Die Filmstarts-Kritik zu Tall Girls

Die entscheidenden kreativen Köpfe hinter großen Fernsehprojekten sind oft nur den interessierten Fans ein Begriff. Schon bei den sehr populären US-Serien der jüngeren Vergangenheit weiß kaum jemand, wer die „Creators" sind, die gern das fertige Produkt für sich sprechen lassen. Wer kennt schon David Chase („Die Sopranos"), David Simon („The Wire"), Kurt Sutter („Sons of Anarchy"), Matthew Weiner („Mad Men") oder Terence Winter („Boardwalk Empire")? Im Bereich der Dokumentationen ist dieses Phänomen oft noch ausgeprägter und egal wie populär oder bahnbrechend die Konzepte sind – die Verantwortlichen bekommen selten die Aufmerksamkeit, die ihnen zusteht. So wird auch der Name Edda Baumann von Broen nur Eingeweihten ein Begriff sein. Dabei war sie an Idee und Ausarbeitung von „Durch die Nacht mit..." beteiligt, einer der originellsten und beliebtesten deutschen Doku-Entertainment-Reihen. Sie inszenierte auch elf Folgen der nächtlichen Rundfahrten mit interessanten Gästen, die regelmäßig auf Arte zu sehen sind. Nun bringt von Broen mit „Tall Girls" erstmals eine ihrer Arbeiten in die Kinos. Ein Paukenschlag ist ihre nicht gerade tiefschürfende Dokumentation über hochgewachsene Frauen nicht geworden, der positive und persönlich geprägte Umgang mit einem recht wenig beachteten Thema macht „Tall Girls" aber immerhin zu einem durchweg sympathischen Film.

Ihr Name mag zwar noch nicht überall bekannt sein, aber Edda Baumann von Broen ist eine große Frau: Mit 1,86 Meter Körpergröße überragt sie die meisten anderen Frauen und auch viele Männer deutlich. Im Prolog von „Tall Girls" erzählt die Filmemacherin davon, wie dieser Umstand ihr Leben geprägt hat. Selbstbewusst stellt sie sich und ihre Erfahrungen zu Beginn ins Zentrum ihres Films und hat die Sympathien auf ihrer Seite, auch wenn sie später nur noch als Erzählerin präsent bleiben wird. Sie will anderen hochgewachsenen Frauen nachspüren und herausfinden, wie diese und andere mit ihrer Größe umgehen, warum Männer oft mit „Angst" und Distanz auf sie reagieren und weshalb junge Mädchen versuchen ihr Wachstum mit medizinischer Hilfe zu stoppen.

Während die pubertäre Lea schwer verunsichert ist und sich am liebsten schnellstens in ärztliche Behandlung geben möchte, geht die fast zwei Meter große Amerikanerin Lisa sehr ungezwungen mit der Situation um und stürzt sich mit Selbstverständlichkeit ins Basketballtraining. Die 9-jährige Anna Lena (die Tochter der Regisseurin) weiß noch nichts von den Schwierigkeiten, die ihr in der Pubertät bevorstehen könnten und genießt es, die größte in ihrer Clique zu sein. Das Spektrum unterschiedlicher Auffassungen reicht von Zuversicht über Sorge bis hin zum reinen Pragmatismus. Auch die New Yorker Models Tiiu und Michelle werden befragt: Sie genießen die Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wird, sehr, wobei ihre Größe ihr gutes Aussehen noch unterstreicht und ihnen ein Alleinstellungsmerkmal im Model-Business beschert.

„Tall Girls" ist sowohl formal als auch inhaltlich eher leichte Kost. Auch wenn so manche Dame sicher unter ihrer Größe zu leiden hat, gibt sich von Broen gestalterisch sehr sonnig und schwelgt am liebsten in heller Umgebung. Mit humorvollen Geschlechterfabeln in Form von minimalistischen Zeichentrick-Zwischenspiele lockert sie ihren Film charmant weiter auf, die dargestellten Sorgen großer Frauen nimmt sie aber dennoch ernst und lässt zwischendurch immer wieder eine Psychologin zu Wort kommen. Deren Deutungen von pubertärem Konformismus, männlicher Eitelkeit in Kontakt mit Frauen, zu denen sie aufschauen müssen und den Schäden, die das Anderssein an den Seelen wenig selbstbewusster Frauen anrichten kann, bleiben bei aller Plausibilität jedoch arg an der Oberfläche.

Fazit: „Tall Girls" ist eine sympathische, aber nicht unbedingt abendfüllende Feel-Good-Dokumentation über großgewachsene Frauen mit einer optimistischen Sei-du-selbst-Moral.