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    The Double
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Double
    Von Lars-Christian Daniels

    Allen technischen Herausforderungen zum Trotz ist es die nächstliegende Lösung, zwei identisch aussehende Figuren in einem Realfilm einfach mit ein und demselben Darsteller zu besetzen – egal ob es sich um Zwillingsbrüder (wie zum Beispiel bei Edward Norton in „Leaves Of Grass“ oder Armie Hammer in „The Social Network“), Zwillingsschwestern (wie bei Bette Davis in „Die große Lüge“ oder bei Adam Sandler in „Jack und Jill“) oder um sonstige Doppelgänger handelt. Daran hielt sich auch Regisseur und Schauspieler Richard Ayoade („Submarine“) bei seiner Thriller-Tragikomödie „The Double“, die auf der Dostojewski-Novelle „Der Doppelgänger“ basiert: Hier mimt Jesse Eisenberg („Die Unfassbaren – Now You See Me“) einen frustrierten Arbeitnehmer und dessen optisch identischen Kollegen. Der Shooting-Star liefert eine der besten Leistungen seiner noch jungen Karriere ab und trägt entscheidend dazu bei, dass aus „The Double“ hochkarätiges Arthouse-Kino wird, bei dem besonders Fans von David Lynchs verrätselten Traumwelten oder von Terry Gilliams „Brazil“ auf ihre Kosten kommen.

    Simon James (Jesse Eisenberg) ist ein absoluter Durchschnittstyp und führt ein unaufgeregtes Leben. Sein Arbeitsalltag in einem großen Datenverarbeitungsbetrieb gestaltet sich Woche für Woche gleich, eine Beförderung scheint trotz guter Leistungen in weiter Ferne. Sein Chef Mr. Papadopoulos (Wallace Shawn) kann sich seinen Namen ebenso wenig merken wie der Sicherheitsmann (Kobna Holdbrook-Smith) und auch sein heimlicher Schwarm Hannah (Mia Wasikowska) scheint sich trotz einiger schüchterner Avancen nicht sonderlich für den unauffälligen Einzelgänger zu interessieren. Doch in die Routine kommt schlagartig neuer Schwung, als eines Tages James Simon (Jesse Eisenberg) in der Firma auftaucht: Zwar passt der neue Kollege charakterlich überhaupt nicht zu Simon, doch sieht er aus wie sein exaktes Ebenbild – nur scheint das außer diesem selbst niemandem aufzufallen. James heimst die Früchte von Simons Arbeit ein und ist nicht nur bei Hannah und Papadopoulos‘ pubertierender Tochter Melanie (Yasmin Paige), sondern auch bei allen anderen Mitarbeitern deutlich beliebter. Das führt schon bald zu Konflikten…

    Es ist schon bemerkenswert: Da laufen zwei optisch völlig identische Personen nebeneinander den Flur entlang, tragen den gleichen Anzug, die gleichen Schuhe und den gleichen Haarschnitt – und doch besteht nie die Gefahr, Simon James mit James Simon zu verwechseln. Das liegt in erster Linie am brillanten Spiel des Hauptdarstellers: Jesse Eisenberg zeigt in „The Double“ eine überragende Leistung, die locker an seinen Auftritt in David Finchers Biopic „The Social Network“ und seine vielbeachtete Hauptrolle in Greg Mottolas Coming-of-Age-Studie „Adventureland“ heranreicht. Selbst wenn sich Simon und James einmal nicht über die Arbeit, das Essen oder die Gunst der hübschen Arbeitskollegin Hannah streiten, wirken sie trotz der äußerlichen Übereinstimmung wie zwei völlig verschiedene Personen: Wie Eisenberg die beiden Hauptfiguren hier allein durch Mimik, Haltung und Körpersprache in ihrem Wesen voneinander abgrenzt ist oscarreif. Doch seine Darbietung ist nur eine von vielen Stärken dieser surreal-faszinierenden Arthouse-Perle.

    „The Double“ ist vor allem für Kenner der amerikanischen Filmgeschichte dank vieler Referenzen und Anspielungen ein wahrer Augen- und Ohrenschmaus. Die inhaltliche wie stilistische Nähe zu Terry Gilliams Dystopie „Brazil“ ist greifbar, das wirkungsvolle Spiel mit Licht und Schatten gleicht der Ästhetik des klassischen Film Noir und die beklemmenden Aufnahmen in Hannahs Wohnung lassen an Roman Polanskis surrealen Psychohorrorklassiker „Ekel“ denken. Die bedrängende Intensität der Soundkulisse erinnert an David Lynchs „Eraserhead“ und auch das Voyeurismus-Motiv aus Alfred Hitchcocks Suspense-Meisterwerk „Das Fenster zum Hof“ wird aufgegriffen, wenn Simon das gegenüberliegende Wohnhaus mit einem Teleskop beobachtet. Andrew Hewitts Filmmusik mit ihren schweren Streicherakkorden und tiefen Klaviertönen fügt sich dazu wunderbar in die düstere Atmosphäre, allerdings entsteht insgesamt durchaus der Eindruck, dass der Stilwille hier letztlich wichtiger ist als die inhaltliche Substanz. Vielleicht hätten Richard Ayoade und Drehbuchautor Avi Korine (der mit seinem Bruder Harmony unter anderem „Kids“ konzipierte) noch die eine oder andere Minute mehr in die Figurenzeichnung investieren sollen – geschadet hätte es nicht.

    Dennoch ist „The Double“, der auf dem Filmfest Hamburg seine Deutschlandpremiere feierte, ein fesselnder und im Übrigen auch überraschend humorvoller Film: Neben den witzigen Running Gags um die erfolglosen Bestellungen bei der unfreundlichen Kellnerin Kiki (Cathy Moriarty) und die Dauerkonfrontation mit einem argwöhnischen Security-Mann (Kobna Holdbrook-Smith) gibt es immer wieder beißenden Dialogwitz und tiefschwarzen Humor – Spaß machen vor allem zwei herrlich gleichgültige Detectives (Jon Korkes und Craig Roberts), die das tägliche Auffinden von Selbstmördern unter rein statistischen Gesichtspunkten verbuchen und die Antworten des verdutzten Augenzeugen Simon mit köstlich unangemessener Rationalität zu Protokoll nehmen. Der sensible Außenseiter dürfte sich bei seinem eintönigen Arbeitsalltag im Übrigen vorkommen wie Homer Simpson in der legendären „Simpsons“-Doppelfolge „Wer erschoss Mr. Burns?“: Trotz jahrelanger Anstellung im Betrieb ist sein direkter Vorgesetzter Mr. Papadopoulos nicht dazu in der Lage, sich seinen Vornamen zu merken und nennt ihn einfach „Stanley“. Was genau sich im Betrieb abspielt, welche doppelten Böden den Zuschauer erwarten und was sich am Ende wohl wie deuten lässt – all das soll an dieser Stelle nicht näher thematisiert werden, denn „The Double“ funktioniert am besten, wenn man nur wenig über die Geschichte weiß und sich seinen eigenen Reim auf das Geschehen macht.

    Fazit: Richard Ayoades Dostojewski-Verfilmung „The Double“ erinnert an große Vorbilder wie David Lynch und Roman Polanski, lässt sich vielfältig interpretieren und bietet reichlich Stoff für angeregte Diskussionen. Allein schon die herausragende Darbietung von Hauptdarsteller Jesse Eisenberg ist das Eintrittsgeld wert.

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