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    T2: Trainspotting
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    T2: Trainspotting
    Von Carsten Baumgardt

    1996 war auf der britischen Insel eine besondere Zeit: Der BritPop ist auf dem Höhepunkt, Bands wie Oasis, Blur, Radiohead oder The Verve stellen die Musikszene auf den Kopf, New-Labour-Premierminister Tony Blair gibt dem Land einen weltoffenen Anstrich und einige der angesagtesten Modedesigner der Welt schneidern die passenden Outfits dazu. Der Zeitgeist trug das Label Cool Britannia - und Regisseur Danny Boyle hat mit seiner stylisch-rauen Groteske „Trainspotting“ voll seinen popkulturellen Nerv getroffen. Der unwiderstehliche filmische Heroinrausch avancierte in rasender Schnelle zum Kult. Die Fans riefen vehement nach einem zweiten Teil, aber obwohl Vorlagenautor Irvine Welsh bereits 2002 mit „Porno“ eine Buch-Fortsetzung herausgebracht hatte, scheiterten diverse Versuche, auch den Film weiterzuspinnen. Nun schreiben wir also das Jahr 2017, und Großbritannien ist kaum wiederzuerkennen. Man hat sich für den Brexit entschieden, Regierungschef David Cameron vom Hof gejagt und sich auf sich selbst zurückgezogen: Britannia first - uncool! Ausgerechnet in dieser depressiven Stimmung kommt nun tatsächlich noch „T2: Trainspotting“ heraus. Danny Boyle trommelt die Originalbesetzung 20 Jahre nach der Drogenparty zum Klassentreffen zusammen, aber die „neuen Helden“ von damals sind müde geworden und suchen abgerockt nach Orientierung. So fehlt dem Film fast schon logischerweise die unbändige Energie und die Frechheit des Originals – und Kult lässt sich eben nicht einfach so reproduzieren: „T2“ ist stattdessen ein weitgehend eigenständiges nostalgisches Drama voller Melancholie.

    20 Jahre nachdem Mark „Rent Boy“ Renton (Ewan McGregor) Edinburgh verlassen hat und in Amsterdam nach dem Glück suchte, kehrt er in die schottische Heimat und den Stadtteil Leith zurück. Ehe, Karriere? Alles gescheitert. Sein erster Weg führt ihn zu seinem alten, immer noch schwer drogensüchtigen Kumpel Daniel „Spud“ Murphy (Ewen Bremner), dem er gleich einmal das Leben retten muss. Aber noch heikler ist sein Antrittsbesuch bei seinem ehemals besten Freund Simon „Sick Boy“ Williamson (Jonny Lee Miller), denn einst hatte Mark die Gang – außer Spud – bei einem Drogendeal böse abgezogen und jeden um 4.000 Pfund betrogen. Sick Boy ist mittlerweile Besitzer einer schlecht laufenden Bar und verdient das meiste Geld mit Erpressung. Er nutzt seine bulgarische Freundin Veronika (Anjela Medyalkova) als Lockvogel, um Bordellkunden zu filmen und anschließend auszunehmen. Nach einer Tracht Begrüßungsprügel für den Rückkehrer spannt Sick Boy Mark wieder für seine Pläne ein: Er will endlich seinen Traum von einem High-Class-Sauna-Club verwirklichen. Doch das Vorhaben wird bald erheblich erschwert, denn der Vierte im Gang-Bunde, Francis „Franco“ Begbie (Robert Carlyle), ist nach 20 Jahren Haft aus dem Knast geflohen - und er ist immer noch apokalyptisch sauer auf Mark…

    Kult lässt sich nicht erzwingen, auch nicht mit Kultfiguren. Daher versuchen Danny Boyle („Steve Jobs“, „Slumdog Millionär“) und der ebenfalls reaktivierte „Trainspotting“-Drehbuchautor John Hodge („The Program“) sich auch gar nicht erst an einem simplen Aufguss von Irvine Welshs Anti-Establishment-Geschichten. Aus dessen Vorlagenfortsetzung „Porno“ übernehmen sie nur rudimentäre Elemente. Stattdessen realisiert Boyle seine seit Jahren gehegte Idee, die Antihelden als reife Mittvierziger wieder zusammenzubringen – ein stimmiger Ansatz für ein Sequel. Doch die Jahre sind an den Beteiligten vor und hinter der Kamera natürlich nicht spurlos vorbei gegangen und das ist auch dem Film anzumerken. Die Post-Punk-Attitüde ist noch präsent, wird aber längst nicht mehr mit der gleichen Vehemenz und Überzeugung eingenommen, insgesamt fehlt „T2: Trainspotting“ trotz vieler brillanter Einzelszenen der unwiderstehliche Drive des Originals.

