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    Der Tag wird kommen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Tag wird kommen
    Von Robert Cherkowski

    In ihrer Heimat Frankreich sind Benoît Delépine und Gustave Kervern schon seit längerer Zeit Starkomiker und haben sich sowohl mit Fernsehshows und Soloprogrammen, als auch später als Regie-Gespann von Kinofilmen einen Namen gemacht. Ihr Markenzeichen: anarchische Chaos-Comedy. War „Louise Hires A Contract Killer" noch eine wunderbar geschmacklose Krisen-Klamotte, die als offener Aufruf zur offenen Selbstjustiz gegen Spekulanten und Ausbeuter verstanden werden kann, widmeten sich Delépine und Kervern in „Mammuth" gemeinsam mit Gérard Depardieu dem Drama eines verschwendeten Lebens, das im Moment des Stillstands auf witzige Art auseinanderfällt. Es ist gerade das ernste Anliegen inmitten des Komischen bis Grotesken, das die Filme des Duos ausmacht und sie von handelsüblicher Kamikaze-Komik abhebt. Mit ihrer neuen Komödie „Der Tag wird kommen" führen die beiden Filmemacher diesen Ansatz weiter aus. Wenn Albert Dupontel und Benoît Poelvoorde hier als ungleiches Bruderpaar dem Affen Zucker geben, ist das oft genug verdammt witzig, ebenso oft aber auch berührend tragisch.

    Dass Jean-Pierre (Albert Dupontel) und Ben (Benoît Poelvoorde) Brüder sind, würde man nie glauben. Während Jean-Pierre als verkniffener Matratzen-Verkäufer ein Spießerdasein sondergleichen führt, ist Ben als der älteste „Punker mit Hund" Europas bekannt, trägt seinen neuen Namen „Not" als Tattoo auf der Stirn, schnorrt sich durch die Fußgängerzonen und lebt nach der „No Future"-Philosophie. Gelegentlich begegnen sich die Brüder bei ihren Eltern, ansonsten gehen sie sich aus dem Weg. Als Jean-Pierre jedoch seinen Job und wenig später am Tag auch Familie und Verstand verliert, tätowiert er sich seinen neuen Namen „Dead" auf die Stirn und nähert sich dem Lebensstil seines Bruders an. Fortan ist niemand mehr vor ihrer anarchischen Zerstörungslust gefeit...

    „Der Tag wird kommen" ist eine derbe Sketchparade, bei der weder die Laufrad-Mentalität des Spießertums, noch die selbstgerechten Posen der Aussteiger verschont werden. Dabei wird trotzdem niemals verächtlich auf die Marotten und Spleens der Figuren herabgeschaut. Hier hat jeder einen gewaltigen Hau weg und oft reicht schon ein kleiner Schubs, um den Wahnsinn im ganz großen Stil ausbrechen zu lassen. Schon früh wird auch der letzte dramaturgisch zwingende rote Faden gekappt und der Startschuss für eine wahre Orgie an Absurditäten abgefeuert. So wird ein Lebensmüder in einem Moment von „Not" vom Selbstmord durch den Strang im eigenen Hinterhof abgehalten, nur um zwei Szenen später seinen Plan an einem rotierenden Karussell in die Tat umzusetzen. Ein anderes Mal erklärt der alte Punker seinem nun arbeitslosen Bruder die Kunst des richtigen Schnorrens oder er macht sich mit dem Geschwisterchen auf, ein dröges Tanzkränzchen mit etwas Punk-Attitüde aufzumischen.

    Ständig wird verrückter Slapstick mit Überwachungskameras von Supermärkten getrieben – und dann taucht auch noch Gérard Depardieu als „das Orakel" auf. Die Späße sind albern und hysterisch, da ist es logisch, dass nicht alle zünden. Trotzdem hat der Schabernack stets den besonderen Charme eines Films, der vom unbedingten Willen zum Chaos lebt. Und während sich etwa Sacha Baron Cohen als „Diktator" angestrengt und aufgesetzt um die extremsten Tabubrüche der Saison bemüht, werden die Grenzen hier mit einem Lächeln überschritten. Der Humor aus dem Hause Delépine/de Kervern ist maßlos und grell, aber er wird nicht gehässig und fies, was auch den Hauptdarstellern zu verdanken ist.

    An vorderster Front stehen dabei die Energiebündel Albert Dupontel, der ungeachtet seines denkwürdigen Auftritts in Gaspar Noés „Irreversibel" auch ein begabter Komiker ist, und Benoît Poelvoorde („Nichts zu verzollen"), der im Comedy-Sektor ohnehin längst nichts mehr zu beweisen hat. Die beiden lassen keine Gelegenheit aus, beherzt die Sau rauszulassen und wie wilde Derwische über die Leinwand zu toben. Das Leben, so die herrlich beiläufig präsentierte Botschaft, ist zu kurz und zu schön, um es nach den Regeln der anderen zu führen. In seiner Kompromisslosigkeit und Unberechenbarkeit gleicht „Der Tag wird kommen" dabei am ehesten „Themroc" und anderen europäischen Anarcho-Komödien der 70er.

    Fazit: Mit ihrer wunderbar frechen Anarcho-Komödie „Der Tag wird kommen" demonstrieren Benoît Delépine und Gustave Kervern eindrucksvoll, wie nah sich Genie und Wahnsinn doch immer wieder kommen können.

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