Mein Konto
    Museum Hours
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Museum Hours
    Von Michael Meyns

    Seit einigen Jahren prägen Filme das Forum der Berlinale, in denen die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion verwischt sind. Eine Variation dieser Spielart ist „Museum Hours“. Der Film lief selbst zwar nicht im Programm der Berliner Filmfestspiele, doch Regisseur Jem Cohen („Benjamin Smoke“) ist dort ein altbekannter, immer wiederkehrender Gast. Was er in seinem jüngsten Film versucht, wird manche Zuschauer allerdings wohl ebenso langweilen wie stundenlange Museumsbesuche, zu denen man während der Schulzeit genötigt wurde. Wer sich allerdings auf Cohens Spiel und vor allem seine langsame, fast träge Art einlässt, erfährt viel über das Sehen, die Vergangenheit und die Kunst.

    Im Kunsthistorischen Museum von Wien arbeitet Johann (Bobby Sommer) als Wärter, bevorzugt in jenem berühmten Saal, in dem etliche Meisterwerke von Brueghel ausgestellt sind. Stundenlang beobachtet Johann die Besucher, macht sich Gedanken über ihr Leben, ihre Sorgen und Träume, und vertieft sich gern in die Details der Gemälde des belgischen Meisters. Eines Tages lernt er Anne (Mary Margaret O'Hara) kennen, die in Wien ist, um ihrer Cousine beizustehen, die im Koma liegt. Wenn sie nicht gerade im Krankenhaus ist, streift sie durch die Stadt, verbringt Zeit im Museum und freundet sich bald mit Johann an. Ohne das eine erotische Bindung ins Spiel kommt – Johann erzählt bald von einer verflossenen Liebe zu einem Mann – diskutiert das Paar über das Leben, die Kunst und den Umgang mit der Vergangenheit.

    Jem Cohens „Museum Hours“ wirkt lange Zeit weniger wie ein Spielfilm, sondern mehr wie eine Dokumentation über einen Museumswärter: Lange Einstellungen zeigen Johann im Museum, am Rand auf einem Stuhl sitzend, die Besucher betrachtend, durch die Räume schreitend. Und auch wenn sich dann irgendwann so etwas wie eine Geschichte angebahnt hat, ist Cohens Film alles andere als gewöhnlich narrativ. Zwei Menschen treffen hier aufeinander, die kaum etwas miteinander zu tun haben, die aber langsam entdecken, viele gemeinsame Interessen zu haben. Und ebenso langsam kristallisieren sich Themen heraus, die Cohen kaum mehr als andeutet: Was zum Beispiel, fragt er, steht im Mittelpunkt eines Kunstwerkes. Wie entscheidet der Betrachter, um was es eigentlich geht? Bei den Gemälden Brueghels ist dies besonders schwer, so reich an Figuren und kleinen Geschichten sind sie, dass bei längerer oder wiederholter Betrachtung ständig neues zu entdecken ist.

    Ganz ähnlich funktioniert auch Cohens Film, für den er zwei Darsteller, besser gesagt Personen, engagiert hat, die so natürlich wirken, wie es kaum ein echter Schauspieler könnte. Zum einen ist dies die in vielen Bereichen aktive Künstlerin Mary Margaret O'Hara, zum anderen der tatsächlich aus Wien stammende Bobby Sommer, der ein Leben mit zahllosen Jobs hinter sich hat, von denen etliche auch für die Hintergrundgeschichte seiner Figur Verwendung fanden. Diese Mischung aus Spiel und Realität setzt sich auch in der Inszenierung fort: Manchmal entwickelte Cohen Szenen, in die er seine beiden Darsteller schickte, andere Male überließ er quasi dem Zufall die Regie, ließ die Wirklichkeit in seine Bilder einfließen, was der Frage was eigentlich Kunst ausmacht, zusätzliche Bedeutung verleiht: Wann wird aus einer alltäglichen Beobachtung, einer hingeworfenen Coladose, einem Papierschnipsel, der vom Wind bewegt wird, Kunst, wann verwandelt sich etwas banales in etwas profundes? Dies sind nur einige von zahllosen Fragen und Themen, die Jem Cohen in „Museum Hours“ streift, einem meditativen, sehr langsamen Film, der keine Antworten gibt und damit jeden Zuschauer auffordert, seinen eigenen Film zu sehen.

    „Fazit: Jem Cohens „Museum Hours“ vermischt dokumentarische und fiktive Bilder und Erzählweisen, um auf sehr präzise, sehr ruhige Weise Fragen anzureißen, auf die der Zuschauer selbst Antworten geben muss. Eine sehr spezielle, aber auch lohnende Erfahrung, wenn man genug Geduld und Aufmerksamkeit mitbringt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top