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    Die Kinder vom Napf
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Die Kinder vom Napf
    Von Sophie Charlotte Rieger

    Schon oft hat sich die Schweizer Dokumentarfilmerin Alice Schmid mit den Kindern dier Welt beschäftigt. In „Shall I Stay Or Shall I Go" und „I Killed People" waren Kindersoldaten in Afrika ihr Thema, in ihrem vielleicht bekanntesten Film „Sag Nein" setzte sie sich mit dem Thema Kindesmissbrauch auseinander. Etwas weniger düster geht es in ihrer jüngsten Dokumentation „Die Kinder vom Napf" zu: Die Protagonisten sind Schweizer Kinder im Grundschulalter, die im Napf, einer abgelegenen Bergregion am Rande des nördlichen Emmentals leben. Schmid hat sie über ein ganzes Jahr hinweg beobachtet, der Blick der Regisseurin bleibt dabei jedoch so distanziert, dass sich aus den fragmentarischen Einblicken in die Lebenswelt dieser Region nur schwer ein größerer Kontext erschließt.

    Bis zu 10 Kilometer lang ist der Schulweg, den „Die Kinder vom Napf" zurücklegen müssen. Im Stockdunkeln stapfen sie durch den Schnee zur Seilbahn, um in den nächsten größeren Ort zu gelangen. Schnell wird deutlich, dass sich das Leben dieser Kinder in einer vollkommen anderen Sphäre abspielt, als das ihrer Altersgenossen in städtischen Gebieten. Statt Fernsehen und Internet ist hier das Radio das Tor zur Welt. Ihre „Freizeit" verbringen die Kleinen größtenteils damit, die Eltern bei der Arbeit auf dem Feld und im Stall zu unterstützen. Und auch wenn der Fortschritt manchmal Einzug hält – in Form eines Keyboards etwa – wirkt der Alltag dieser Kinder wie eine romantisierte Kindheitserinnerung der heutigen Großelterngeneration.

    Der Wechsel der Jahreszeiten bildet den dramaturgischen Rahmen für Regisseurin Alice Schmid: Sie begleitet ihre kleinen Protagonisten zur Schule und zur Arbeit auf dem Feld, nur selten jedoch in das häusliche Umfeld. Der Fokus liegt deutlich auf der Natur und der idyllischen Landschaft, die die Filmemacherin immer wieder in eindrucksvolle Bilder fasst. Schmid lässt diese Aufnahmen genauso wie die Kinder für sich selbst sprechen und verzichtet auf einen Voice-Over-Kommentar oder erklärende Einblendungen. Abgesehen von der Länge des Schulwegs erschließt sich dem ortsfremden Zuschauer so weder die Größe des Gebietes, in dem die Kinder leben, noch seine geographische Verortung innerhalb der Schweiz.

    Auch wenn Alice Schmid einzelne Kinder wiederholt filmt, rückt sie keinen der Protagonisten in den Mittelpunkt. Namen werden nicht genannt, manche erschließen sich aus den gezeigten Szenen, doch es fällt schwer, die Kinder zu unterscheiden und ihnen nahezukommen. Statt den Jahresverlauf einzelner Kinder stellvertretend zu dokumentieren, wählt Schmid scheinbar unzusammenhängende Einblicke in ihr Leben. Dem Zuschauer fällt die Orientierung entsprechend schwer: Der Zugang zum Leben im Napf kann auf Grund der gewählten Erzählperspektive ausschließlich durch die Kinder stattfinden. Indem diese jedoch nicht als individuelle Persönlichkeiten, sondern als anonyme Vertreter einer weitgehend homogenen Gruppe gezeigt werden, ist ihre Lebenswelt für das Publikum nur auf eine sehr unpersönliche Art und Weise erfahrbar.

    Fazit: Auch wenn Alice Schmid in ihrem Film „Die Kinder vom Napf" Einblicke in eine Lebenswelt liefert, die den meisten Kinozuschauern fremd sein dürfte, weckt sie wenig Interesse und erschwert die Anteilnahme. Zu distanziert ist ihr Blick, zu frei von jeglicher Emotion, um über eine bloße Betrachtung hinauszugehen.

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