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    In ihrem Haus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    In ihrem Haus
    Von Christian Horn

    Kaum ein Autorenfilmer der Gegenwart bewegt sich so geschmeidig durch unterschiedlichste Genres, Stile und Tonlagen wie der Franzose François Ozon. Während Regisseure wie Pedro Almodóvar („Die Haut, in der ich wohne") oder Woody Allen („Midnight in Paris") im Grunde immer Varianten ihrer bisherigen Werke drehen, ist bei einem neuen Film von François Ozon alles möglich: Ob die kunterbunte Musical-Komödie „8 Frauen", der psychologisch doppelbödige Thriller „Swimming Pool" oder das mit magischem Realismus aufgeladene Sozialdrama „Ricky" – der französische Filmemacher lässt sich kaum auf ein bestimmtes Muster festlegen. Mit dem Thrillerdrama „In ihrem Haus" vollzieht François Ozon nach der leichtfüßigen Komödie „Das Schmuckstück" einen abermaligen Genrewechsel. Sein straff strukturierter Film erweist sich als spannende Studie über das Verhältnis eines Autors zu seinem Publikum und ist darüber hinaus eine Hommage an die erzählerische Vielfalt des Kinos.

    Der Französischlehrer Germain (Fabrice Luchini) hat sich mit seiner Ehefrau Jeanne (Kristin Scott-Thomas) ein behagliches Bildungsbürger-Leben eingerichtet. Doch sein Berufsalltag frustriert ihn ungemein: Die schnöden Aufsätze seiner 16-jährigen Schüler, die kaum etwas für Literatur übrig haben, reißen ihn zu der zynischen Bemerkung hin, die „schwächste Klasse seines Lebens" zu unterrichten. Allein der schweigsame Hinterbänkler Claude (Ernst Umhauer) überrascht Germain mit einem geschliffenen Aufsatz, in dem er beschreibt, wie sich der Schüler das Vertrauen des Mitschülers Rapha (Bastien Ughetto) erschleicht, um dessen attraktiver und gelangweilter Mutter Esther (Emmanuelle Seigner) näherzukommen. Der voyeuristische und sarkastische Unterton des Essays versetzt Jeanne in Sorge – ihr Mann ist indes vom schriftstellerischen Talent seines Schülers überzeugt und will Claude bei der Perfektion seiner Fertigkeiten unterstützen. Doch die Situation entwickelt bald eine gefährliche Eigendynamik...

    Wie schon bei seinem Frühwerk „Tropfen auf heiße Steine" oder bei „8 Frauen" adaptiert François Ozon ein Theaterstück – dieses Mal handelt es sich um eine Vorlage des Spaniers Juan Mayorga. Das auffälligste inszenatorische Merkmal von Ozons freier Bearbeitung ist die bereits erwähnte Vermischung unterschiedlicher Genres. Während „In ihrem Haus" als realitätsnahes Sozialdrama über den heutigen Lehreralltag beginnt, weitet sich der Film mit zunehmender Laufzeit zum voyeuristischen Thriller aus, den Ozon mit Ironie und Satire durchsetzt. Abseits der klar strukturierten Handlung verhandelt Ozon dabei sein eigentliches Thema: Im Kern handelt „In ihrem Haus" von den manipulativen Mitteln, die ein Autor einsetzt – ganz so wie Claude seinen Mitschüler für seine Zwecke beeinflusst, verfährt auch Ozon mit seinem Publikum. Der Regisseur verschlüsselt die Absichten seiner Figuren genau wie seine eigenen und verwischt die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit auf vielfältige Weise.

    Doch auch über die bisweilen etwas verkopft anmutende selbstreflexive Ebene hinaus bietet „In ihrem Haus" einiges, insbesondere in der sich stetig verändernden Beziehung zwischen Germain und Claude. Dass der Lehrer seinen Schüler so engagiert unterstützt, liegt vor allem an der Vergangenheit Germains, der früher selbst Schriftsteller werden wollte, mit seinem Debütroman jedoch auf wenig Interesse stieß. Wenigstens als Mentor will Germain nun in die Annalen der Literaturgeschichte eingehen und vergisst daher schnell, dass die manipulative Einmischung seines Schülers in eine andere Familie moralisch fragwürdig ist. Getragen wird das Thrillerdrama nicht zuletzt von den fesselnden Darstellern: Fabrice Luchini („Asterix & Obelix: Im Auftrag Ihrer Majestät") verleiht seinem gelangweilten Lehrer eine gewisse Tragik, während Ernst Umhauer die Entwicklung seiner Figur vom stillen Wasser zum selbstsicheren Voyeur glaubhaft vermittelt. Hinzu kommen Schauspielgrößen wie Kristin Scott Thomas („Der englische Patient") und Emmanuelle Seigner („Frantic"), deren Figuren und Darbietungen einmal mehr Ozons Vorliebe für starke und komplexe Frauenrollen belegen.

    Fazit: Mit stilsicherer Inszenierung entwickelt François Ozon „In ihrem Haus" vom realitätsnahen Drama zum Psychothriller und verleiht ihm eine zusätzlich eine reizvolle selbstreflexive Ebene.

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