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    Die Morde von Snowtown
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Morde von Snowtown
    Von Stefan Dabrock

    Das Gefühl, im Stich gelassen zu werden, gehört zu den enttäuschendsten Erfahrungen, die man im Leben machen kann. Wenn die Empfindung nicht nur mit einem einzelnen Ereignis verbunden ist, sondern durch die gesamte Lebenssituation hervorgerufen wird, dann kann sich ein fataler innerer Druck aufbauen, dessen Kraft einen manchmal schnurstracks Richtung Katastrophe treibt. Regisseur Justin Kurzel porträtiert in seinem True-Crime-Drama „Snowtown" die triste Atmosphäre einer Vorstadt in der Nähe von Adelaide, deren Bewohner nicht nur unter einer perspektivlosen wirtschaftlichen Situation leiden, sondern die auch die ordnende Hand des Staates vermissen. Dieser, so scheint es, überlässt die sozialen Randfiguren lieber sich selbst und dem Schicksal. Dabei verzichtet Kurzel auf eindeutige Erklärungen und versucht stattdessen, die beobachteten Details für sich sprechen zu lassen. Das funktioniert so lange sehr gut, bis sich das Konzept erschöpft, wenn Kurzel alles gesagt hat, was er sagen wollte und „Snowtown" beginnt, sich erzählerisch im Kreis zu drehen.

    Wer in der tristen Vorstadt aufwächst, in der „Snowtown" spielt, weiß, dass er nicht das Glück einer begünstigten Geburt erfahren hat. Die schmucklosen Bungalows mit ihren leicht heruntergekommenen Fassaden und die Ödnis ihrer ungepflegten Vorgärten spiegeln die Atmosphäre eines Wohngebietes wider, in dem die Spielautomaten noch die größte Attraktion sind. Der 16-jährige Jamie (Lucas Pittaway) wächst hier mit zwei Brüdern und seiner Mutter (Louise Harris) ohne Vater auf. Ihm fehlt eine Autoritätsperson, die seinem verunsicherten Dasein Halt geben könnte. Deswegen sucht er die Nähe John Buntings (Daniel Henshall), der als charismatischer Wortführer in der Nachbarschaftsgemeinschaft um Jamies Mutter aufgetaucht ist. In ihm sieht der Junge einen Vaterersatz, so dass es John gelingt, Jamie in seine geheime Welt hineinzuziehen. Diese hat es wahrlich in sich und bald schon merkt er, dass sein neugewonnener Mentor eine Bestie in Menschengestalt ist, die das menschliche Leben nicht sonderlich wertschätzt. Unbemerkt von den meisten Bewohnern in der Vorstadt begeht John mit ein paar verschworenen Helfern Morde an Menschen, die er für Abschaum hält. Trotz seiner inneren Zerrissenheit angesichts der Gewaltspirale, in die John ihn immer hineinzieht, wird Jamie Teil der düsteren Welt um den Serienkiller Bunting.

    Die Snowtown-Mordserie, die in den 1990er Jahren in der Umgebung der gleichnamigen Stadt elf Opfer gefordert hat, gehört zu den brutalsten Verbrechen Australiens. Ausgehend von den realen Ereignissen, die sich bis auf eine Ausnahme nicht in Snowtown direkt abgespielt haben – hier wurden nur gegen Ende der Mordserie die Leichen gelagert -, entwickelt Regisseur Justin Kurzel ein detailliertes Porträt des sozialen Lebens am unteren Rand der australischen Gesellschaft. Zwischen religiöser Gemeinschaft mit Singkreis und abendlichen Gesprächsrunden in der Küche von Jamies Mutter, bei der die Bekannten aus der Nachbarschaft ihre Meinung zu politischen oder sonstigen Themen zum Besten geben, pendelt das Dasein ohne echte Chancen auf eine Veränderung hin und her. Die Menschen wissen, dass es ihnen vergleichbar schlecht geht und suchen einen Sündenbock für die Misere. Unter der Meinungsführerschaft Buntings sind auch gleich zwei Hauptfeinde gefunden: Zum einen wären da die Pädophilen, gegen die der vermeintlich unfähige Staat nicht hart genug vorgeht, sowie Homosexuelle, die für John auch nur potentielle Pädophile darstellen. Wie so oft brodelt unter der vermeintlichen Entrüstung zu diesem Thema jedoch vor allem latenter Sadismus, der nach einem Ventil sucht. Mit einem solchen Weltbild landet man gewiss nicht bei Greenpeace. Plötzlich ist für John und seine willfährigen Helfer ein Feindbild gefunden, an dem sich die aufgestauten Frustrationen abreagieren lassen. Sie können sich auch noch wie edle Rächer fühlen, die das marode Justizsystem ersetzen. Dabei sind die vermeintlich Pädophilen nur ein Symbol für die aufgestaute Wut angesichts der wachsenden Enttäuschung. Im Laufe der Mordserie wird Bunting auch von Homosexuellen und Pädophilen als Hauptziel seines Hasses absehen und willkürlich alle Mitmenschen ins Visier nehmen, die ihm persönlich ein Dorn im Auge sind.

    Regisseur Kurzel begeht aber nicht den naiven Fehler, die Morde als logische Folge abzuleiten. Er schildert lediglich den Nährboden, auf dem Taten wie diese gedeihen können. Adam Arkapaws Kamera ist dabei stets nah genug an den Figuren, um das dichte Geflecht aus trostloser Realität sowie ihrer Gefühlswelt authentisch abzubilden. Für den Schritt, der John und seine Mitstreiter dazu gebracht hat, ihrer Frustration mit Morden Luft zu machen, gibt es keine erklärende Szene. Die Taten finden einfach statt, als handele es sich um eine reguläre Arbeit, über deren Notwendigkeit man sich keinerlei Gedanken machen müsse. Die banale Routine, mit der die Täter ihre Opfer malträtieren, reflektiert die ebenso düstere wie abgestumpfte Gedankenwelt Johns und seiner Schergen, für den seine Opfer keinerlei Menschenrecht zu besitzen scheinen. Einzig Jamie offenbart Respekt gegenüber den Getöteten, wenn er angesichts der Leichen mit den Tränen kämpfen muss. Seine schleichende Verrohung im Laufe der Mordserie setzt eine tragische Note in ein ansonsten bedrohlich nüchtern inszeniertes Szenario. Mit wummernden Bässen untermalt Kurzel das verstörte Innenleben Jamies während der Taten. Die reine Abbildung des grausamen Geschehens wirkt schließlich als grimmige Anklage gegenüber einer Gesellschaft, die einen Teil ihrer Mitglieder einfach vergessen hat.

    Sein Entwurf einer Sozialstudie mit kommentarloser Präsentation der Grausamkeit leistet sich nur eine, nicht zu unterschätzende Schwäche: nach 60 bis 80 Minuten hat Kurzel alles zur Thematik gesagt, was ihm eingefallen ist. Was folgt ist die reine Wiederholung gleichförmiger Szenen zu gleichförmiger Musik mit gleichförmigem Kamerastil. Das Grauen, die Banalität und die Trostlosigkeit lassen sich aber auch durch ihre Wiederholung nicht mehr steigern, zumal Kurzel bereits zuvor prägnante Bilder gefunden hat. Mit fortlaufender Dauer erschöpft sich „Snowtown" nicht zu knapp. Dank seiner guten Beobachtungsgabe ist es Kurzel solcher Kritik zum Trotze gelungen, eine überzeugende Milieustudie über den Hass zu drehen, der im sozialen Abseits beizeiten die schrecklichsten Blüten treibt.

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