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    Westwind
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Westwind
    Von Robert Cherkowski

    Schon die Intellektuellen der französischen Nouvelle Vague haben sich ihrerzeit die Köpfe darüber zerbrochen, was genau Film eigentlich sei und auf welchen Nenner die Kunst des bewegten Bildes zu bringen ist. Während der alte Theoretiker Jean-Luc Godard noch dozierte, Film wäre „24 mal Wahrheit pro Sekunde", sah sein Weggefährte François Truffaut die ganze Angelegenheit lockerer und vertrat die Position: „Kino heißt, schöne Frauen schöne Dinge tun lassen." An dieser griffigen Formel scheint sich auch Robert Thalheim bei seinem dritten Spielfilm „Westwind" orientiert zu haben.

    1988: Wie in jedem Jahr fahren die ostdeutschen Zwillingsschwestern Doreen (Friederike Becht) und Isabell (Luise Heyer) zum Rudertraining ins ländliche Ungarn. Schon so manches Herz haben die eng verbundenen Geschwister in der Heimat und in der Ferne gebrochen. Derweil glaubt ihr Trainer (Hans-Uwe Bauer) fest an ihr Talent und will sich gar für ihren Olympia-Einsatz starkmachen. Das hindert die Schwester freilich nicht daran, trotzdem in jeden Honigtopf zu fallen und so manchen Kopf im und und um das Trainingscamp zu verdrehen – darunter auch den des Hamburger Touristen Arne (Franz Dinda), der ihnen schon auf der Anreise schöne Augen gemacht hat. Nacht für Nacht schleichen sie sich durch ein Loch im Zaun zu Arne und seinen Freunden. Langsam bahnt sich zwischen Doreen und Arne eine Liebelei an. Als dieser Doreen vorschlägt, mit ihm zusammen das Land gen Westen zu verlassen, stehen die Geschwister vor einer folgenschweren Entscheidung...

    Wer jetzt das Allerschlimmste erwartet, der sei entwarnt: Thalheim hat sich nicht an den Klischees aus der Mottenkiste der alten Ost/West- und DDR/BRD-Klischees bedient. Hier gibt es keine schmierigen „Frau vom Checkpoint Charlie"-Klischees, keine indoktrinierten Schergen oder gemeine Bonzen, die vom Schutzwall erzählen. Wenn Arnes Freunde jugendlich-unbeholfen ein paar Ossi/Wessi-Zoten hervorkramen, kann das ostdeutsche Geschwisterpaar nur müde grinsen, und auch das nur aus Höflichkeit. Tatsächlich sind es vor allem Understatement und leise Gestik, die den Reiz von „Westwind" ausmachen. So erscheint die BRD den Schwestern eher wie eine ferne und exotische, als eine bessere Welt. Als Arne sie einmal fragt, ob sie denn überhaupt mit „imperialistischer" Popmusik vertraut seien, kichern beide in sich hinein und meinen, dass der titelgebende Westwind „Depeche Mode" und „The Cure" auch in die ostdeutschen Radios trage. Die Welt scheint in Ordnung, etwas muffig zwar, doch erträglich – keine Spur von sozialistischer Tristesse.

    Deutlich ist hinter „Westwind" eine Liebeserklärung an den Träumer des neuen deutschen Films auszumachen, an Rudolf Thome, der seit den 60er Jahren beschwingt und mit unprätentiöser Lässigkeit in den Gesichtern seiner Hauptdarsteller badet und dabei den Gott des dramatischen Erzählens einen guten Mann sein lässt. Warum ständig psychologisch ausloten, wenn sich stattdessen soviel mehr aus der Perspektive des Schwärmers erschließt? Mit Heyer und Becht als Geschwister hat auch Thalheim ein starkes Zentrum gefunden. Ihre unverbrauchte Leinwandpräsenz erfrischt und zieht Blicke geradezu magisch an. Thalheim tut gut daran, sie über weite Strecken einfach machen zu lassen und nimmt eine beobachtende, ja fast verschämte Beobachterrolle ein. Zu Beginn funktioniert sein Film am besten, wenn er erzählerisch auf der Stelle tritt und das freie Treiben der kessen Schwestern beobachtet – ohne dabei in die Lüsternheit eines Bernardo Bertolucci zu verfallen. Doreen und Isabell sind niemals nur Sexobjekte oder Lolitas, sondern natürliche junge Frauen, an deren Selbstbewusstsein sich so mancher Mann die Zähne ausbeißt.

    Zum sommerlichen Reigen à la Rudolf Thome oder Eric Rohmer („Pauline am Strand") fehlt dennoch etwas: So ganz ohne Handlung geht es eben nicht. Sobald sich Thalheim daran begibt, die Ereignisse zuzuspitzen, wendet sich der „Westwind" gegen ihn. So angenehm der Schlendergang anfangs auch sein mag – irgendwann verläuft er sich im Nirgendwo der Langeweile. Nachdem Doreen und Ísabell mehrmals aus ihrem Camp ausgebrochen sind, um mit den Westlern die Nacht zum Tage zu machen, erschöpfen sich die immer gleichen Bilder der Flucht durch einen Zaun am Rande des Camps. Und wenn „Westwind" im Schlussakt plötzlich doch noch zu einem Drama am eisernen Vorhang wird, offenbart sich die erzählerische Unbeholfenheit auf frappierende Art und Weise. Wer die Zügel so lange so locker hält, der darf sie nicht auf so ungelenke Art plötzlich anziehen, ohne das mindestens ein Teil des erstaunten Publikums bockt und ausschert. Thalheim drängt seine Protagonistinnen auf Teufel komm raus an dramatische Scheidewege, wo schicksalhafte Entscheidungen im Rosamunde-Pilcher-Stil getroffen werden.

    Für die Dramatik, die es bedurft hätte, den gehetzten und plötzlich melodramatischen Schlussakt wirklich packend zu gestalten, fehlt es schlicht und ergreifend an emotionaler Dringlichkeit. Dafür kommt zwischen Becht und Zinda, deren Beziehung zueinander letztendlich wie ein launiger Urlaubsflirt wirkt, beim besten Willen nicht genug Chemie auf. Nach und nach mutiert „Westwind" zu einem 08/15-Drama, das im Wochenprogramm der Öffentlich-Rechtlichen besser aufgehoben wäre als auf den großen Leinwand. Manchmal reicht es eben doch nicht, seinen Blick über neunzig Minuten über schöne Frauen schweifen zu lassen.

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