Nach dem erfolgreichen Country-Sänger-Drama „Crazy Heart“ 2009 (Oscar und Golden Globe im Jahr 2010 für Jeff Bridges) präsentiert Scott Cooper seinen zweiten Spielfilm „Auge um Auge“.
Russel Baze (Christian Bale) und sein Bruder Rodney (Casey Affleck) leben in bescheidenen Verhältnissen und kümmern sich mit Onkel Gerald (Sam Shepard) um ihren pflegebedürftigen Vater. Während Russel einer Arbeit im Stahlwerk nachgeht, ist Irak-Kämpfer Rodney auf Zocken und organisierte Straßenkämpfe aus, um an Geld zu kommen. Als Russel unter Alkoholeinfluss einen Unfall mit Todesopfern verursacht, muss er ins Gefängnis. Jahre später wird Russel entlassen, der Vater ist gestorben, seine Freundin Lena (Zoë Saldana) hat einen anderen und erwartet ein Kind. Rodney lässt sich mit zwielichtigen Typen ein und ist plötzlich mitsamt Buchhalter John Petty (Willem Dafoe) verschwunden. Der Verdacht fällt auf Harlan DeGroat (Woody Harrelson). Die Polizei sieht sich unter Leitung von Chief Wesley Barnes (Forest Whitaker), Lenas neuem Lebenspartner, machtlos. Russel geht der Sache selbst nach.
Schon die Länge der einführenden Inhaltsangabe verrät, dass auf der Leinwand einiges entwickelt wird, bevor der Film in den Hauptplot rutscht. Das tut der Geschichte gut, die reale und keine beschönigenden Bilder zeigt. Dem Beobachter wird reichlich Gelegenheit gegeben, die Charaktere genau einzuordnen. Und die sind von einem Ensemble verkörpert, das einige hochdekorierte Filmpreisträger und Nominierte mitbringt. Das sieht dann richtig beeindruckend aus, was vor der Kamera gezeigt wird.
Woody Harrelson rückt das Aufnahmegerät am dichtesten auf die Pelle, damit er alles an wahngeschwängerter Mimik des Schurken DeGroat und damit das Böse an sich auf der Leinwand breit machen kann. Der Harrelson ist ja ein Brocken von Mann und gibt nicht nur deshalb eine wuchtige Vorstellung ab. Es ist einfach klasse, wie er als DeGroat jedem Angst machen kann.
Forest Whitaker spielt in kleineren Parts den Chief als Weichei und bleibt bis zur letzten Szene bei seiner Rolle. Auch das kommt richtig stark. Das Whitaker andere kann, bewies er 2006 in „Der letzte König von Schottland – In den Fängen der Macht“ (Oscar für die Hauptrolle als Idi Amin).
Christian Bale spielt die Hauptfigur. Und das ist vielleicht sein Pech, denn der Plot hat für die Rolle des Russel Baze überraschenderweise einen Wandel angeordnet. Der mit Filmpreisen überhäufte Waliser spielt wie selbstverständlich alles glänzend, was ihm aufgetragen wurde. Dass jedoch der grundehrliche, herzensgute, tolerante und fleißige Russel, der zudem noch ein reuiger Verkehrsstraftäter ist, plötzlich zum gnadenlosen, kaltblütigen Alleingänger wird, lässt die Figur untergehen. Dieser Wechsel wird auch noch zelebriert, denn Russel lässt auf der Jagd den prächtigen Zwölfender (nicht nachgezählt) leben, wahrscheinlich weil der Hirsch wie im Sissi-Film mit seinen Bambiaugen so unschuldig daher schaut, und später macht Cooper aus Russel einen Jäger, der unbeirrbar seinen Showdown installiert und (wenn auch nach einigen Problemchen) mit Genugtuung verzögert und auskostet. Als Sympathieträger für das Publikum vorgesehen, muss er Federn lassen. Das ist verzettelt, einfach wenig straight und bringt der dünn gewordenen Story genauso wenig Inhalt wie das Spannungsfeld Polizei-Chief = neuer Lebenspartner von Lena.
„Auge um Auge“ beginnt als stark entwickeltes Drama, ist in den ersten zwei Dritteln überzeugend und wegen der vorzüglichen schauspielerischen Leistungen gerade noch ein guter Film.