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    Sein letztes Rennen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sein letztes Rennen
    Von Björn Becher

    Nach kleinen Parts in dem Thriller „Das Kind“ und dem Drama „Das Mädchen und der Tod“ in den vergangenen Jahren kehrt der 77-jährige Dieter Hallervorden nun im großen Stil ins Kino zurück. Dabei knüpft er nicht an seine „Didi“-Zeiten aus TV („Nonstop Nonsens“) und Kino („Didi – Der Doppelgänger“) an, in denen er als Komödiant große Erfolge feierte, sondern an seine ernsten Film-Anfänge mit beeindruckenden Leistungen in dramatischen Nebenrollen etwa in Tom Toelles und Wolfang Menges Meisterwerk „Das Millionenspiel“ oder im ungewöhnlichen Berliner Tatort „Rattennest“. Sein Kino-Comeback gibt Hallervorden mit der Hauptrolle im Sportler- und Rentner-Drama „Sein letztes Rennen“, das gleichzeitig auch ein Debüt ist: Mit Kilian Riedhof feiert nämlich einer der momentan besten deutschen Fernsehregisseure seinen Kino-Einstand, der vor allem mit dem Drama „Homevideo“, für das er unzählige Auszeichnungen erhielt, brillierte. „Sein letztes Rennen“ unterscheidet sich indes schon auf den ersten Blick deutlich von dem durch und durch realistischen TV-Meisterwerk, denn Riedhof erzählt dieses Mal eine klassische Heldengeschichte mit ganz viel Pathos, wie man es sonst hauptsächlich aus US-Sportfilmen oder auch aus erbaulichen Produktionen des deutschen Nachkriegskinos kennt. Das mag zunächst etwas  befremdlich wirken und längst nicht jede Einzelheit erzielt Wirkung, aber Riedhof kreiert immer wieder wahre Gänsehautmomente. Gemeinsam mit den gewohnt präzisen Dialogen und Milieuschilderungen sowie der überzeugenden Leistung Hallervordens ergibt das einen starken Film.

    Früher war Paul Averhoff (Dieter Hallervorden) eine deutsche Sportlegende und krönte seine Karriere mit dem Marathon-Olympiasieg 1956 im australischen Melbourne. Doch das ist lange her und die Jahre sind vor allem an seiner Frau und langjährigen Trainerin Margot (Tatja Seibt) nicht spurlos vorübergegangen. Die Pflege des gemeinsamen Hauses wächst dem Ehepaar allmählich über den Kopf und die besorgte Tochter Birgit (Heike Makatsch) macht Paul und Margot klar, dass es so nicht weitergehen kann. Da sie als um die Welt jettende Stewardess keine Zeit hat, ihre Eltern regelmäßig zu versorgen, müssen sie in ein Berliner Altenheim. Dort ist Paul Averhoff schnell erschüttert vom monotonen Alltag mit seinen Liederkreisen und Bastelrunden. Dem will er entkommen, indem er wieder mit dem Laufen beginnt und sich gleich ein hohes Ziel steckt: Er will noch einmal am Berlin-Marathon teilnehmen – in zwei Monaten! Nicht nur Margot ist zuerst wenig begeistert, vor allem Heimleiterin Rita (Katrin Sass) und die Betreuerin Frau Müller (Katharina Lorenz) stehen Pauls sportlichem Ehrgeiz mehr als ablehnend gegenüber. Als der rüstige Averhoff den jungen Pfleger Tobias (Frederick Lau) beim Wettlauf besiegt, bekommt er die Unterstützung einiger Rentner, die plötzlich aufblühen, ihn anfeuern und mit Sekt seine kleinen Erfolge feiern. Doch Frau Müller und der in seiner Ruhe gestörte pedantische Mitbewohner Rudolf (Otto Mellies) sind fest entschlossen, dem Treiben ein für alle Mal ein Ende zu setzen.

    „Sein letztes Rennen“ ist eine Sportler-Heldengeschichte wie sie im Buche steht. Schon mit dem Vorspann, in dem der Olympia-Sieg von Paul Haverhoff im besten 50er-Jahre-Sportjournalisten-Singsang (man denke nur an die legendäre Radio-Reportage zum „Wunder von Bern“ durch Herbert Zimmermann) kommentiert wird, erzeugt Regisseur Riedhof den ersten Gänsehautmoment. Dazu lässt er den sepiagetränkten Postkarten-Look des Unterhaltungskinos jener Zeit aufleben, das später in Verruf geraten ist. Die Pioniere des Neuen Deutschen Films der 60er und 70er Jahre haben Heimatfilm und Co. im berühmten Oberhausener Manifest vorgeworfen, dass sie „realitätsverzerrend“ seien, aber solche Vorwürfe interessieren Riedhof nicht. Er nimmt die emotionale Kraft von „Opas Kino“ ernst und so ist auch „Sein letztes Rennen“ ganz unverhohlen und offen pathetisch. Der unwahrscheinliche Weg des Paul Haverhoff, der es in wenigen Wochen vom schwächlichen Senior zurück zur Marathonhärte schafft - und das trotz der Hindernisse, die ihm in den Weg gestellt werden – wird von Riedhof ungemein mitreißend inszeniert. Hauptdarsteller Dieter Hallervorden bringt zudem äußerst eindrucksvoll das Leiden, aber auch den Kampfgeist seiner Figur zum Ausdruck. Wahrscheinlichkeitskrämereien, mit denen die Prämisse angezweifelt werden könnte (schließlich scheint Pauls sportliche Leistung fast unmöglich zu sein), sind bei dieser gezielt und gekonnt überhöhten Erzählung unangebracht – „Sein letztes Rennen“ ist Heldenkino im besten Sinne.

