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    Der Mann, der über Autos sprang
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Mann, der über Autos sprang
    Von Ulf Lepelmeier

    Im Dezember 2010 versuchte Samuel Koch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, mit Sprungfedern über fahrende Autos zu springen. Nachdem er den Stunt nur schwer verletzt überlebte, brach eine Diskussion über die Konzeption der erfolgreichsten Samstagabendshow des deutschen Fernsehens aus. Einen Monat vor dem „Wetten dass ..?"-Unglück feierte Regisseur Nick Baker-Monteys bei den Hofer Filmtagen 2010 die Premiere seines Debütfilms „Der Mann, der über Autos sprang", in welchem ein ähnlicher Sprung für den Protagonisten Bürde und Befreiung zugleich darstellt. Einem Guru gleich zieht ein sonderbarer Mann namens Julian durchs Land, um ein heilendes Wunder zu vollbringen. Dabei versammelt er drei Jünger um sich, die Arbeit, Familie und Verpflichtung hinter sich lassen, um wieder zu sich selbst zu finden. Bei seiner Uraufführung im Rahmen der von schwermütigen Dramen dominierten Hofer Filmtage kam die unkonventionelle Tragikomödie um eine außergewöhnliche Wallfahrt und einen metaphorischen Sprung dann auch als humorvolle Abwechslung bestens beim Festivalpublikum an.

    Julian (Robert Stadlober) ist auf dem Weg von Berlin ins schwäbische Tuttlingen. Doch der junge Mann, der hellseherische Fähigkeiten an den Tag legt, lehnt jeglichen Reisekomfort ab. Er hat sich zum Ziel gemacht, den Weg zu Fuß zurückzulegen und ist sich sicher, dass seine Wallfahrt eine heilende Kraft für einen schwer erkrankten Menschen haben wird. Die mit ihrem Beruf hadernde Assistenzärztin Ju (Jessica Schwarz) ist gefesselt von der mönchsgleichen Aura des traumwandlerischen Blondschopfs - und lässt kurzerhand Job und Freund zurück, um Julian zu folgen. Auch die frustrierte, von Kind und Ehemann genervte Ruth (Anna Schudt) schließt sich den beiden an. Der verlotterte und schwer gestresste Kriminalbeamte Jan (Martin Feifel) versucht derweil, den aus der geschlossenen Anstalt entflohenen Wanderer wieder in die Psychiatrie zurückzubringen. Noch wissen Ju und Ruth nicht, welche Geschichte ihr Anführer eigentlich mit sich herumträgt...

    „Der Mann, der über Autos sprang" ist ein Road Movie ohne fahrbaren Untersatz, dessen Protagonist, ähnlich der drei Hauptfiguren aus „Vincent will meer" mit klarem Ziel vor Augen aus der Psychiatrie ausbricht und sich nun auf der Flucht befindet. Doch bei Julians Reise von Berlin ins ländliche Tuttlingen handelt es sich um einen Genesungsdienst für den Vater eines Freundes. Die Wanderung ist dabei angelehnt an den Marsch des Regisseurs Werner Herzog, der sich im Jahre 1973 von München nach Paris aufmachte, um die erkrankte Filmhistorikerin Lotte Eisner mit seiner 22-tägigen Pilgerfahrt durch eine surreale Winterlandschaft auf den Weg der Genesung zu bringen. Herzogs Reisetagebuch „Vom Gehen im Eis" erschien als Roman und von ihm selbst eingesprochenes Hörspiel. Einen filmische Entsprechung zur düsteren Reisebeschreibung hat Nick Baker-Monteys nicht geliefert, sein Deutschlandtrip ist ungleich lichter und zuversichtlicher.

    Julian wird auf außergewöhnliche Weise von Robert Stadlober („Zarte Parasiten", „Crazy") verkörpert. Er verleiht dem entflohenen Psychiatrie-Patienten eine besondere Aura - mit stoischer Ruhe, ungeheurer Entschlossenheit und scheinbar hellseherischen Fähigkeiten wird die Faszination, welche der weltentrückt erscheinende Mann auf seine Mitwanderer ausübt, in gewisser Weise nachvollziehbar. Jessica Schwarz („Die Tür", „Buddenbrooks") kann nach ihrer Hauptrolle im Eröffnungsfilm „Das Lied in mir" auch in ihrem zweiten Filmauftritt auf den Hofer Filmtagen 2010 mit großer Natürlichkeit glänzen. Der ihre Lebensziele gänzlich in Frage stellenden Assistenzärztin Ju, die sich dem seltsamen Jüngling trotz ihrer rationalen Denkweise anschließt, haucht sie gekonnt Leben ein.

    Obwohl die Wanderer ihre jeweilige Problemlast auf ihrem langen Weg zu bewältigen haben, verbreitet der von wunderlichen Zufällen angetriebene, teils ins märchenhafte abdriftende Film eine ungeheuer positive Stimmung. Obgleich die zusammengewürfelte Gruppe nicht durch die verwunschene Welt des Zauberers von Oz wandelt, sondern nur entlang der Landstraßen in Richtung Baden-Württemberg, weist die Handlung klare Parallelen zur bekannten Geschichte um die Suche nach Herz, Mut und Verstand auf. Gewitzt beschreibt Regisseur Nick Baker Monteys die Reise zu sich selbst - dass die Logik im märchenhaften Flair des Road-Movies teilweise zur Nebensache gerät, machen die originell-schrägen Episoden schnell vergessen. „Der Mann, der über Autos sprang" ist ein launig-fröhlicher Fußmarsch und ein gelungenes Regie-Debüt.

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