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    Müll im Garten Eden
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Müll im Garten Eden
    Von Robert Cherkowski

    Fatih Akın ist einer der beliebtesten, aber auch einer der oft missverstandenen Filmemacher des deutschen Gegenwartskinos. Seit seinem Langfilmdebüt „Kurz und schmerzlos" wird er in den Feuilletons immer wieder zum Multikulti-Experten vom Dienst gemacht. Wie in seinem Erstling thematisiert Akin zwar auch in „Gegen die Wand" und „Auf der anderen Seite" Integrationsprobleme sowie die diffuse Sehnsucht nach einer unbekannten Heimat. Allerdings funktionieren seine Autorenfilme immer auch ohne diese thematische Überschrift als intensive Dramen, die von einer umgreifenden humanistischen statt von einer kulturspezifischen Energie angetrieben werden. Während man in Deutschland nach einer Schublade für den jungen Wilden suchte, war die internationale Filmwelt wieder einmal schneller und hieß ihn als originellen Regisseur in der Riege der Großen willkommen. Sogar seine lässige Fingerübung „Soul Kitchen" wurde seinerzeit bei den Filmfestspielen in Venedig frenetisch gefeiert. Nebenbei hat sich Akin auch als Dokumentarfilmer („Crossing the Bridge") etabliert. Aber es war wohl vor allem der prominente Name, der Akins neuestes Werk ins Festivalprogramm von Cannes 2012 katapultiert hat, denn seine unausgewogen erzählte und bebilderte Dokumentation „Der Müll im Garten Eden" gehört nicht zu seinen stärksten Arbeiten.

    Wieder einmal sind Akins Thema und seine Perspektive darauf sehr persönlich. Camburnu im Nordosten der Türkei ist der Heimatort seiner Großeltern väterlicherseits, hier will der Filmemacher seinen Wurzeln nachgehen. Das Dorf wurde jedoch von einer kaum verhohlen korrupten Obrigkeit zur Stätte einer Mülldeponie auserkoren, das Veto der Bewohner ignoriert. Als sich dann herausstellt, dass die Deponie auch noch höchst schlampig errichtet wurde und dass durch das Fundament Chemikalien ins Grundwasser sickern, regt sich Widerstand unter der rustikalen und naturverbundenen Bevölkerung. Jung wie alt zieht es auf die Straßen – und Akin nutzt die Gelegenheit, um sowohl den Wandel in der türkischen Landbevölkerung als auch die politischen Gräben, die sich bei den Veränderungen auftun, zu zeigen. So präsentiert er etwa eine emanzipierte und selbstbewusste Jugend, die es auf Konzerte statt in Moscheen zieht. Insgesamt gelingt ihm anhand der Geschehnisse in Camburnu ein ungezwungenes Porträt der Gegenwartstürkei, aber so feinsinnig wie gewohnt geht er dabei nicht vor.

    Vieles wirkt hier konzeptionell unfertig. So pendelt Fatih Akın unentschlossen zwischen der Verklärung der herzlichen Landbevölkerung einerseits sowie anklagenden Montagen der schmutzigen und unprofessionell errichteten Deponie andererseits. Beeindruckend sind vor allem die wortlosen Passagen, in denen mit eleganten Kamerafahrten über toxische Felder bedrohliche Müll-Panoramen gezeichnet werden. Der so treibende wie hypnotische Soundtrack von Alexander Hacke, der an seine Band „Einstürzende Neubauten" denken lässt, fesselt zusätzlich. Hier entwickelt der Film immer wieder echte Sogwirkung. Manchmal scheint es, als wolle Akin sich mit den elenden und doch auch unwirklich-schönen Tableaus von Michael Glawogger („Workingman's Death", „Whores' Glory") messen. Auch die Porträts kauziger Einsiedler erinnern zuweilen an den österreichischen Exzentriker. Um ihre volle Wirkung entfalten und dem Glawogger-Vergleich standhalten zu können, sind diese Passagen jedoch zu kurz und zu ungleichmäßig über den Film verteilt.

    Ähnlich verhält es sich mit Akins Schilderung des Kampfes der Bewohner von Camburnu. Da er lange Zeit vor Ort verbracht hat, muss es eigentlich eine Menge Material gegeben haben. Aber seine Auswahl bleibt diesbezüglich unbefriedigend: Er präsentiert uns gefühlt endlose Aufnahmen uriger Volksfeste oder spontaner Flötenkonzerte im örtlichen Café, während die kurzen Einblicke in das Engagement der immer wieder gleichen Bewohner wiederum nicht ausreichen, um das „Heroische" ihres Aufstands greifbar zu machen. Einen klaren Erzählrhythmus hat der sonst so stilsichere und dynamische Regisseur hier nicht gefunden. So bleibt „Der Müll im Garten Eden" ein gewohnt persönliches und gewiss auch interessantes Kapitel in der Filmographie des Regieabenteurers Akin, ganz sicher aber kein herausragendes.

    Fazit: „Der Müll im Garten Eden" wirkt zerfahren, fragmentarisch und seltsam planlos – jedenfalls im Kontext des Schaffens von Fatih Akin. Inhaltlich bedeutsam ist seine Dokumentation jedoch auch ohne den für den Regisseur typischen formalen Feinschliff.

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