Mein Konto
    Arlo & Spot
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Arlo & Spot
    Von Andreas Staben

    Im Kino ist bekanntlich alles möglich. Nicht nur Fantasywelten und Zukunftsvisionen erwachen auf der Leinwand zum Leben, auch die Vergangenheit wird nach Lust und Laune umgedichtet, die Geschichte umgeschrieben: Quentin Tarantino lässt seine „Inglourious Basterds“ die Nazis besiegen, Forrest Gump steigt zum Nationalhelden auf und Abraham Lincoln kämpft gegen Vampire. Im ebenso clever ausgedachten wie amüsant umgesetzten Prolog zum neuesten Pixar-Animationsabenteuer „Arlo & Spot“ wird nun noch weitaus eklatanter in den Lauf der Dinge eingegriffen: Ein Asteroid rast auf die Erde zu, wo friedlich grasende Dinosaurier zu sehen sind. Wir wissen, dass die Katastrophe unvermeidlich ist und das Ende der Riesenechsen besiegelt. Doch dann verpasst der mächtige Weltraumbrocken den blauen Planeten um Haaresbreite und alles wird anders. Ein paar Millionen Jahre nach der Fast-Kollision herrschen zivilisierte Dinos über den Planeten, während der Mensch nur als wenig entwickelter „Schädling“ in Erscheinung tritt. Das Versprechen der originellen Prämisse wird ganz anders als beim ersten Pixar-Film des Jahres 2015 allerdings nur zum Teil eingelöst: Während sich beim bunten Gefühlschaos von „Alles steht Kopf“ alle Beteiligten in kreativer Höchstform zeigten, verläuft Peter Sohns „Arlo & Spot“ vor allem erzählerisch in oft allzu vertrauten Bahnen. Die Fabel über Familie und Freundschaft ist ein Augenschmaus, richtet sich ansonsten aber in erster Linie an die jüngeren Dino- und Disneyfans.

    Das Apatosaurier-Pärchen Henry (Stimme im Original: Jeffrey Wright) und Ida (Frances McDormand) ist überglücklich, als seine drei Kinder aus den Eiern schlüpfen. Der Nachwuchs lernt schnell und hilft schon bald eifrig auf der familiären Maisfarm, nur der Kleinste, Arlo (Raymond Ochoa), ist ein Sorgenkind und fürchtet sich sogar vor dem Geflügel. Als ein Schädling sich über die Nahrungsvorräte im Silo hermacht, bekommt der ängstliche Jungsaurier eine weitere Chance, sich zu bewähren, aber sein Versuch, dem Maisdieb eine Falle zu stellen, endet im Desaster. Papa Henry entscheidet, Arlo auf die Sprünge zu helfen, und macht sich mit ihm auf die Jagd nach dem Missetäter. Doch dann zieht ein Sturm auf, Vater und Sohn werden getrennt. Ganz alleine findet sich Arlo in der Wildnis wieder und muss den weiten Weg nach Hause finden – da entdeckt er den vierbeinigen Störenfried, der das ganze Chaos ausgelöst hat: Es ist ein Mensch. Der aufgeweckte Junge weicht bald nicht mehr von Arlos Seite, der Dinosaurier freundet sich mit ihm an und tauft den Racker auf den Namen Spot.

    In einer sehr witzigen Sequenz sehen wir gleich am Anfang wie die Dinos ihre anatomischen Vorzüge  beim Baumfällen, beim Bestellen der Felder und für die Bewässerung nutzen. Dass die zivilisierten Saurier hier im Prinzip das Leben einer typischen vorindustriellen Farmersfamilie führen, verwundert dabei kaum, schließlich sind sprechende und vermenschlichte Tiere im Animationsfilm Standard. Arlo und Co. sind daher letztlich weniger ungewöhnliche Figuren als der Menschenjunge. Der trägt nicht zufällig den typischen Hundenamen Spot, bewegt sich auf allen Vieren und artikuliert sich mit Grunzlauten: Zur Abwechslung erscheint die Menschheit einmal nicht als „Krone der Schöpfung“, aber von einer gesellschaftskritischen Parabel nach Art von „Planet der Affen“ sind wir dennoch weit entfernt. Letztlich sind die ökologischen und moralischen Untertöne der Grundkonstellation hier kaum entwickelt, es wird lediglich die klassische Erzählung von der Freundschaft zwischen einem Jungen und seinem Hund unter anderen Vorzeichen variiert.

