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    Die Poetin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Poetin
    Von Katharina Granzin

    „A Arte de Perder“ (dt. „Über die Kunst des Verlierens“) ist der Originaltitel dieses brasilianischen Films. „Reaching For The Moon“ ist der nicht minder wunderbare englische Verleihtitel. In Deutschland heißt das Drama dagegen unglaublich schnöde „Die Poetin“, ein Titel, der wohl der Überlegung geschuldet ist, dass es hierzulande erst einmal gilt, das Personal einzuführen, dessen Kenntnis für das brasilianische Publikum zum kulturellen Erbe gehört. Regisseur Bruno Barreto erzählt in seiner Leinwandadaption eines Romans, der in Brasilien ein Bestseller war, von der fünfzehn Jahre währenden Liebesgeschichte der preisgekrönten US-amerikanischen Lyrikerin Elizabeth Bishop und der in ihrem Heimatland sehr bekannten Architektin Lota de Macedo Soares, die in Rio de Janeiro den berühmten Flamengo Park anlegte. Dabei gelingt Barreto ein eindrucksvolles Doppelporträt zweier eigenwilliger Persönlichkeiten der Zeitgeschichte und eine psychologisch feinsinnige, dabei hochreflektierte filmische Studie über den Verlust einer großen Liebe.

    Im Jahr 1951 schifft Elizabeth Bishop (Miranda Otto) sich nach Brasilien ein. Die Reise, die eine Schaffenskrise beenden soll, führt die Schriftstellerin zunächst auf das Anwesen von Lota de Macedo Soares (Glória Pires), die mit einer alten Studienfreundin von Elizabeth zusammenlebt. Nach anfänglichen Irritationen verliebt Lota sich in die Amerikanerin und umwirbt sie heftig – zum Leidwesen ihrer bisherigen Geliebten Mary (Tracy Middendorf), die zur bloßen Mitbewohnerin degradiert und mit der Adoption eines Kindes getröstet wird. Elizabeth bleibt in Brasilien und Lota, die begnadete Architektin, baut für sie ein lichtdurchflutetes Studio, in dem fortan ihre Gedichte entstehen, einschließlich jener, für die sie 1956 den Pulitzer-Preis gewinnt. Doch das Glück des Paares bleibt nicht ungetrübt. Elizabeth trinkt und auch Lotas dominantes Auftreten ist eine Belastung für die Beziehung. Als ihr guter Freund Carlos Lacerda (Marcello Airoldi) Gouverneur von Rio wird und Lota die Planung und Gestaltung des Flamengo Parks überträgt, fühlt Elizabeth sich von ihrer ehrgeizigen Lebensgefährtin zunehmend alleingelassen.

    Bruno Barreto legt seine Verfilmung von Carmen L. Oliveiras Roman nicht als reine Beziehungsgeschichte an, sondern zielt tiefer und weiter. Eines von Elizabeth Bishops Gedichten, „The Art of Losing“, dient ihm als thematisches Leitmotiv. „The art of losing isn’t hard to master“ heißt es darin – ein Satz, der wiederholt im Film zitiert wird und dessen selbstbeschwörende Wirkung durch die bewegten Bilder konterkariert und als trügerisch entlarvt wird. Barreto zeigt, dass eben das Gegenteil wahr ist: Die Kunst des Verlierens ist unfassbar schwer. Lotas Geliebte Mary verliert die Partnerin. Die bitterarme Frau, deren Baby Lota für Mary zur Adoption kauft, verliert eines ihrer geliebten Kinder. Freund Carlos, der Brasilien mitgestalten möchte, gewinnt politische Macht und verliert sie wieder. Elizabeth und Lota werden einander verlieren. Leben ist Schmerz! Elizabeth Bishops Gedicht „The Art of Losing“ negiert diese Tatsache ebenso wortreich wie es sie heimlich anerkennt. Im Film bleibt der Poetin als Ausweg oft nur der Alkohol. Sie weine auf Englisch, erklärt sie der Geliebten einmal, als diese sie hoffnungslos betrunken über dem Schreibtisch zusammengesunken findet.

    Obwohl die Geschichte von Elizabeth und Lota Stoff für ein saftiges Melodram wäre, führt Barreto das Drama jederzeit am Zügel einer psychologisch motivierten, wachsamen Ästhetik. Inspiriert von den Bildern Edward Hoppers, zeigt die Kamera von Mauro Pinheiro die exponierte Einsamkeit der Menschen inmitten der Schönheit ihrer Umgebung. In den Dialogen wiederum, und dem Spiel der hervorragenden Darstellerinnen, werden mit sanfter Ironie die kleinen Ticks der Personen vorgeführt. Miranda Otto („Krieg der Welten“) als Elizabeth Bishop gibt ihrer Figur eine preziöse, zartbesaitete Zickigkeit mit, während Glória Pires’ Lota wie eine wahre Naturgewalt an Selbstbewusstsein und Dominanz daherkommt. Ob sich dies alles auch mit der Realität deckt, spielt dabei eigentlich keine große Rolle. Barretos‘ Film kann hierzulande nicht auf dem Prominentenbonus der Hauptfiguren aufbauen, weswegen es noch stärker deutlich wird, dass er ein Kunstwerk ganz eigener Güte ist.

    Fazit: Ästhetisch und inhaltlich gelungene Verfilmung eines brasilianischen Romans über die Beziehung zwischen der amerikanischen Lyrikerin Elizabeth Bishop und der brasilianischen Architektin Lota de Macedo Soares.

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