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    Der Medicus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Medicus
    Von Carsten Baumgardt

    Unter den großen Bestsellern der vergangenen Dekaden war er einer der wenigen, die längere Zeit unverfilmt blieben. Das lag unter anderem daran, dass Noah Gordons 1986 erschienener Historien-Schmöker „Der Medicus“ in der amerikanischen Heimat des Autors keinen großen Erfolg hatte und Hollywood daher Zurückhaltung übte. In Deutschland hingegen verschlangen mehr als sechs Millionen Leser das mitreißende Mittelalter-Epos – und dieses enorme Potenzial an möglichen Kinogängern will Regisseur Philipp Stölzl („Nordwand“, „Goethe“) nun ausschöpfen. Er setzt bei seinem Leinwand-„Medicus“ auf eine bewährte Erfolgsformel, die schon bei Filmen wie „Der Name der Rose“, „Das Geisterhaus“, „Das Parfum“ oder „Die Päpstin“ angewandt wurde: Man nehme einen packenden Buchbestseller mit einem gewissen Prestige-Faktor, engagiere eine namhafte internationale Besetzung (gedreht wird selbstverständlich in Englisch) und sorge mit deutschem Geld für einen hohen Produktionsstandard – fertig ist der teutonische Blockbuster von internationalem Format. So glänzt dann auch Stölzls romantisches Historien-Abenteuer mit beeindruckenden Schauwerten und guten Schauspielern, doch die Adaption erreicht nie die faszinierende erzählerische Dichte von Gordons 850-Seiten-Opus.

    England im 11. Jahrhundert: Als der kleine Rob Cole (Adam Thomas Wright, später: Tom Payne) hilflos mitansehen muss, wie seine geliebte Mutter qualvoll an einer Blinddarmentzündung stirbt, fasst er den Entschluss, später alles zu lernen, was nötig ist, um das Elend kranker Menschen zu lindern. Tatsächlich zeigt der Waisenjunge ein beträchtliches Talent für die medizinische Heilkunst, dazu besitzt er noch die außergewöhnliche Gabe, den nahenden Tod in den Kranken spüren zu können. Eines Tages schließt Rob sich einem fahrenden Bader (Stellan Skarsgard) an, einem Quacksalber, der seinen Patienten mit allerlei Tricks und Kräutergebräu das Geld aus der Tasche zieht. Aber der junge Mann strebt Höheres und Edleres an als das: Nachdem er von den wundersamen Fähigkeiten des legendären Ibn Sina (Ben Kingsley) im weit entfernten Persien hört, macht er sich also auf den Weg in den Orient, um bei dem berühmten Medicus zu studieren. Da Christen dort verhasster sind als die Pest, tarnt sich Rob als Jude Jesse ben Benjamin – diese Religion ist bei den Persern auch nicht unbedingt beliebt, sie wird aber zumindest toleriert. Auf der langen und beschwerlichen Reise schließt Rob sich einer Karawane an, die bei einem fürchterlichen Wüstensturm fast vollständig dahingerafft wird. Eine der wenigen Überlebenden neben Rob ist Rebecca (Emma Rigby), die in Persien verheiratet werden soll. Zwischen den beiden jungen Leuten entwickelt sich eine unmögliche Liebe…

    In Noah Gordons „Der Medicus“ dreht sich zwar alles um die Heilkunde und mit den historischen Fakten geht der Autor insgesamt sehr frei um, aber dennoch ist sein Wälzer keineswegs ein trivialer Arztroman. Gordon entwirft vielmehr eine schlüssig an die Realität angelehnte Mittelalter-Fantasie, eine ganz eigenes literarisches Universum (zu dem auch noch zwei Fortsetzungen gehören) voller fesselnder Details und exotischer Schauplätze, die für jeden Filmemacher eine wunderbare Steilvorlage darstellen – vorausgesetzt ihm stehen entsprechende Mittel zur Verfügung. Bei „Der Medicus“ war das Budget beachtlich (26 Millionen Euro) und Philipp Stölzl weiß das zu nutzen. Er versteht es blendend, visuell aufregende Welten zu inszenieren – das hat er nicht nur im Kino bereits gezeigt, sondern auch in Musikvideos (Rammstein, Madonna, Die Toten Hosen), Werbespots (Sony, Rolex) und auf der Opern-Bühne („Die Fledermaus“, „Parsifal“). Und so gefällt sein „Medicus“ dann auch mit epischen Landschaftspanoramen, deren Pracht manchmal an die majestätische Opulenz Mittelerdes in Peter Jacksons Tolkien-Verfilmungen erinnert. Besonders die Aufnahmen an den Originalschauplätzen in Marokko sind beeindruckend – hier lassen Stölzl und sein Produktionsteam eine dreckige, raue Epoche lebendig werden. Etwas künstlich und steril wirken dagegen einige der aufwändigen Studiokulissen, die oft in den Persien-Szenen benutzt werden - so entstehen kleine Brüche, über die vor allem die beiden Hauptdarsteller mit überzeugenden Leistungen hinweghelfen.

