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    Detachment
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Detachment
    Von Robert Cherkowski

    Der wichtigste Rohstoff einer Gesellschaft ist die Bildung. Ohne eine gute Ausbildung für möglichst breite Teile der Bevölkerung sieht die Zukunft düster aus. Umso größer ist die Bedeutung von Lehrern, die ihre Schüler nicht nur mit Buchwissen versorgen, sondern sie auch geistig-moralisch unterrichten. Besonders in sozialen Randgebieten ist die Vermittlung von Respekt und Selbstachtung oft eine wahre Sisyphusarbeit, die sich nicht gerade durch spektakulären Schau- und Unterhaltungswert auszeichnet. Nennenswerte Filme zum Thema sind entsprechend eher Mangelware, eine bemerkenswerte Ausnahme ist etwa Laurent Cantets Dokudrama „Die Klasse". US-Produktionen über die Arbeit von Lehrern an sozialen Brennpunkten geraten dagegen oft kitschig und zuweilen verlogen wie in den Fällen des Jerry-Bruckheimer-Melodrams „Dangerous Minds", des düsteren Thrillers „187 - Eine tödliche Zahl" oder des Jim-Belushi-Vehikels „Der Prinzipal - Einer gegen alle". Wie es anders geht, zeigt Tony Kaye mit seinem Schul-Drama „Detachment", in dem Adrien Brody („Der Pianist", „King Kong") die Hauptrolle spielt. Der Regisseur, der nach seinem furiosen Debüt „American History X" und den damit verbundenen Querelen um den Final Cut von Hollywood kaltgestellt wurde, mag sich hier und da im Ton vergreifen, überzeugt aber mit ehrlichem Engagement.

    Henry (Adrien Brody) tingelt als Aushilfslehrer von Schule zu Schule und kommt so mit vielen unterschiedlichen Facetten des maroden öffentlichen Schulsystems der USA in Berührung. In sozial schwachen Gegenden lernt er nicht nur Schüler kennen, die sich von Staat und Schule im Stich gelassen fühlen und ihren Unmut offen zeigen, sondern auch Lehrer, die nicht mehr zu ihren Schülern durchkommen und unter den tagtäglichen Herausforderungen und Demütigungen zu zerbrechen drohen. Da sein Engagement jedes Mal zeitlich begrenzt ist, fällt es auch Henry schwer, Kontakt zu den Schülern herzustellen. Einzig zur sensiblen, von ihren Mitschülern gemobbten Meredith (Betty Kaye) kann er eine Bindung aufbauen, die jedoch ein tragisches Ende findet, als Henry weiterziehen muss.

    Wer hinter dieser Inhaltsangabe Herzschmerz und großes Drama vermutet, liegt nur zum Teil richtig. Zwar wird ausgiebig Leid, Hoffnungslosigkeit und Schmerz thematisiert, der eigentliche Kern des Films sind aber die ernsten Themen Bildungsnotstand und die Perspektivlosigkeit einer ganzen Generation. „Detachment" hat das Herz nicht nur am rechten Fleck, sondern Tony Kaye ist auch ehrlich genug, seine Protagonisten und das Publikum mit harten Wahrheiten zu konfrontieren. Was allerdings nicht heißt, dass er alles richtig gemacht hätte: Etliche Szenen wirken so plakativ wie jene, in der sich Adrien Brody in seiner ersten Stunde vor der völlig demotivierten Klasse aufbaut und die bekannte „Ich bin eine ganz andere Art Lehrer"-Nummer abzieht. Dass der exzentrische Oscar-Preisträger ein wenig fehlbesetzt wirkt, macht die Sache nicht besser. Die Rolle eines engagierten Lehrers mit Sisyphus-Komplex verlangt zwar nach intensivem Spiel, doch wirkt Brodys Darstellung hin und wieder arg gekünstelt.

    Neben Brody tummelt sich eine illustre Schar bekannter Gesichter vor der Kamera: James Caan („Der Pate"), Marcia Gay Harden („Mystic River"), Lucy Liu („3 Engel für Charlie"), Bryan Cranston („Breaking Bad") und Christina Hendricks („Mad Men") sind in meist kleinen Nebenrollen zu sehen und haben kaum Gelegenheit, ihren holzschnittartigen Figuren Kontur und Unverwechselbarkeit zu verleihen. Man merkt ihren Auftritten an, dass sie den Stoff für wichtig und unterstützenswert hielten, dennoch hätte man ihnen substantiellere Rollen gewünscht. Immer wieder wirkt es so, als wäre Kaye der Film entglitten, als hätte er einfach zu viel gewollt. Mal gibt es pseudodokumentarische Sequenzen, in denen Henry seine Frustrationen direkt in die Kamera spricht, dann hektische Schnittgewitter, die dem traumatischen Geschehen wohl besonderen Drive verleihen sollen, statt dessen jedoch eher etwas hilflos anmuten.

    Wer hier den alten Spruch „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint" bemüht, der tut Kayes Film dennoch unrecht. Vielmehr ist die tiefe Sympathie des Regisseurs für die Schüler zu spüren, die sich bilden wollen und die trotz mieser Aussichten versuchen, sich in der Welt zu beweisen. Kaye profiliert sich ein weiteres Mal als ein im besten Sinne engagierter Filmemacher und schreckt nicht davor zurück, sein Publikum mit Problemen zu konfrontieren, die sich eben nicht im Rahmen einer konventionellen Dramaturgie abhandeln lassen. „Detachment" mag ein schwer überfrachteter und im Detail unausgegorener Film sein, doch mit und in ihm werden wichtige Fragen gestellt. Trotz gelegentlicher Sentimentalität wird er nie zum verlogenen Rührstück und Kays beschwichtigt die Zuschauer auch nicht mit den einfachen Antworten, die der vielleicht gern hören würde.

    Fazit: Tony Kayes Schuldrama gerät sowohl stilistisch als auch inhaltlich so manches Mal ins Stolpern, doch seine wichtigen und im Kino sonst selten behandelten Themen werden mit überzeugendem Engagement behandelt.

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