    Der Junge und der Saurier halten zusammen, sie helfen sich gegenseitig aus der Patsche, haben Spaß, teilen ihren Trennungsschmerz und lernen schließlich, wo sie hingehören. Natürlich gelingt es Arlo schließlich auch, seine Ängste zu überwinden, dem hemmungslos bewunderten Vater mit seiner natürlichen Stärke und Autorität kommt dabei wie im deutlich erkennbaren Vorbild „Der König der Löwen“ eine Schlüsselrolle zu. Aber trotz vereinzelter wirklich gefühlvoller Momente (etwa wenn Spot und Arlo sich mit Strichen und Figuren im Sand von ihren Familien „erzählen“) wirken die verabreichten Lektionen zu Familienwerten, Selbstbewusstsein, Hilfsbereitschaft und Verantwortung oft recht schematisch, zumal der Story der überzeugende große Bogen fehlt. Hier ist anders als bei „Merida – Legende der Highlands“ die langwierige und wechselhafte Produktionsgeschichte im fertigen Film spürbar: Ein halbes Dutzend Autoren haben über Jahre am Drehbuch gewerkelt, der Regisseur wurde ausgetauscht (Debütant Peter Sohn ersetzte Bob Peterson, den ursprünglichen Ideengeber des Projekts), der Start um Jahre verschoben. So zerfällt die ohnehin sehr episodische und über weite Strecken eher in betulichem Tempo vorangetriebene Handlung ziemlich stark in Einzelszenen.

    Zwischendrin gibt es durchaus auch mal ein bisschen Leerlauf, aber dafür wird man unterwegs immer wieder mit kleinen gestalterischen Meisterstücken entschädigt: Visuelle Extravaganzen wie die psychedelische Animation der Wirkung halluzinogener Früchte sind eine berauschende Ausnahme, aber auch das Leuchten der aufgescheuchten Glühwürmchen über einer Wiese, ein farbenprächtiges Blumenmeer oder ein imposanter Vogelschwarm bieten echte Trickfilm-Magie. Auch einige skurrile Nebenfiguren wie der furchtsame Styracosaurier Forrest Woodbush (Peter Sohn) mit seinen zahlreichen Hörnern, auf denen er allerlei Getier beherbergt, sorgen für Abwechslung und bei der Begegnung mit dem Cowboy-T-Rex Butch (Sam Elliott) und seinen Kindern kommt nicht nur am Lagerfeuer Westernstimmung auf: Wenn die Saurier eine riesige Langhorn-Herde (eine Art Urzeit-Büffel) über die Prärie treiben, ist das fast so spektakulär wie in „Der mit dem Wolf tanzt“. Und es illustriert die verblüffende Perfektion der Naturanimationen: Wohl noch nie war ein so beeindruckender reißender Fluss in einem Trickfilm zu sehen und kaum ein Pixel-Unwetter wirkte ähnlich stürmisch. Das vor allem bei Arlo und den anderen Apatosauriern im Vergleich geradezu sparsame Figurendesign steht dagegen in starkem Kontrast zum Detailreichtum der Hintergründe: Die Märchenhaftigkeit von „Das Dschungelbuch“ prallt direkt auf die realistische Anmutung aus „Disneys Dinosaurier“ – das Ergebnis ist ungewöhnlich, aber durchaus reizvoll.     

    Fazit: Nach dem Meisterstück „Alles steht Kopf“ ist der zweite Pixar-Film des Jahres 2015 „nur“ ein niedliches, vor allem visuell beeindruckendes Dino-Abenteuer.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top