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    Frank
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Frank
    Von Christoph Petersen

    Der 2010 verstorbene Komiker Chris Sievey wurde in seiner britischen Heimat vor allem durch seine stets einen riesigen Pappmaschee-Kopf tragende Kunstfigur Frank Sidebottom zur Legende, als die er mit seiner Oh Blimey Big Band auch regelmäßig durchs Land tourte (einen der Auftritte könnt ihr euch im Video unter dieser Kritik ansehen). Auch der „Männer, die auf Ziegen starren“-Autor Jon Ronson war mal kurzzeitig Mitglied der Band und half zu Collegezeiten als Keyboarder aus. Als er diese bizarre Erfahrung Jahrzehnte später zu einem Drehbuch verarbeitete, hatte er dabei Johnny Depp als Frank im Kopf – aber das hat zum Glück nicht hingehauen: Denn während der „Fluch der Karibik“-Star die skurrile Seite des Pappmaschee-Sängers in seiner eigenen Art mit ziemlicher Sicherheit noch betont hätte, trotzt der mal wieder grandiose Michael Fassbender der Rolle in Lenny Abrahamsons Musiker-Drama „Frank“ zusätzlich noch das vielschichtig-berührende Porträt eines missverstandenen Außenseiters ab. Dabei ist sein Gesicht in mehr als 90 Prozent seiner Szenen gar nicht zu sehen, weshalb sich Fassbender allein auf seine Stimme und seine Bewegungen verlassen muss (zwei Daumen hoch für den Verleih Weltkino, der den Film deshalb auch ausschließlich im Original mit Untertiteln in die deutschen Kinos bringt).

    Wenn Jon Burroghs (Domhnall Gleeson) in seinem kleinen Küstenkaff nach einem anödenden Arbeitstag ein paar uninspirierte Songzeilen zusammenbringt, dann verkündet er das sofort stolz auf Twitter: #MakingMusicAllDay. Doch dann ergibt sich für den Möchtegern-Musiker aus dem Nichts die Chance, an etwas wirklich Kreativem teilzuhaben: Nach dem Ausfall eines Bandmitglieds springt der zufällig anwesende Jon als Keyboarder für die Soronprfbs ein. Ihr unaussprechlicher Name und ihr dadaistischer Sound sind dabei übrigens noch nicht einmal die größten Seltsamkeiten bei der exzentrischen Band, deren enigmatischer Sänger Frank (Michael Fassbender) einen ziemlich großen Pappmaschee-Kopf trägt, den er weder zum Duschen noch für Grenzkontrollen (er hat ein Attest) ablegt...

    Als Jon zusagt, die Band nach Irland zu begleiten, glaubt er an ein oder zwei Gigs am Wochenende – doch daraus wird eine einjährige Jamsession für das neue Album in einer abgeschiedenen Waldhütte. Von der Türklinke bis zum Strohhalm wird hier alles zum potentiellen Instrument für Franks abstrakt-experimentellen, bis ins kleinste Detail kontrollwütig durchexerzierten Sound (alle Stücke wurden von den Schauspielern live am Set performt). Und wer glaubt, die Musik sei schräg, der sollte erst einmal die liebenswürdig-verschrobenen Bandmitglieder erleben: Nachdem Manager Don (Scoot McNairy) früher nur Sex mit Schaufensterpuppen haben konnte, klappt es inzwischen auch mit realen Frauen – obwohl es natürlich nicht ganz einfach ist, die Partnerin dazu zu kriegen, vollkommen unbeweglich dazuliegen. Es ist ein einziges schrulliges Vergnügen, diese vor Kreativität und Exzentrik triefenden Monate in der irischen Einöde mitzuerleben – und das bittersüße Ende dieser Episode trifft auch voll ins Schwarze!

    Aber damit ist „Frank“ (leider) noch nicht zu Ende. Nachdem Jon heimlich Clips der Band auf YouTube hochgeladen hat, erhält Soronprfbs eine Einladung zum South By Sothwest Festival in Texas – und ab hier geht es dann hauptsächlich darum, die psychischen Probleme unter dem Papierhut zu beleuchten. Das wäre an sich kein Problem, zumal Fassbender auch in seinen wenigen „kopflosen“ Szenen brilliert, aber Regisseur Abrahamson dekonstruiert Franks zuvor zelebrierte Genialität nicht nur mit karikaturenartiger Küchenpsychologie, er lässt auch zu, dass die Bewunderung des Publikums immer mehr in Mitleid umschlägt. Wenn Jon (und mit ihm der Filmemacher) einen letzten nostalgischen Blick auf die Band wirft, dann steht da eine Gruppe liebenswürdig-harmloser Spinner auf der Kneipenbühne – und eine solche herablassende Gönnerhaftigkeit haben Frank und die Soronprfbs absolut nicht verdient.

    Fazit: „Frank“ ist das sehenswert-schräge Porträt eines unendlich exzentrischen Außenseiter-Künstlers - auch wenn Regisseur Lenny Abrahamson im letzten Drittel etwas mitleidig-gönnerhaft auf seinen Pappmaschee-Protagonisten herabblickt.

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