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    Into The Woods
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Into The Woods
    Von Andreas Staben

    Johnny Depp gehört unbestritten zu den größten Stars Hollywoods und er nutzt seine Freiheiten verstärkt zu überaus extravaganten Auftritten nach dem Muster seiner „Fluch der Karibik“-Erfolgsfigur Jack Sparrow. Ob als Indianer Tonto mit eigenwilligem Kopfschmuck im umstrittenen „Lone Ranger“ oder zuletzt als verschrobener Lord und passionierter Schnurrbartträger in „Mortdecai“ - immer stärker geraten die Ticks und die Aufmachungen der Figuren in den Vordergrund. Davon zeugt nun auch Depps kurze Stippvisite (trotz superstargemäßer Platzierung im Abspann sind es nur wenige Minuten) in Rob Marshalls Märchen-Musical „Into the Woods“ nach dem Bühnenerfolg von Stephen Sondheim („Sweeney Todd“) und James Lapine. Als Wolf, der hier nicht das Attribut „böse“ trägt („lüstern“ wäre auch viel passender), sieht Depp erneut aus, als wäre er in einen Topf Schminke gefallen. Das Zuviel ist Programm und so lässt Depp einmal mehr seiner lustvoll-manierierten Ader freien Lauf. Sein an Rotkäppchen gerichtetes „Hello, litte Girl“ hat dabei etwas Unpassend-Beunruhigendes an sich, das sich gar nicht so recht in diese weitgehend keimfreie Hochglanzproduktion einfügen mag, die vor allem musikalisch überzeugt. Die perfekt ausgestattete und oft hervorragend gesungene Song-Parade ist somit in erster Linie ein Fest für Musical- und insbesondere für Sondheim-Fans.

    In einem Dorf am Rande des Waldes: Die Schwiegermutter (Christine Baranski) und ihre Töchter Lucinda (Lucy Punch) und Florinda (Tammy Blanchard) freuen sich auf den Ball im Schloss des Prinzen (Chris Pine), während Cinderella (Anna Kendrick) im Haushalt schuftet; Hans (Daniel Huttlestone) wird von seiner Mutter (Tracey Ullman) zum Markt geschickt, um dort ihre Kuh zu verkaufen; das Mädchen Rotkäppchen (Lilla Crawford) will seine Großmutter besuchen und bittet den Bäcker (James Corden) und seine Frau (Emily Blunt) um etwas Brot für die alte Dame, dann schneit auch noch die Hexe (Meryl Streep) zur Backstube herein und eröffnet dem Hausherrn, dass sie ihn einst verflucht hat und der Kinderwunsch des Bäckerpaars somit unerfüllt bleiben wird. Es gebe nur eine Möglichkeit, den Fluch zu besiegen, dafür brauche sie allerdings innerhalb von drei Tagen folgende Zutaten: eine weiße Kuh, einen roten Umhang, gelbes Haar und einen goldenen Schuh. Der Bäcker bricht auf, um die geforderten Dinge zu besorgen, während Rotkäppchen auf den Wolf (Johnny Depp) trifft und Cinderella unverhofft an ein Kleid und Schuhe für den Ball kommt. Des Bäckers von der Hexe versteckte Schwester Rapunzel (Mackenzie Mauzy) stimmt in ihrem Turm ein einsames Lied an, ehe sich alle Wege im Wald kreuzen…  

    Rob Marshalls Musical-Verfilmung beginnt unwiderstehlich: Im virtuos-schwungvollen Prolog „Into the Woods“ werden die verschiedenen Handlungsstränge und Märchenvorlagen mit ihren zahlreichen Figuren in einer ausgedehnten Parallelmontage im Takt der Musik verbunden und es wird eine klare Richtung vorgegeben – es geht in den Wald. Und der ist nicht nur prachtvolle düster-verspielte Märchenkulisse, sondern auch und vor allem ein metaphorischer Ort. Im Wald kommen Wahrheiten ans Licht, es brechen sich unterdrückte Lüste und Sehnsüchte Bahn – aus der Märchen-Collage wird eine sanft-ironische Meta-Erzählung. Da wird der Prince Charming zum egoistisch-eitlen Gockel mit Zahnpastalächeln („Man hat mir beigebracht, charmant zu sein, nicht ehrlich“), der sich gemeinsam mit Prinz Nr. 2 (Billy Magnussen) im Gassenhauer „Agony“ in übertriebene Liebhaberpose mit weit aufgerissenem Hemd wirft; das frühpubertäre Rotkäppchen raunt von Dingen, die es im Wald gelernt habe; die Ehe des Bäckers wird auf eine mehrfache Probe gestellt und die Hexe beklagt, dass sie als einzige echten Realitätssinn besitze. Ob sexuelles Erwachen, Ehebruch, Gier, Rache oder Verrat – über die potenziellen Untiefen der angedeuteten Themen wird indes meist schnell hinweggesungen, schließlich gilt es, einer ausufernden Stoff- und Ereignisfülle Herr zu werden.

    Nach dem ersten Akt mit seinem vorgetäuschten Happy End (der Höhepunkt der ironischen Spielereien mit Märchenkonventionen), auf den in der Bühnenversion die Pause folgt, gibt es auch im Film einen Bruch, denn ab hier zerfasert die Handlung zusehends und das Fehlen einiger Songs aus der Vorlage macht sich negativ bemerkbar. Die Stimmungswechsel wirken zuweilen sehr abrupt und einem tief empfundenen, vielschichtigen Höhepunkt wie Emily Blunts („Edge of Tomorrow“) Darbietung von „Moments in the Woods“ steht das lapidare weitere Schicksal ihrer Figur entgegen. Wenn die Schauspieler nicht nur die Noten singen, sondern auch den Text zum Ausdruck bringen können und dürfen (neben Blunt tut sich dabei vor allem Anna Kendrick hervor), dann hat „Into the Woods“ seine stärksten Momente. Aber die bleiben Ausnahme, geradezu verschwendet wirkt etwa Meryl Streeps gewohnt selbstbewusst-meisterhaft zur Schau gestellte Nuancierungskunst. Sie lässt in ihren Gesangsnummern die Ahnung von einem weniger ruhelosen und oberflächlichen Spektakel aufkommen (ihre 19. Oscar-Nominierung, die sie dafür bekommen hat, ist trotzdem übertrieben), doch diese Ansätze werden alsbald von krachenden Effekten hinweggefegt, die das magische Treiben der Hexe überdeutlich und lautstark illustrieren. So bietet Rob Marshall („Chicago“, „Fluch der Karibik 4“) letztlich hauptsächlich Schauwerte und Ohrwürmer.  

    Fazit: Rotkäppchen, Cinderella, Rapunzel und Co. in einem ironischen Märchen-Mischmasch-Musical: „Into the Woods“ spricht Auge und Ohr an, doch Herz und Hirn kommen ein wenig zu kurz.

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