    Vielleicht ist auch das ein Zeichen der Zeit, aber mit der heutigen Wirklichkeit wollen Boyle und seine Figuren nicht viel zu tun haben: Wo sie 1996 den Zeitgeist trafen, schwelgen sie nun in Nostalgie. Kaum eine Spur von Brexit, Trump, Rechtspopulismus oder Nationalismus, dafür geht es um alte Rechnungen, alte Knochen und alte Musik. Die Figuren sind alle gut wiederzuerkennen, aber eben 20 Jahre älter, aus den vor Energie berstenden Gegenkulturjüngern sind vom Leben gezeichnete Loser geworden, die sich ihrem Blues hingeben. Von dem bitterbösen, ironischen Motto „Choose Life“ ist kaum noch etwas übrig, zu groß waren die Enttäuschungen des Daseins – bis der Gedanke an alte Tage das Rad dann doch wieder halbwegs in Schwung bringt. Und bei Bedarf streut der selbst nicht mehr ganz junge Danny Boyle (Jahrgang 1956) hippe Bravourstücke ein wie in besten Tagen: betörende Farbgebung, spektakuläre Kameraperspektiven, schneller und griffiger Schnitt, eingefrorene Bilder in markanten Szenen. Vor allem die Arbeit von Boyles Stammkameramann Anthony Dod Mantle („Rush“, „Snowden“) ist exquisit und auf der Höhe der Zeit, während beim Soundtrack vor allem auf die Zeitlosigkeit der Hits der Vergangenheit gesetzt wird.

    Immer wieder werden durch direkte Musikzitate die Erinnerungen an den ersten Teil beschworen: Da wabert Lou Reeds umwerfend-melancholische Heroin-Hymne „Perfect Day“ als Echo alter Tage durch den Film oder Takte aus Iggy Pops „Lust For Life“ treiben die Protagonisten an. Das ist wohlig-warme Nostalgie, aber genial ist der kleine Gimmick mit Underworlds den ersten Teil dominierenden Dancefloor-Reißer „Born Slippy“, den Boyle sehr geschickt und ironisch in seine Dramaturgie einbindet. Diese eleganten Flashbacks sind insgesamt wohl nicht ganz zufällig prägnanter als die neu eingebrachten Stücke, aber eine kleine Szene mit Frankie Goes To Hollywoods „Relax“ und vor allem eine ekstatische Clubsequenz zu den Klängen mit Queens „Radio Gaga“ sind immerhin so mitreißend, dass sie glatt aus dem ersten Teil stammen könnten…

    Das Leiden an der Zeit und das Schwelgen in Stimmungen braucht nicht sehr viel Handlung - der Plot ist hier entsprechend nebensächlich. Der Erzählton ist erwachsener geworden, aber die Figuren sind kaum weiser. Taten haben nicht immer Konsequenzen, meist geht es nur darum, das Publikum noch einmal etwas Zeit mit den alten Bekannten verbringen zu lassen (weshalb „T2“ für Nicht-Kenner von „Trainspotting“ eine ziemlich frustrierende Erfahrung sein könnte). Das Wiedersehen macht vor allem dann Spaß, wenn sich die Helden irgendwann die Müdigkeit aus den Knochen geschüttelt haben, zumal das Zusammenspiel der alten Crew blind funktioniert. Besonders das Spannungsfeld zwischen dem tonangebenden Ewan McGregor („Star Wars: Episode I-III“), der seinen ikonischen „Trainspotting“-Einstiegsmonolog („Choose Life…“) in der Mitte des Films mit leichten Veränderungen erneut vorträgt, und Jonny Lee Miller („Elementary“) hat es in sich, weil nie (über)deutlich wird, was eigentlich der Aggregatzustand ihrer schwierigen Beziehung ist. Ewen Bremner („Snatch“) als bemitleidenswerter Spud ist der Zerbrechlichste, der jedoch auch die größte Entwicklung durchmacht, während Szenendieb Robert Carlyle („Ganz oder gar nicht“) wieder einmal die brutale Rampensau gibt und als tickende Zeitbombe Begbie durch den Film berserkert: Er ist immer noch ein brandgefährlicher und einschüchternder Vollblut-Choleriker mit ultrakurzem Geduldsfaden.

    Fazit: Nach dem Rausch kommt der Kater. Ein Cold Turkey ist das schwarzhumorig-melancholische Drama „T2: Trainspotting“ dennoch nicht. Auch Danny Boyle kann nicht auf Knopfdruck Kult produzieren, aber sein nostalgisch durchsetztes Sequel ist allemal sehenswert.

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