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    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
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    Von Robert Cherkowski

    Arthouse-Weltkino im Berlinale-Wettbewerb, das ist wie eine Wundertüte – nie weiß man, was man bekommt. In manchen Fällen eröffnen sich dabei intensive und künstlerisch ansprechende Perspektiven auf verschiedenste Kulturen und Weltbilder, die so nur außerhalb des europäischen Kinos möglich sind – diese Filme heißen „Bal - Honig" oder „Nader und Simin". In anderen Fällen, etwa bei „Rätselhafte Welt" oder „Come Rain, Come Shine", wird das Publikum wiederum mit staubtrockener Programmkino-Ware konfrontiert, die bei aller Bedeutungsschwangerschaft dann doch bloß trivial daherkommt. Auf Alain Gomis' „Aujourd'hui" trifft beides zu: Visuell gefällt Gomis‘ in Senegal spielender vierter Langfilm, gelegentlich fasziniert er sogar. Dennoch fehlt es dabei an erzählerischer Dringlichkeit, um die ohnehin recht kurze Laufzeit von gerade einmal 86 Minuten sinnstiftend auszufüllen.

    Als Satche (Saul Williams) eines schönen Tages im Haus seiner Mutter erwacht, wird ihm prophezeit, dass dies der letzte Tag seines Lebens sein werde. Sobald er am Abend die Augen zur Nachtruhe schließen wird, so heißt es, wird sein irdisches Dasein ein Ende finden. Mit stoischer Gelassenheit nimmt Satche die Hiobsbotschaft auf, seinen letzten Tag verbringt er mit größter Sorglosigkeit. Er spaziert durch die Straßen seiner Heimatstadt, albert mit seinen Kumpels herum und sucht eine einstige Freundin auf, bevor er seinen sprichwörtlichen Lebensabend im Kreise seiner Frau und seiner Kinder verbringt. Sein Leben ist ein langer, ruhiger Fluss, der schließlich ebenso langsam und ruhig endet...

    Würde man einem Bewohner westlicher Industrienationen seinen letzten Lebenstag prophezeien, würde er vermutlich in Panik und Selbstmitleid ausbrechen – und sich schnell noch all seine kleinen Wünsche erfüllen, so wie Jack Nicholson in „Das Beste kommt zum Schluss" oder Til Schweiger in „Knockin' on Heaven's Door". Gomis' Protagonist nimmt es leichter und verbringt seine letzten 24 Stunden wie einen stressfreien Sonntag. Mild lächelnd zieht er seiner Wege und macht eine Rast nach der anderen. Ein wenig fühlt man sich dabei an Jim Jarmusch und dessen entschleunigt-zwanglose Reisen durch die Lebenswelten seiner Helden erinnert. Solange sich „Aujourd'hui" auf diesem Weg befindet, herrscht eine locker-verschlenderte Atmosphäre vor, im letzten Abschnitt versiegt der lose Erzählfluss dann aber frustrierenderweise schlichtweg ganz.

    Formell ist der Film dabei durchaus ansprechend. Satte Farben, interessante Perspektiven und ein rhythmischer Schnitt machen „Aujourd'hui" zu einem visuellen Genuss, über den man tatsächlich ein Gefühl für den ganz eigenen Rhythmus, den Look, Sound und die Mentalität von Senegal vermittelt bekommt. Der Film soll kein dröges Weltkino sein, sondern sanft hypnotisieren und verzücken. Dabei schrammt er gelegentlich nur ganz knapp an verkitschter Exotik und Armutsromantik vorbei. Besonders zum Schluss, wenn immer wieder ein schwülstiger Blut-und-Boden-Kitsch zelebriert und der Glanz von Wasserperlen auf schwarzer Haut in warmes Licht getaucht wird, fragt man sich, was die sonnendurchflutete Ästhetik eigentlich ausdrücken soll.

    So recht will sich darauf keine Antwort finden lassen. Ob hier eine Lektürehilfe ratsam wäre? Inwiefern „Aujourd'hui" als Parabel auf die Geschichte Senegals und die kolonialen Ursünden Frankreichs interpretierbar ist, müssen Kenner dieser Materie entscheiden. Ein erzählerisch runderer und immerhin als Weltkino gedachter Film hätte derartige Fragen jedoch gleich mit thematisiert, statt sie im Raum stehen zu lassen. So wird ein nennenswerter Teil des Publikums längst ausgestiegen sein, ehe Satches letzter Weg auf die Zielgerade führt. Was immer Gomis mit seinem Film sagen wollte – zur Auseinandersetzung eingeladen hat er ganz sicher nicht.

    Fazit: Wer glaubt, dass beflissenes Weltkino visuell karg sein muss, der wird mit Gomis' wunderschönen Bildern eines besseren belehrt. Wer dagegen die Haltung vertritt, der internationale Arthouse-Betrieb sei zu selbstgenügsam und allen gängigen Sehgewohnheiten entrückt, wird in „Aujourd'hui" seine Bestätigung finden.

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