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    Gloria
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Gloria
    Von Michael Meyns

    Dass sich ausgerechnet ein Film über die Lebenskrise einer 56jährigen Frau zum Publikumsliebling der Berlinale 2013 entwickeln würde, hätten im Vorfeld wohl die wenigsten vermutet. Genau dies gelang aber Sebastián Lelio mit „Gloria", dessen subtile Qualitäten unter der herausragenden und zu Recht mit dem Silbernen Bären für die Beste Darstellerin ausgezeichneten Leistung seiner Hauptdarstellerin Paulina García leicht übersehen werden. Denn hinter dem persönlichen Schicksal einer Frau in der Midlife-Crises, erzählt der chilenische Regisseur nicht zuletzt von einer Gesellschaft, die immer noch mit den langen Schatten der Pinochet-Diktatur zu kämpfen hat.

    Gloria (Paulina García) ist Mitte 50, Single, hat einen Job, zwei Kinder, Freunde – und fühlt sich nutzlos. Wirklich gebraucht wird sie von niemandem und so wird der etwas ältere Rodolfo (Sebastian Hernández), den sie auf einer Single-Party kennen lernt, zu ihrer letzten Chance. Voller Hoffnung stürzt sich Gloria in eine Beziehung, die immer wieder von Anrufen unterbrochen wird: Rodolfos Kinder und seine Frau – die bald seine Ex-Frau sein wird, wie er Gloria immer wieder verspricht – fordern die Aufmerksamkeit des Rentners. Je mehr Gloria Rodolfo in ihr Leben einzubinden versucht, desto größer werden ihre Zweifel ob Rodolfo ihr wirklich die Wahrheit über sein Leben sagt.

    Vom ersten Bild an lässt Regisseur Sebastián Lelio seine Hauptdarstellerin nicht aus den Augen. Und vom ersten Moment etabliert Paulina García ihre Figur als Frau, die sich zwischen Selbstbewusstsein und Verunsicherung bewegt und zwischen jung fühlen und nicht mehr wirklich jung sein ihren Platz in der Welt sucht. In der ersten Einstellung steht Gloria an einer Bar, nimmt den Drink in die Hand, dreht sich zur Tanzfläche und lässt ihren Blick schweifen: Sie ist nicht wirklich entspannt, sondern sucht, hofft jemand kennen zu lernen, will gebraucht werden.

    Ein verunglücktes Anbändeln später skizziert Lelio mit kurzen Szenen Glorias Platz im Leben: Ihre erwachsenen Kinder haben eigene Interessen, der Bürojob ist wenig aufregend, die zunehmende Verzweiflung, das wachsende Gefühl der Nutzlosigkeit schleicht sich immer wieder auf Glorias Gesicht. An die Grenze zum Fremdschämen zeigt Lelio seine Hauptfigur, wenn er sie mit alternden Herren anbändeln lässt, die ihre Kilos mit Hüftgürteln kaschieren oder wenn Gloria ihre Unsicherheit mit betont fröhlichen Songs zu übertönen sucht und ihre Verletzlichkeit unübersehbar ist.

    In Rodolfo scheint Gloria einen Mann gefunden zu haben, der sich für sie interessiert, doch ihr Misstrauen ist groß. Irgendwas scheint Rodolfo vor ihr zu verbergen, scheint er aus seiner Vergangenheit nicht abgeschlossen zu haben. Dies zu erkennen, dies zu sehen, darum geht es in „Gloria", in dem immer wieder der Blick auf die Vergangenheit betont wird. Meist geschieht in persönlicher Hinsicht, immer wieder wird es aber auch auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen. Kleine Andeutungen spielen auf die Verstrickung des Militärs in die Verbrechen der Pinochet-Diktatur an, aber auch auf die Ignoranz der besser gestellten Schichten, die lieber wegsahen als sich einzumischen.

    Doch bei allen subtilen Verweisen auf die komplizierte chilenische Vergangenheit und Szenen, in denen zeitgenössische Klassenunterschiede angedeutet werden, ist „Gloria" in erster Linie das Porträt einer starken Frau. Die Beliebtheit von Sebastián Lelios Film beim Publikum der Berlinale 2013 resultiert gerade daraus, dass sich Gloria von einer oft etwas zurückhaltenden Person, die freiwillig im Schatten anderer steht, zur autarken Person entwickelt, die zufrieden leben will, egal ob mit oder ohne Mann. Spätestens wenn Paulina García ganz am Ende voller Inbrunst zum Italopop-Klassiker „Gloria" von Umberto Tozzi tanzt, ist man von dieser Persönlichkeit vollkommen eingenommen.

    Fazit: Mit „Gloria" gelingt Sebastián Lelios das exzellent gefilmte Porträt einer Frau, die nach ihrem Platz im Leben sucht. Bei allen subtilen Anspielungen an gesellschaftliche Probleme und die Schatten der chilenischen Vergangenheit, steht dabei ganz klar Paulina García im Mittelpunkt, die für ihre vielschichtige Darstellung auf der Berlinale 2013 zu recht mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde.

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