    Die Geschichte des sportlichen Comebacks mag wundersam-optimisch ausfallen, dennoch stellen Kilian Riedhof und sein Co-Autor Marc Blöbaum, die mit dem düsteren Münsteraner Tatort „Wolfsstunde“ bereits eine starke gemeinsame Visitenkarte abgegeben haben, zugleich auch ganz ernsthaft die Frage, wie unsere Gesellschaft mit alten Menschen umgeht. Dabei verfallen sie nicht in eine pauschale Verteufelung von Altenheimen und Pflegesystem, sondern schildern das Leben im Seniorenheim mit seinen positiven und seinen negativen Seiten. Zugleich machen sie aber auch unmissverständlich klar, dass einer wie Paul Averhoff dort fehl am Platz ist. Die Ambivalenz der Situation zeigt sich besonders in der Figur des Pflegers Tobias. Der macht sich einerseits beim Wettrennen über Averhoff lustig und versucht dem Alten sogar ein paar hundert Euro abzuluchsen, außerdem ist er durchaus verständlicherweise nicht bereit, sein Privatleben der Arbeit unterzuordnen. Gleichzeitig erkennt er aber auch, dass die Bewohner im durchorganisierten Heimbetrieb auch mal Spaß brauchen und hilft ihnen, wo er nur kann. Genauso spielt Katrin Sass („Good Bye, Lenin!“) als Heimleiterin Rita nicht etwa eine Wiedergängerin der herzlosen Schwester Mildred Ratched aus „Einer flog über's Kuckucksnest“, sondern es wird in wenigen kurzen Szenen verdeutlicht, dass die Strenge der Chefin als Reflex auf Personalknappheit und nachvollziehbare Sicherheitsbedenken zurückzuführen ist.

    Auf der Habenseite stehen eine mitreißende Heldengeschichte und einige differenzierte Denkanstöße zum Thema Seniorenheime, es gibt allerdings auch einige weniger gelungene oder schlecht integrierte Nebenhandlungsstränge. Heike Makatsch („Tatsächlich Liebe“, „Hilde“) etabliert ihre Figur zwar in nur wenigen intensiven Momenten in Hotelzimmern als vereinsamte Globetrotterin, die sich unter ihrem Affären-Schutzpanzer eigentlich nach einer festen Beziehung sehnt – die kühlen Bilder wollen aber nicht zum Rest des Geschehens passen. Birgits Geschichte ist so fast eine Art Film im Film und reißt einen immer wieder aus der Haupthandlung heraus. Am stärksten fällt jedoch der Gastauftritt von TV-Star Reinhold Beckmann aus dem Rahmen. Während der Kollege Matthias Opdenhövel als Kommentator des Berlin-Marathons souverän seinen Job macht, ist die Szene mit Paul als Gast in Beckmanns Talkshow unsäglich. Der überlange Auftritt bekommt schließlich sogar etwas Ärgerliches, denn der Marathon-Rentner wirkt hier wie ein tatteriger und hilfloser alter Greis, dem der Gastgeber nach Belieben Worte in den Mund legen kann. Das steht in starkem Kontrast zu der sonst so sorgsamen und präzisen Art der Darstellung der Rentner-Figuren, bei der immerhin auch Platz für einige amüsante Comedy-Momente bleibt. Besonders vielsagend ist es, wenn eine Heimbewohnerin (Annekathrin Bürger) ihrem Sohn Nazi-Lieder auf den Anrufbeantworter singt, damit dieser sie endlich einmal besucht – auch wenn es nur ist, um zu schauen, was das Heim aus seiner Mutter, die ihr Leben lang SPD-Wählerin war, gemacht hat…

    Fazit: „Mach' dir ein paar schöne Stunden, geh' ins Kino“, hieß ein Werbeslogan, der ab Ende der 50er Jahre auf Deutschlands Litfasssäulen plakatiert wurde. Auf Kilian Riedhofs „Sein letztes Rennen“ lässt sich der später gern verspottete Spruch hervorragend anwenden, ist das Rentner-Drama doch eine im positiven Sinne pathetische und erbauliche Heldengeschichte wie es sie heute eigentlich nicht mehr gibt.

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