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    Was du nicht siehst
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Was du nicht siehst
    Von Michael Smosarski

    Coming-of-Age mal anders: Anton, der Protagonist in Wolfgang Fischers Langfilm-Debüt „Was du nicht siehst", ist kein Holden Caulfield, der sich an der Außenwelt und ihren Grenzen stößt. Vielmehr richtet sich sein Blick nach innen – und so auch die Perspektive eines Films, der auf Grundlage dieser Prämisse als eine Melange aus psychologischem Thriller, Drama, Mystery und freudianisch geprägter erotischer Lovestory erscheint. Bei allem Bemühen um Look und Tiefgang schürft der Regisseur aber doch bloß an der Oberfläche, vor allem, weil das Drehbuch deutliche Schwächen aufweist. Sehenswert ist „Was du nicht siehtst" dennoch, denn Fischers Bilderreigen macht, zusammen mit dem soliden Jungsstar-Ensemble, den Mangel an erzählerischer Klasse über weite Strecken wett.

    Der 17-jährige Anton (Ludwig Trepte) leidet im Stillen unter einer traumatischen Erfahrung. Ein gemeinsamer Urlaub mit seiner Mutter Luzia (Bibiana Beglau) und ihrem neuen Freund Paul (Andreas Patton) soll ihm helfen, das Geschehene zu verarbeiten. Unter der Oberfläche, die eine heile Welt vorspiegeln soll, bestehen jedoch Konflikte fort und brechen sich Frustration und Leid ihre Bahn. Wie aus heiterem Himmel erscheinen plötzlich David (Frederick Lau) und Katja (Alice Dwyer) auf der Bildfläche. Die beiden sind das genaue Gegenteil von Anton, extravertiert, intuitiv und hemmungslos – und damit üben sie eine gefährliche Faszination auf den verzagten Jugendlichen aus...

    Wirkungsvoll ist „Was du nicht siehst" vor allem aufgrund der atmosphärischen Dichte. Bereits mit der ersten Szene, der Autofahrt zum Urlaubsort, setzt Fischer den Ton des Films, dessen Inszenierung auf dem Moment der Unberechenbarkeit beruht: Stets besteht der Eindruck, die Stimmung zwischen Luzia, Paul und Anton könne umschlagen, Heiterkeit zu Hysterie werden. Aus purem Überschwang wirft Luzia einen Zigarettenanzünder aus dem Fenster, der im trockenen Gras am Straßenrand weiterglimmt – eine unzweideutige Metapher für die schwelenden Konflikte, in die sie verstrickt ist. Überhaupt ist „Was du nicht siehst" geprägt von metaphorischen Verklausulierungen: Vieles von dem, was zwischen den Figuren unausgesprochen bleibt, findet in symbolträchtigen Bildern Entsprechung. Die Farbe Rot etwa ist ein Leitmotiv, Blut und Gefahr sind die vordergründigen Assoziationen.

    Um Subtilität schert sich Fischer mit seinem Debüt nicht. Häufig verlässt er sich auf sattsam bekannte Symbolsprache, um der kargen Story Würze zu verleihen. Die unheilvolle Stimmung bleibt nicht auch dauerhaft spannend, vor allem, weil Fischer nicht nachlegt, beispielsweise indem er seinen Protagonisten substanzielle Dialoge gönnt. Stattdessen sind die Wortwechsel des Dreiergespanns Anton, David und Katja meist einsilbig auf eine etwas prätentiöse Weise bedeutungsschwanger. Gerade angesichts der Kammerspiel-Aufmachung von „Was du nicht siehst" ist das etwas zu wenig, zumal die Dialog-Phrasen keine greifbaren Figuren ersetzen können.

    Auch die dunkle Anziehungskraft des seltsamen Paars Katja und David erschöpft sich in Situationen, die auf Klischees von Verwegenheit und Nonkonformismus rekurrieren: Schnelles Autofahren, Schlägereien, erotische Spielchen, Originelleres haben die beiden nicht zu bieten. Die Darsteller können dieses Manko wenigstens phasenweise auffangen, gerade Ludwig Trepte gibt dankenswerterweise gerade nicht den quasi-autistischen Sonderling, vielmehr überzeugt er mit nuanciertem, hintergründigem Spiel. Auch Alice Dwyer und Frederik Lau, der zuletzt im gefeierten „Picco" brillierte, kann man kaum einen Vorwurf machen – allerdings haben sie es schwerer, gegen den Mangel an Charakterisierung durch das Drehbuch anzuspielen.

    Über jeden Zweifel erhaben ist derweil die Kamera-Arbeit. In intensiven, märchenhaften Bildern, die eine unheimliche Sogwirkung entfalten, erzählt Martin Gschlacht den Trip ins Unbewusste. „Was du nicht siehst" hinterlässt ambivalente Gefühle – für ein psychologisierendes Kammerspiel findet zu wenig substantielle Interaktion zwischen den Figuren statt, als im Psychoanalytischen verhaftete Innenschau kann der Film dagegen, vor allem dank der fantastischen Bilder, überzeugen. Ein interessantes Debüt ist „Was du nicht siehst" deswegen, weil Wolfgang Fischer ambitioniert Genres verwebt und unterschiedliche Lesarten provozieren will – man darf gespannt sein, was der Filmemacher folgen lässt.

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