    Bei großen internationalen Co-Produktionen wie dieser ist die Besetzung häufig ein bunt zusammengewürfelter kosmopolitischer Haufen. Das geht nicht immer gut, aber bei „Der Medicus“ geht die Mischung auf. Auch die durchaus riskante Entscheidung, die Titelrolle an einen Newcomer zu vergeben, zahlt sich aus: Tom Payne versieht den Lehrling, der sich aufmacht, ein Heiland seiner noch jungen Zunft zu werden, mit einer Kombination aus Naivität, Enthusiasmus und ehrgeiziger Berechnung. Um seinen großen Traum zu erfüllen, verleugnet dieser Rob Cole seine Religion, lügt und betrügt – alles für das übergeordnete Ziel, den Menschen zu helfen. Diese Zerrissenheit bringt der bubihafte Payne gut zum Ausdruck, auch wenn der innere Konflikt nicht die Intensität erreicht, die er im Buch besitzt. Ähnliches gilt für die romantischen Gefühle zwischen Rob und seiner Angebeteten Rebecca. Das Paar passt gut zusammen, aber es fehlt der Sog und der emotionale Überschwang der ganz großen Liebesgeschichten, was auch daran liegt, dass Emma Rigby („The Counselor“) kaum mehr zu tun hat, als die klassische schmachtende Frau an der Seite des Helden zu geben – vielleicht ist diese Oberflächlichkeit auch der Tatsache geschuldet, dass die Figur keine Kreation Noah Gordans ist, sondern von Drehbuchautor Jan Berger („Wir sind die Nacht“) nachträglich in die Geschichte eingefügt wurde.

    Neben Tom Payne ist in der zweiten Hauptrolle mit Ben Kingsley („Gandhi“, „Iron Man 3“) ein echtes Schauspielschwergewicht zu sehen. Mit seiner Ausstrahlung und seiner Erfahrung ist der Oscar-Preisträger eine ideale Wahl für die noble Figur des Medizin-Buddhas Ibn Sina. Er könnte den Part wohl auch im Halbschlaf spielen, bringt seine Präsenz und sein Charisma hier aber voll ein. Dass neben einem solchen Schauspielgiganten auch Deutschlands neuer Superstar Elyas M’Barek („Fack Ju Göhte“, „Türkisch für Anfänger“) mit von der Partie ist, mag überraschen und man ist versucht anzunehmen, dass bei der Entscheidung auch Marketing-Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Aber M'Barek lässt solche Unterstellungen bald vergessen und verkörpert mit gewohntem Selbstbewusstsein einmal mehr den rotzig-charmanten Proll, dieses Mal jedoch im Gewand eines verwöhnten persischen Medizinschülers. Er ist indes nicht das einzige prominente einheimische Castmitglied, denn Til Schweigers „Tatort“-Kompagnon Fahri Yardim („Wer’s glaubt, wird selig“) bekleidet als misstrauischer Ibn-Sina-Mitarbeiter Davout Hossein sogar eine noch größere und entscheidendere Rolle, die der Deutsch-Türke tadellos ausfüllt.

    Das zweieinhalbstündige Abenteuer ist in drei klar voneinander getrennte Abschnitte geteilt, die unterschiedlich gut gelungen sind. Die in England angesiedelte erste Partie, in der es hauptsächlich um Rob Cole und seine Erlebnisse mit dem Bader geht, besitzt die höchste atmosphärische Dichte und profitiert dabei von der belebenden Präsenz Stellan Skarsgards („Nymph()maniac“, „Verblendung“) in der Rolle des schillernden Quacksalbers. Die folgende Reise von der Alten Welt in den Orient fällt dagegen deutlich ab, die Stationen dieses Trips werden ein wenig schematisch abgehakt und wiederholen sich zudem. Dieser Durchhänger endet mit der Ankunft in Persien, wo Rob an der Medizinschule die Gunst des Meisters Ibn Sina gewinnt. In diesem turbulenten dritten Teil des Films navigiert uns Stölzl umsichtig durch einige nicht immer zwingende Wendungen und entfaltet dabei auf überzeugende Weise den Clash der Kulturen, der den besonderen Reiz dieser Passage ausmacht: Hier prallt ein religiös geprägtes traditionelles Weltbild ungebremst auf die moderne Wissenschaft. Medizinische Notwendigkeiten und Erkenntnisse stehen im Widerspruch zu tiefen Glaubensüberzeugungen: Wie ist dieser Konflikt zu lösen? Wie weit darf man gehen, um Menschen zu heilen? Darf sich eine Kultur anderen überlegen fühlen wie hier die Perser den Juden (von den verabscheuten Christen ganz zu schweigen)? Mit solchen Denkanstößen bringt uns Stölzl immerhin einiges von dem Themenreichtum des Romans nahe, auch wenn sie naturgemäß nicht dessen Tiefe erreichen.

    Fazit: Internationales Blockbusterkino made in Germany: Regisseur Philipp Stölzls romantisches Historien-Abenteuer „Der Medicus“ ist eine opulent-bildgewaltige Verfilmung von Noah Gordons Bestseller, er erreicht allerdings nicht die emotionale Wucht und die thematische Bandbreite der Buchvorlage.

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