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    Die Erfindung der Liebe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Erfindung der Liebe
    Von Sascha Westphal

    Als die junge Schauspielerin Maria Kwiatkowsky überraschend am 4. Juli 2011 verstarb, waren die Dreharbeiten zu Lola Randls Melodram „Die Erfindung der Liebe“ noch lange nicht abgeschlossen. Der Filmemacherin blieb in diesem Moment kaum eine andere Möglichkeit, als die Dreharbeiten abzubrechen. Mit Hauptdarstellerin Maria Kwiatkowsky war auch der Film in seiner ursprünglichen Anlage und Form gestorben. Das bereits gedrehte Material hatte seine eigene Realität geschaffen. Noch einmal mit einer anderen Schauspielerin ganz von vorne zu beginnen, war alleine schon aus Respekt vor Maria Kwiatkowskys Arbeit keine Option. Also hat sich Lola Randl für ein Experiment entschieden. Ein Jahr nach dem Tod ihrer Hauptdarstellerin wurden die Dreharbeiten fortgesetzt ... mit einem neuen Drehbuch, das auf den Tod reagiert, statt ihn zu leugnen. Aus dem Melodram, das durchaus auch ein Thriller im Geiste Patricia Highsmiths hätte sein können, ist nun eine beeindruckende Reflexion über das Filmemachen geworden, ein Film im Film, der mit konventionellen Vorstellungen bricht und Kunst und Leben konsequent miteinander vermischt.

    Die junge Emily Schenk (Maria Kwiatkowski) will unbedingt zu Geld kommen. Doch das scheint für sie und ihren Freund Daniel (Bastian Trost) kaum möglich zu sein. Welche Möglichkeiten zum Aufstieg bietet denn unsere Gesellschaft noch? Aber dann kommt der Zufall Emily zu Hilfe. An einem See entdeckt sie die todkranke Millionärin Amine von Kirsch (Sunnyi Melles), die gerade versucht hat, ihrem Leben und Leiden ein Ende zu setzen. Emily rettet die Fabrikantin und kommt auf die Idee, dass Daniel sie zum Schein umgarnen und schließlich heiraten soll. Amine durchschaut das Spiel zwar, verliebt sich aber trotzdem in den jungen Mann.

    Das wäre ursprünglich die Handlung von Lola Randls „Die Erfindung der Liebe“ gewesen. Nun ist es die Geschichte eines Films im Film. Dieser ist plötzlich auch im Film nicht mehr ohne weiteres realisierbar ist, denn die eingeplante Hauptdarstellerin stirbt unerwartet, und damit steht das (fiktive) Team vor den gleichen Fragen, die sich auch Regisseurin Lola Randl stellen musste. Aber die Antworten fallen anders aus. Der Produzent (Jürgen Rißmann) spricht ein Machtwort und verpflichtet kurzerhand die Praktikantin (Marie Rosa Tietjen) als Ersatz für seine Hauptdarstellerin. Mit Hilfe einiger digitaler Tricks werde diese Umbesetzung schon gelingen. Die unsichere Regisseurin (Mira Partecke) wagt nicht, zu widersprechen, und zieht mit, während der Drehbuchautor (Sebastian Weber) verzweifelt versucht, das Skript den neuen Gegebenheiten anzupassen. Doch letztlich kommt keiner von ihnen mehr mit. Die Ereignisse laufen ihnen davon. Der Dreh gerät weiter und weiter außer Kontrolle…

    Vorher und nachher, Emilys Geschichte und die Dreharbeiten, auf den ersten Blick geht das alles einfach nur wüst durcheinander. Die verschiedenen Zeiten und auch Formen, immer wieder streut Lola Randl Interviewstatements der Beteiligten des Film-im-Film-Drehs in das Geschehen ein, vermischen sich ständig. Manchmal scheint sogar ein zweiter Blick nötig zu sein, um zu erkennen, ob Emily nun gerade von der verstorbenen Maria Kwiatkowsky oder von Marie Rosa Tietjen gespielt wird. Aber gerade dieses wilde Ineinander-Schneiden, das den Film in eine Art Puzzle verwandelt, das niemand ganz zusammensetzen kann, ist Lola Randls kongeniale Antwort auf das Leben und den Tod. „Die Erfindung der Liebe“ stellt sich – fast schon trotzig – den Realitäten entgegen. Der Film reagiert nicht nur auf den Tod seiner Hauptdarstellerin, er stellt zugleich noch die Frage, nach der Kunst im Angesicht der Vergänglichkeit allen Lebens.

    In den wenigen Szenen, die Lola Randl mit ihr drehen konnte, verströmt Maria Kwiatkowsky („En garde“) noch einmal diese überwältigende Energie, die sie in den kurzen Jahren vor ihrem Tod zu einer der bemerkenswertesten deutschen Theater- und Filmschauspielerinnen werden ließ. Ihre Emily hat etwas Verletzliches, fast schon verloren Mädchenhaftes, das vor allem dann zum Vorschein kommt, wenn ihr Plan plötzlich viel zu perfekt aufgeht. Zugleich ist sie aber auch eine geradezu klassische femme fatale, eine unberechenbare Frau, die alle Menschen um sich herum in einen Abgrund ziehen kann. Wenn sie plötzlich bei der Hochzeitsfeier von Amine und Daniel auf die Bühne geht und ein melancholisches Lied singt, scheint die Zeit still zu stehen. Wut und Angst, Verzweiflung und Sehnsucht, sind in diesem ebenso betörenden wie verstörenden Moment eins. Alleine wegen dieser Szene musste Lola Randl „Die Erfindung der Liebe“ neu erfinden.

    Fazit: Filme überdauern. Sie halten einen Moment fest und entreißen ihn dem Fluss der Zeit. Der Augenblick wird ewig. Das alles ist so selbstverständlich, dass wir in der Regel kaum noch einen Gedanken an den Zusammenhang von Kino und Tod verschwenden. In Lola Randls Film-im-Film-Experiment ist das anders. Hier erinnert jede Szene an das Paradoxon des Kinos. Der Tod ist allgegenwärtig, und das nicht nur in der Erinnerung an Maria Kwiatkowsky. Er lässt sich weder leugnen noch überwinden. Aber zumindest lässt sich der Schmerz, den er mit sich bringt, durch die Kunst mildern. In diesem Wissen, von dem „Die Erfindung der Liebe“ so überaus eindrucksvoll zeugt, liegt ein ungeheuerer Trost.

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