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    Alles eine Frage der Zeit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Alles eine Frage der Zeit
    Von Björn Becher

    Mit seinem Regiedebüt „Tatsächlich… Liebe“ schuf der Brite Richard Curtis den Weihnachtsklassiker der jüngeren Vergangenheit schlechthin. Der langjährige TV-Autor und „Mr. Bean“-Erfinder bestätigte damit seinen mit den Drehbüchern zu Kinohits wie „Notting Hill“ und „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ erworbenen Ruf als Spezialist für die Kombination aus ganz großen Gefühlen und verschrobenem britischem Humor. Nach der musikalischen Komödien-Kreuzfahrt „Radio Rock Revolution“ widmet sich Curtis nun auch in seiner dritten Regie-Arbeit „Alles eine Frage der Zeit“ den Dingen des Herzens und verknüpft sie mit einem Motiv, das im romantischen Kino eher selten vorkommt: der Zeitreise. Statt aber eine komplexe Science-Fiction-Handlung zu konstruieren, bleibt der in Neuseeland geborene, größtenteils in Großbritannien aufgewachsene Sohn australischer Eltern sich treu und erzählt eine von liebenswerten und skurrilen Figuren bevölkerte gefühlvolle Geschichte: „Alles eine Frage der Zeit“ ist eine erfrischende Romantik-Komödie mit erstklassigen Darstellern, die sich nach und nach zu einer wunderbaren, zu Herzen gehenden Familiengeschichte entwickelt.

    Tim (Domhnall Gleeson) lebt mit seiner Familie auf dem Lande und hatte eine glückliche und idyllische Kindheit, in der sein Vater (Bill Nighy) immer für ihn da war. An seinem 21. Geburtstag erfährt Tim von ihm, dass die Männer ihrer Familie rückwärts durch die Zeit reisen können: einfach einen einsamen und dunklen Ort aufgesucht, die Augen geschlossen und schon ist man dort, wo man im bisherigen eigenen Leben sein will – also noch weiter zurückgehen und zum Beispiel Hitler töten oder an Orte reisen, an denen man nie gewesen ist, das funktioniert nicht. Der zuerst skeptische Tim erhofft sich von seiner ungeahnten Fähigkeit bald eine Aufwertung seines kargen Liebeslebens. Doch als Charlotte (Margot Robbie), die wunderschöne Freundin seiner flippigen Schwester Kit Kat (Lydia Wilson), für einen Sommer zum Besuch aufs Land kommt, muss er erkennen, dass man selbst mit Zeitreisen eine Frau nicht dazu bekommen kann, einen zu lieben, wenn sie es einfach nicht tut. Schließlich zieht er zur Arbeit als Jurist in die Großstadt London, wo der schüchterne Rotschopf bei einem Dinner im Dunkeln Mary (Rachel McAdams) begegnet und sich sofort verliebt. Auch sie findet ihn sympathisch und die beiden verabreden sich zu einem Date. Doch dann reist Tim in der Zeit zurück, um seinem Mitbewohner, dem cholerischen Theaterautor Harry (Tom Hollander), aus der Patsche zu helfen … und macht ungewollt sein erstes Treffen mit Mary ungeschehen, die ihn nun nicht mehr kennt…

    Die Synopsis mag weitgehend nach einer handelsüblichen RomCom klingen, in der die Zeitreisen für die nötigen Komplikationen auf dem hindernisreichen Weg zum Happy-End sorgen. Doch Richard Curtis verlässt die ausgetretenen Genre-Pfade schon zu Beginn und findet immer wieder einen ganz eigenen Dreh für seine Geschichte: Sie beginnt mit Mystery-Elementen (wenn Tim seine Zeitreise-Fähigkeiten ausprobiert) und wird dann in der Kennenlernphase der beiden Protagonisten zur klassischen romantischen Komödie. Ein gefühlvolles Meisterstück ist dabei die erste Begegnung von Tim und Mary, die komplett im Dunkeln abläuft – nach dieser perfekt geschriebenen Unterhaltung beim Essen gibt es keinen Zweifel mehr: Diese beiden gehören zusammen. Das Romantik-Zwischenspiel ist beschwingt und wunderschön, doch dann wechselt Curtis erneut das Register und nimmt Kurs auf eine berührend-humorvolle Familiengeschichte und die gelingt ihm vielleicht noch besser, wobei er auch vor hochdramatischen Wendungen nicht zurückschreckt - schwerer Unfall und Tod inklusive. Wie schon in seinen vorigen Filmen konzentriert sich der Regisseur nicht nur auf ein Liebespaar, sondern neben Tim und Mary nehmen auch die weiteren Mitglieder der Familie ganz zentrale Rollen ein. Im Fokus steht vor allem Tims Beziehung zu seinem Vater und auch die Schwierigkeit von Schwester Kit Kat (Lydia Wilson), einen Platz im Leben zu finden.

