht aus, etwa wenn er Hitchcock als Voyeur zeigt, der ähnlich wie die Hauptfigur Norman Bates in „Psycho" durch ein Guckloch in die Umkleide seiner Darstellerinnen linst. Die schwierige, geradezu egomanische Persönlichkeit des Regisseurs wird am deutlichsten im Umgang mit seinen Schauspielerinnen. Während er Janet Leigh (Scarlett Johansson) vergöttert und umgarnt, straft er Vera Miles (Jessica Biel) mit Missachtung. Er verzeiht ihr nicht, dass sie die Hauptrolle in „Vertigo" abgelehnt hat, um eine Familie zu gründen. Regelrechte seelische Abgründe tun sich bei Hitchcocks Konferenzen mit dem Serienkiller Ed Gein auf. In diesen Szenen wird die notorische Eifersucht des Regisseurs wenig subtil angestachelt, zwischen den Zeilen werden ihm sogar Mordgedanken unterstellt: Wenn die Kamera einmal auf den Hals seiner Frau Alma zoomt, dann scheint Hitch darüber nachzudenken, sie zu erwürgen.

    Gerade wenn es um die Beziehung des Ehepaars Hitchcock während des Drehs zu „Psycho" geht, verzetteln sich die Filmemacher allerdings immer wieder. Während Alfred am Set seinen Film inszeniert (aus Rechtegründen durften übrigens keine Szenen und keine Dialogzeilen aus „Psycho" genutzt werden), trifft sich Alma mit Whitfield Cook in einem Strandhaus, wo sie gemeinsam an einem Drehbuch arbeiten. Hier will man offenbar zeigen, dass Alma sich zu einem Mann hingezogen fühlt, der ihre Ratschläge und Unterstützung nicht wie Hitchcock als selbstverständlich betrachtet. Das ist ein durchaus nachvollziehbarer Ansatz, aber die Umsetzung ist nicht überzeugend. Danny Huston („X-Men Origins: Wolverine", „Kampf der Titanen") legt Cook dafür viel zu schmierig an. Er ist ein aalglatter Wendehals, der Alma nicht wegen ihrer Fähigkeiten umgarnt. Er will schlicht, dass sie ihren berühmten Mann dazu bringt, das Drehbuch zu verfilmen. Als Alma den verheirateten Cook dann bei einem Techtelmechtel mit einer anderen überrascht, fleht er sie an, davon Hitch nichts zu erzählen. Durch das miese Verhalten Cooks wird die tiefe Abneigung des Regisseurs gegen den Charmeur nachträglich legitimiert und Alma wird letztlich für den Versuch bestraft, einen eigenen Weg zu gehen. In einem über weite Strecken gelungenen Film, der sonst gut und gerne auch „Alfred und Alma" heißen könnte, ist dies ein nicht zu überhörender Misston.

    Fazit: Mit „Hitchcock" bringt Sacha Gervasi ein amüsantes Kapitel Filmgeschichte auf die Kinoleinwand: eine besonders für ein cinephiles Publikum sehr spaßige Angelegenheit mit zwei herausragenden Darstellern.

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