    Curtis unterläuft nicht nur im großen Entwurf seiner Handlung die Genre-Konventionen, sondern entscheidet sich auch in einzelnen Szenen konsequent für eher unerwartete, aber trotzdem vollkommen schlüssige Varianten: Ein schönes Beispiel dafür ist etwa die Szenenfolge, wenn Tim in der Oper überraschend seinen alten Schwarm Charlotte wiedertrifft. Sie ist plötzlich Feuer und Flamme, man geht noch etwas trinken, redet über die alten Zeiten und steht plötzlich vor Charlottes Tür, wo sie ihre Absicht, den Abend in ihrer Wohnung fortzusetzen, mehr als deutlich macht. Es ist ganz wunderbar, wie unaufgeregt Curtis diese Szene schließlich auflöst: Hier kommt es eben nicht zu den genreüblichen dramatisch aufgebauschten Missverständnissen, die das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren durcheinander bringen sollen, denn auch ohne künstlich beschleunigte emotionale Achterbahn bietet die Situation genug innere Spannung und Konfliktstoff ... oder wird auch mal völlig unaufgeregt aufgelöst. Curtis‘ Figuren und ihre Beziehungen sind unglaublich lebensnah und so wirkt die britische Produktion „Alles eine Frage der Zeit“ trotz des Zeitreise-Hintergrunds echter als die allermeisten Hollywood-Romanzen.

    Richard Curtis verzichtet weitgehend auf den Zuckerguss, mit dem es manche seiner Kollegen so hemmungslos übertreiben, aber sein Film lädt trotzdem zum Träumen ein und er ist gerade durch seine bodenständige Wahrhaftigkeit immer wieder unglaublich berührend. Das gilt vor allem für das Zusammenspiel von Domhnall Gleeson („Anna Karenina“) und Bill Nighy („Underworld“, „Shaun Of The Dead“) als Vater und Sohn. Veteran Nighy, der auch schon in Curtis‘ ersten beiden Regiearbeiten zu sehen war, ist als verschrobener, dabei aber ungemein liebevoller Dad voll in seinem Element, seine wundervolle Hochzeits-Rede auf Tim ist ein emotionaler Höhepunkt des Films. Die Gefühle und Gedanken seiner Figuren interessieren Curtis deutlich mehr als die Fantasy-Elemente des Films, gekonnt nutzt er das Zeitreise-Motiv jedoch für ein paar komische Einschübe – wenn Tim zum Beispiel den enttäuschenden ersten Sex mit Mary wiederholt bis er bei seinem dritten Mal endlich als famoser Liebhaber dasteht, sie sich aber wundert, warum er schon so ausgelaugt ist, dass keine zweite Runde in Frage kommt.

    Die dramatischen und spannungsvollen Momente inszeniert Richard Curtis eher zurückhaltend und auch beim Humor setzt er meist auf britisches Understatement. Wenn beispielsweise eine Hochzeit im Regenchaos versinkt, schenkt der Filmemacher uns ganz nebenbei ein paar köstliche Slapstick-Momente, verzichtet aber auf Schenkelklopfer-Witze und Kalauer-Klamauk. Und so haben dann auch die auftretenden Personen fast alle einen – meist liebenswerten - Spleen, aber keine von ihnen verkommt zur Witzfigur: ob Tom Hollanders („Fluch der Karibik 2“) cholerischer Autor mit seinen Wutanfällen, der schon angesprochene Bill Nighy als Vater, Lindsay Duncan („Alice im Wunderland“) als ihren Garten abgöttisch liebende Mutter oder Richard Cordery („Les Misérables“) als grundsympathischer Onkel, der geistig nicht ganz auf der Höhe ist. Auch Rachel McAdams („Wie ein einziger Tag“, „Passion“) stattet Curtis mit einigen Macken aus (die verrückteste ist Marys übermäßige Verehrung für das Supermodel Kate Moss) und der kanadische Hollywoodstar hat sichtlich Spaß an der charmanten Rolle.

    Fazit: „Alles eine Frage der Zeit“ ist ein weiterer wundervoller und origineller Film von Gefühls- und Humorspezialist Richard Curtis.

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